Dass man Fische und Meeresfrüchte nicht mehr mit gutem Gewissen essen kann, liegt auf der Hand. Jedoch sind die Alternativen auf dem Markt noch nicht sehr vielversprechend. Das Angebot reicht von Thunfisch aus Tofu bis Lachs aus Karotte, aber was haben diese Produkte mit Fisch zu tun? Bei Ihrer Suche nach Alternativen ist unsere Gastbloggerin Sophia Graupner auf das Thema Quallen gestossen.
Durch die Überfischung der Meere wird den Quallen ein Fressfeind und Nahrungskonkurrent genommen. Der Meereserwärumg geschuldet, können sie sich besser vermehren, wodurch explosionsartige Populationsanstiege – sogenannte Quallenblüten – zunehmen. Vor Namibia übertrifft die Quallenbiomasse mit 12,2 Millionen Tonnen bereits die der Fische mit 3,6 Millionen Tonnen. Die Dominanz der Quallen kann irreversibel sein, da Quallen Fischeier und -larven befallen und starke Futterkonkurrenten sind. Durch den täglichen Verzehr von durchschnittlich 40 Heringslarven liessen Quallen den Bestand in Kiel schrumpfen. Neben verstopften Fischernetzen oder Kühlwasserzuläufen von Fabriken werden sie für die Aquakulturen zunehmend zu einem Problem. 2007 tötete eine Quallenblüte von Leuchtquallen mehr als 100 000 Lachse in einer Fischfarm.
Quallen als neues Superfood?
„Quallen können Rohstoffe für verschiedenste Verwendungszwecke liefern. Es wäre unsinnig, dieses Potenzial nicht zu nutzen, zumal uns die zugrunde liegende Biomasse immer wieder direkt vor die Haustür schwimmt“, sagt Dr. Jamileh Javidpour vom GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel, Initiatorin und Koordinatorin von GoJelly. Wie Jamileh Javidpour in ihrem Zitat andeutet, stehen Quallen noch nicht auf dem Speiseplan der Europäer. In der Schweiz sind sie gemäss Art. 1 Abs. 2 VLtH nicht einmal als Lebensmittel zugelassen.
Im Kontrast hierzu werden Quallen in China seit mehr als 1700 Jahren gegessen. Sie bestehen grösstenteils aus Wasser. Ihre Trockenmasse setzt sich aus Protein, Fett und Mineralien zusammen. Der Gehalt der Inhaltsstoffe hängt von der Wasserqualität, Haltung und Art ab. Trotz Fettgehalts sind sie frei von Cholesterin und enthalten wertvolles Kollagen.
Tödliche Quallen oder Quallen für den Teller
Etwa 30 Arten kommen aufgrund ihres geringen Nesselgiftanteils für den Verzehr infrage. Auf den Tentakeln der Quallen sitzen explosive Nesselkapseln, welche nach einer Berührung das Gift freigeben. Je nach Art kann dieses von Hautrötungen bis zum Herzstillstand führen. Um das Gift der essbaren Quallen zu neutralisieren, werden die Tentakeln von den Fischern in einen Eimer kaltes Wasser gehalten. Anschliessend werden die Tentakeln von Hand abgetrennt. Da das Verfahren aufwendig ist, arbeitet die Forschungsgruppe von Antonella Leone am im italienischen Institut für Wissenschaften der Lebensmittelproduktion an Verfahren zur Neutralisation des Giftes. Nach dem Fang werden die Tiere zur Konservierung gesalzen. Das Salz enzieht den Tieren das Wasser. Vor dem Verzehr werden die Schirme erneut in Wasser eingelegt, um das Salz zu entfernen und die Textur wiederherzustellen.
Quallen in der Schweiz – ein Interview
Der Tatsache geschuldet, dass die Schweiz über keinen Anschluss an ein Meer verfügt, spielen Quallen in der Schweiz eine untergeordnete Rolle. Um den Tieren in einem Land ohne Küste näher zu kommen, hat unsere Gastautorin dem Zoo Basel – dem einzigen Quallenzüchter schweizweit – einen Besuch abgestattet.
Rahel Lavater, Tierpflegerin des Vivariums, leitet dort die Quallenzucht. Neben der Spiegeleiqualle werden auch gepunktete Wurzelquallen und Ohrenquallen gezüchtet.
Warum sind Sie schweizweit der einzige Quallenzüchter?“
Rahel Lavater: Die Haltung von Quallen in Aquarien ist sehr komplex. Sie reagieren empfindlich auf eine schlechte Wasserqualität, falsche pH-Werte, Salzkonzentrationen und Strömungseinstellungen. Für eine erfolgreiche Zucht braucht es viel Erfahrung.
Warum können Quallen nur in Aquarien mit Strömung gehalten werden?
Rahel Lavater: Quallen können sich nicht aus eigener Kraft fortbewegen. Sie pulsieren in der Strömung. Die richtige Einstellung ist dabei sehr wichtig, da sich die Tiere sonst gegenseitig nesseln würden, was ihnen nicht gut tun würde.
Haben sie schon mal eine Anfrage bezüglich Quallen als Lebensmittel bekommen?
Rahel Lavater: Nein, davon habe ich noch nie gehört.
Wären Sie bereit, Quallen zu essen?
Rahel Lavater: Probieren sicherlich. Jedoch kann ich mir nicht vorstellen, wie diese Tiere schmecken, schliesslich bestehen sie nur aus Wasser.
Da sich viele Europäer:innen nicht vorstellen können, wie Quallen schmecken, hat die EU ein Projekt namens GoJelly initiiert. Das Projekt wird von dem GEOMAR Helmholtz-Zentrum für Ozeanforschung Kiel koordiniert und soll unter anderem erforschen, wie man Quallen den Europäern schmackhaft machen kann.
Es ist kein Problem der Zukunft!
Im Mittelmeer sind die Bestände der einheimischen Spiegeleiqualle stark gestiegen. Des Weiteren wurde an der Ost- und Nordsee ein starker Anstieg der einheimischen Ohren- und der invasiven Rippenqualle verzeichnet. Die Biomasse der amerikanischen Rippenqualle kommt in europäischen Gewässern auf ein Gesamtgewicht von einer Milliarde Tonnen.
Ein Tier essen und etwas Gutes tun? So einfach ist es leider nicht. Quallen gehören, genauso wie andere Arten, in ein komplexes Ökosystem. Sie sind „Lebensräume“ und Baumschulen für Jungfische. Ausserdem sind sie Räuber und Beute. Um die Natur zu ent- statt zu belasten, gestaltet das GoJelly-Projekt alle Ansätze nachhaltig.
“Bestimmt werden Quallen in Zukunft auch in der Schweiz als Lebensmittel angeboten”, ist sich unsere Gastautorin Sophia Graupner sicher. Sie ist gespannt darauf, neue Produkte aus Quallen zu probieren und als angehende Lebensmitteltechnologin zukünftig auch zu entwickeln.
Zum Schluss will Sie allen die Lektüre des WWF-Bericht über die Bedrohung der Meere und Küsten ans Herz legen.
Wer von euch hat schon mal Qualle gegessen oder wertvolle Tipps zum Thema?
Gerne lesen wir eure Erfahrungen und Anregungen in den Kommentaren!
Über die Gastautorin: Sophia Graupner, 23 Jahre, studiert an der ZHAW Lebensmitteltechnologien im Bachelor und schreibt auch für den Projektblog Digitales Studium.
Vielen Dank für Ihren Beitrag zu dem Thema! Die Frage, ob / wie man ein Aquarium einrichten könnte, um Quallen selbst zu halten, finde ich besonders interessant.
Ein spannender Beitrag auf dem Sustainable-Blog der ZHAW! “Quallen – Die Fische von morgen?” wirft einen interessanten Blick auf das Phänomen der zunehmenden Quallenpopulationen und ihre Auswirkungen auf die Ozeane. Du hast auf anschauliche Weise dargelegt, wie sich die Veränderungen im Ökosystem aufgrund von Umweltfaktoren und menschlichem Einfluss auf die Quallenvermehrung auswirken können. Die Betonung der Bedeutung einer nachhaltigen Ozeanpolitik und des Schutzes der marinen Biodiversität ist lobenswert. Du hast uns dazu angeregt, über die Konsequenzen unseres Handelns nachzudenken und nachhaltige Lösungen zu finden, um das Gleichgewicht in den Ozeanen wiederherzustellen. Vielen Dank für diesen informativen und bewusstseinsschaffenden Artikel. Ich freue mich darauf, mehr über nachhaltige Maßnahmen zum Schutz der Ozeane zu erfahren. Weiter so mit deinen inspirierenden Beiträgen!
Die Beschreibung der verschiedenen kulinarischen Möglichkeiten, Quallen zu genießen, hat mir das Wasser im Mund zusammenlaufen lassen! Wer hätte gedacht, dass diese faszinierenden Meeresbewohner so vielseitig in der Küche einsetzbar sind? Eure Leidenschaft für nachhaltige Ernährung kommt deutlich zum Ausdruck.
Vielen Dank, dass ihr uns mit solch interessanten und zukunftsweisenden Themen versorgt. Ich freue mich schon darauf, mehr von euren innovativen Beiträgen zu lesen und die Zukunft der nachhaltigen Ernährung weiter zu erkunden.
Viele Grüsse,
Lena Haller