Beitrag von Christian Pfister, Student Umweltingenieurwesen
Homestudy Erfahrungen auf dem Bauernhof – zwischen Ausgleich und Ablenkung
Markerschütternd dringt das klirrende Geräusch der Holzfräse durch zwei Wände bis in unser «Farm-Office». Neben dem lautstarken Hintergrundgeräusch lassen mich der gelegentlich auftretende Güllegeruch und die spärlichen sozialen Kontakte den Vorlesungssaal vermissen.
Vermissen werde ich nächstes Semester, im Gegenzug, wohl auch einige der Vorteile, welche das Fernstudium mit sich bringt. In den folgenden Zeilen möchte ich meine «Lockdown»-Erfahrungen teilen.
Wie die Krise mich sanft erfasste
Eine neuartige Lungenkrankheit breitet sich in China aus, übertragen durch ein Wildtier. Ziemlich weit weg, dachte ich und widmete mich Wichtigerem. Als der erste Dozent seine Vorlesung per Zoom abhielt und die Basler Fasnacht abgesagt werden musste, wurde mir der Ernst der Lage bewusst. Eine Mischung aus erwartungsvoller Anspannung, die den trockenen Lernalltag auflockerte und leichter Verunsicherung stieg in mir auf. Und dann, am 13. März geschah das, was einige Wochen zuvor noch niemand erwartet hätte: Der Bundesrat verbot Präsenzveranstaltungen an Schulen, Hochschulen und Ausbildungsstätten. (Bundesrat, 2020)
Der Unterricht an der ZHAW sollte bis Ende Semester komplett digital erfolgen. (ZHAW, 2020) Spätestens jetzt war ich direkt von den Auswirkungen der COVID-19 Pandemie betroffen.
Nun galt es, kreative Lösungen im Umgang mit den neuen Bedingungen zu finden. Mit meiner Frau (Grafikerin im Homeoffice) und meinem Bruder (Student an der ETH – welche einige Tage vor der ZHAW auf digitalen Unterricht gewechselt hat (ETHZ, 2020)) hatte ich schon in der letzten Lernphase die Idee, den Maschinenschuppen in einen Lern- und Kreativraum umzuwandeln. Nun wurde dieses Projekt in die Tat umgesetzt.
Uns allen war es ein Anliegen, den Arbeits- und Lernort vom Wohnraum abzugrenzen. Vielleicht hätte man die Grenze auch zwischen Büro und Wohnzimmer ziehen können – da wir auf dem Hof genügend Raum zur Verfügung haben, entschieden wir uns für den Schuppen. Zudem schätzten wir das Arbeiten in der Gruppe. Es ist schlicht motivierender, wenn man nicht alleine arbeiten muss und sich ab und zu austauschen kann.
Wie ich den Alltag meisterte
Nach einigen Wochen stellte sich ein gewisser Tagesrhythmus ein. Morgens um halb sieben – eine Stunde später als gewohnt – aufstehen, frühstücken, manchmal (eher selten bis nie) joggen, duschen. Anschliessend: Pflanzen giessen und zwischen acht und halb neun mit dem Fernunterricht beginnen. Zwei Stunden Mittag machen, um dann, je nach Lust und Laune (die Videovorlesung kann man ja auch morgen noch anschauen), gegen halb sechs bis sieben den (meist) verdienten Feierabend anzutreten.
In meinem Studiengang entschied sich nur der Chemiedozent für eine Livevorlesung, die Lerninhalte aller anderen Kurse wurden mittels Videos oder Skript zur Verfügung gestellt. Ich nahm mir vor, trotzdem den gewohnten Stundenplan beizubehalten. Das gelang mir ziemlich gut und half, «am Ball zu bleiben». Trotzdem schätzte ich die Art und Weise, wie der Chemiedozent den gewohnten, interaktiven Unterricht digital umsetzte. Irgendwie gab es mir ein gewisses «Gemeinschaftsgefühl», welches beim Selbststudium fehlte.
Dasselbe gilt für Gruppenarbeiten. Natürlich kann es umständlich sein, per Videokonferenz gemeinsam an einem Dokument zu arbeiten oder Aufgaben zu lösen. Doch der soziale Aspekt ist nicht zu unterschätzen – die kleinen Herausforderungen der digitalen Kommunikation als Gruppe zu meistern, kann förderlich sein für den Zusammenhalt. Ganz sicher schult es die digitalen Kompetenzen aller Beteiligten. In meinem weiteren Berufsleben werde ich ungehemmter auf Videokommunikationslösungen zurückgreifen.
Das Trennen von Arbeits- und Wohnraum, die gemeinschaftliche Arbeitsweise und das Beibehalten des gewohnten Stundenplans halfen mir dabei, mich zu motivieren. Trotzdem fiel es mir manchmal schwer, nicht den Ablenkungen zu verfallen. Dass wir auf einem Bauernhof leben, machte es nicht leichter. Neben Netflix & Chill wollte das Gewächshaus bepflanzt und das Gras gemäht werden. Ich merkte, dass mir das Lernen am Morgen und am Abend am leichtesten fällt. Nach dem Mittag habe ich Mühe, mich zu konzentrieren. Flexible Arbeitszeiten wünsche ich mir auch an einer zukünftigen Arbeitsstelle.
Wie COVID-19 mich prägen wird
Diese Krise hat mich in meiner Selbstmotivations- und Planungsfähigkeit geschult und uns alle zu erfahrenen Anwendern der digitalen Kommunikation gemacht. Ich habe viel über meine eigene Arbeitsweise gelernt und werde auf diese Erfahrungen im weiteren Studium und im Arbeitsleben zurückgreifen können.
Die Inhalte gewisser Kurse konnte ich mir mit dem Skript oder mit Podcasts sehr effizient erarbeiten. Hierzu möchte ich Precht (SRF, 2013) zitieren: «Wir brauchen sie [die Universitäten] nicht um Grundlagenwissen zu vermitteln, was sie am PC sehr viel schneller und besser lernen können. […] [Über E-Learning] wird ihnen das von jemandem [z.B. einem Nobelpreisträger] erklärt, der das [Grundlagenthema] absolut beherrscht und es brillant erklären kann.» (4) Nur schon wegen der sozialen Kontakte schätze ich die regulären Präsenzveranstaltungen dennoch und werde diese in Zukunft auch gerne wieder besuchen.
1 Medienmitteilung des Bundesrates (2020) Bundesrat verschärft Massnahmen gegen das Coronavirus zum Schutz der Gesundheit und unterstützt betroffene Branchen. Abgerufen am 30.04.2020 von https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen/bundesrat.msg-id- 78437.html
2 Informationsseite der ZHAW (2020) Informationen zum Coronavirus. Abgerufen am 30.04.2020 von https://www.zhaw.ch/de/ueber-uns/aktuell/informationen-zum-coronavirus/
3 Medienmitteilung der ETHZ (2020) ETH stellt Präsenzunterricht ein Abgerufen am 30.04.2020 von https://ethz.ch/de/news-und-veranstaltungen/eth-news/news/2020/03/eth-stellt- praesenzunterricht-ein.html
4 SRF Sternstunde Kultur [Video] (2013) Richard David Precht: Vergesst das Wissen! Abgerufen am 05.05.2020 von https://www.srf.ch/play/tv/sternstunde-philosophie/video/richard-david-precht-vergesst-das- wissen?id=98d24fcc-21be-46e0-aeb0-f0fd53427ba9