Organisationale Entwicklung und Alleinstellung in der Hochschulbildung

Bei der Weiterentwicklung von Bildungsangeboten können drei Richtungen unterschieden werden: eine fachliche, eine didaktische und eine organisatorische. Die fachliche Entwicklung der Curricula ist notwendig und sollte integrativ erfolgen, damit Bildungsangebote und Curricula nicht nur ein Nebeneinander von Nischenprodukten bleiben, die Spezialisierungen aus Forschung und Praxis widerspiegeln. Curriculum-Entwicklungen lösen nicht nur inhaltliche Erneuerungen aus, sondern bewirken auch didaktische und organisatorische Veränderungen. Bei didaktischen und organisatorischen Neuerungen lernen die Studienleitungen und das Bildungsmanagement voneinander, wie die Innovationen in die spezifische Hochschulorganisation verankert und so breit anwendbar werden. Solche hochschulweit anwendbaren didaktischen oder organisatorischen Innovationen bringen die Hochschule als Bildungsanbieterin voran und erhöhen die Attraktivität der Bildungsangebote insgesamt.

Ein Beitrag von Dr. Alessandro Maranta, Leiter Fachgruppe Bildungsangebote im Ressort Bildung, Rektorat ZHAW

Vielfältige Kooperationen in der Bildung
Dieser Blog ist Teil einer sechsteiligen Blogreihe zu vielfältigen Formen von Kooperationen in der Bildung. Ziel der Blogreihe ist es mit dieser Auslegeordnung ein differenziertes Bild zu den Erwartungen an Kooperationen und den erwartbaren Vorteilen zu gewinnen. Diese Grundlage soll die Spielräume für Kooperationen für Studierende, Dozierende und das Bildungsmanagement für innovative Hochschulbildung aufzeigen.

Erster Blog: Interdisziplinäre Kooperation und Innovation in der Hochschulbildung
– Zweiter Blog: Allianzen im Bildungsraum
Dritter Blog: Organisationale Entwicklung und Alleinstellung in der Hochschulbildung
– Vierter Blog: Communities verändern die Hochschulbildung
– Fünfter Blog: Future Skills
– Sechster Blog: Student experience: Verantwortung für die Zukunft wahrnehmen

Kooperation und Konkurrenz: Wie wird Hochschulbildung produziert und einzigartig?

Für ein gelingendes Bildungsangebot sind verschiedene Faktoren massgeblich: Kompetenzen aus Wissenschaft und Forschung sind als State of the Art grundsätzlich öffentlich und frei verfügbar, müssen aber in Lehr- und Lernszenarien von Dozierenden aufbereitet werden. Es braucht also Lehr- und Lernmedien sowie Infrastrukturen (z. B. für digital unterstützte Lehre) und geeignete Dozierende. Daher sind Lehr- und Lernplattformen sowie Shared Educational Resources (bis hin zu OER), Rekrutierungsverfahren und Vergütungen oder Deputate für die Lehre oder auch Gebäude und Unterrichtsräume bei der Entwicklung von Bildung entscheidende Faktoren (z. B. SQUARE The future of learning). Die digitale Lehre und Campus-Gestaltung eröffnen Möglichkeiten, sich von der Konkurrenz abzugrenzen. Gleichzeitig wird erwartet, dass die Digitalisierung der Bildungsangebote zu mehr Kooperation führt (z. B. mit OER oder MOOC) oder dass die Dozierenden die Möglichkeiten digitalen Lehrens und Lernens kennen und ausschöpfen. In den letzten Jahren hat die Digitalisierung der Bildung für die Alleinstellung der Hochschulbildung strategische Bedeutung gewonnen (siehe z. B. an der ZHAW «Strategie «Bildung und digitale Transformation» 2018 bis 2029»).

Digitalisierung und lebenslanges Lernen eröffnen Chancen für die Positionierung von Bildungsangeboten

Zu den genannten Faktoren – Unterrichtsgestaltung durch Dozierende, Lernmöglichkeiten für Studierende oder Infrastrukturen und Gebäude – kommt hinzu, dass Studiengänge gemäss dem Europäischen System zur Übertragung und Akkumulierung von Studienleistungen (ECTS) gestaltet und angeboten werden. Die Spielregeln sind daher für alle grundsätzlich gleich. Vorteile gegenüber der Konkurrenz eröffnen sich, insoweit das Bildungsmanagement und die Studienadministration effizienter und bedarfsorientierter gestaltet werden. Da zumindest die Fachhochschulen in der Schweiz grossmehrheitlich gleiche Software-Applikationen verwenden, sind hier die Möglichkeiten für Alleinstellungsmerkmale dank Applikationen limitiert. Ein Fokus im Bildungsmanagement, um sich von den Konkurrenten abzuheben, liegt bei der Optimierung der Prozesse: Organisation und Administration der Bildungsangebote soll kundenorientiert gestaltet werden. So sollen z. B. Prozesse und Dienstleistungen gegenüber den Studierenden verbessert werden, indem etwa individualisierter und flexibler studiert wird. Folgerichtig werden auch hierzu Strategien der Hochschulen formuliert (siehe «ZHAW Lifelong-Learning-Strategie»).

Es braucht weiterhin durchdachte Curricula

Die Hochschulen reagieren mit individualisierten Studiengängen auf vielfältige Ansprüche an eine passende Ausbildung. Gleichwohl wird es weiterhin durchdachte Curricula brauchen. Prof. Dr. Ulrike Tippe fasst dies treffend zusammen: «Eine Summe von Krümeln macht noch kein Brötchen» (siehe «Studiengänge, die ein großes Ganzes bilden» Themenschwerpunkt «Kooperative Curriculumentwicklung» des HFD-Magazins «strategie digital»). Es bleibt die Aufgabe der Studiengangleitungen und des Bildungsmanagements, die Studiengänge auf relevante Ausbildungsprofile hin auszurichten. Dies mag schwierig sein, wenn heute noch nicht klar erscheint, welche Kompetenzen in Zukunft entscheidend sein werden, doch der Entscheid über die relevanten Kompetenzen sollte nicht allein den Studierenden überlassen bleiben (siehe auch Lifelong-Learning: Aus dem Spiel wird Ernst).

Stossrichtungen für attraktivere Studiengänge

Daraus ergeben sich grundsätzlich drei Stossrichtungen, um Studiengänge attraktiv zu machen: Der Studiengang kann fachlich einzigartig sein, so dass Studierende diesen Studiengang wählen, weil das Fachgebiet nur von dieser Hochschule angeboten wird. Eine andere Möglichkeit ist, das Bildungsangebot didaktisch besonders attraktiv zu gestalten, so dass Studierende diesen Studiengang wählen, weil das Lernen gut unterstützt wird. Schliesslich können Ausbildungen für die Studierenden aus organisatorischen Gründen beliebt sein: Weil z. B. viele Wahlmöglichkeiten bestehen oder eine reduzierte Präsenzpflicht ein einfaches Zeitmanagement und eine ausgewogene Balance von Studium mit anderen Verpflichtungen erlaubt usw. Während die fachliche Alleinstellung eher mit einer Sonderstellung des Studiengangs in der Organisation verbunden ist, werden didaktische oder organisatorische Massnahmen oftmals breit angewendet. Attraktivität wird nicht für einen einzelnen Studiengang, sondern für weite Teile oder das ganze Bildungsangebot einer Hochschule angestrebt. 

Diese Stossrichtungen können weiter aufgefächert werden. Neue Entwicklungen im Fach werden im Curriculum aufgenommen: Module werden inhaltlich angepasst, das Modulangebot wird umgebaut oder neue Schwerpunkte oder Vertiefungen geschaffen. Neue didaktische Lehr- und Lernszenarien sowie Prüfungsformen werden z. B. im Umgang mit generativer KI ausprobiert. Die ZHAW schuf rasch Orientierung für Studierende und Dozierende mit einer Richtlinie für die verantwortungsbewusste und gezielte Verwendung von KI bei Leistungsnachweisen (siehe Richtlinie und Mit ChatGPT im Vorlesungssaal). Der Praxisbezug im Curriculum wird gestärkt, indem Praxismodule bei Unternehmen und in der Arbeitswelt oder ein ganzes Praxissemester im Curriculum vorgesehen werden. Hier können Studiengänge voneinander lernen: In den Bachelorstudiengängen in den Bereichen Gesundheit oder Soziale Arbeit sind Praxisausbildungen bereits gut etabliert und eingespielt (siehe z. B. die Praxisausbildung im Bachelorstudiengang Soziale Arbeit), während die School of Engineering mit dem Praxissemester Bachelorstudium Medizininformatik hier Neuland betritt. Diese Beispiele zeigen, dass Curriculum-Entwicklungen sowohl inhaltlichen Erneuerungen als auch didaktische und organisatorische Veränderungen auslösen. Auch organisatorische Massnahmen können weiter ausdifferenziert werden: Die Hochschule vereinfacht beispielsweise, wie Studierende ihre Module wählen, bereits erbrachte Studienleistungen anrechnen oder ihre Bewertungen und ihren Studienfortschritt einsehen können.

Didaktische und organisatorische Bildungsinnovationen sind breit nutzbar

Hier ist relevant, dass diese Stossrichtungen in zwei grundsätzlich gegensätzliche Richtungen gehen: Eine nicht skalierbare, die fachlich auf ein Nischenprodukt setzt, und eine skalierbare, die bei didaktischen oder organisatorischen Aspekten von Bildung ansetzt. Fachlich einzigartige Studiengänge werden im gemeinsam geteilten Bildungsraum dort angeboten, wo nur wenige diesen Teil des gemeinsamen Raumes nutzen wollen: Der Studiengang ist ein Nischenprodukt mit erwartbar geringer Nachfrage. Möglich wird eine anhaltende Alleinstellung, wenn die notwendigen Fachpersonen ein rares Gut bleiben: Der Studiengang kann nur von Hochschulen angeboten werden, die sich in dem Fachgebiet ausreichend spezialisiert haben. Hierzu braucht es entweder Forschungsgelder und -infrastrukturen oder eine Alleinstellung in Verbindung mit Praxispartnern. Solche einzigartigen Nischenprodukte lohnen sich nur dann, wenn sie für die wenigen Studierenden kostendeckend und effizient angeboten werden können. Bund und Kantone – oder in der Weiterbildung die Teilnehmenden – müssen bereit sein, die Kosten zu tragen. Der Preis passt, wenn für die Ausbildung ausreichend Bedarf besteht und die Nachfrage stimmt. Aber niemand wird für unnötige Kosten wegen ineffizienter Organisation zahlen wollen. Der Blick richtet sich dann auf Didaktik oder Bildungsmanagement: Infrastrukturen sowie Prozesse und Dienstleistungen sollen für Dozierende, Studierende, Administration und Management optimiert werden, damit sichergestellt wird, dass die Aufwände für den Studiengang finanzierbar bleiben. Hier zählt das Argument der Sonderstellung der Disziplin oder Fachkultur nicht mehr.

Organisationale statt fachliche Alleinstellung

Zwei Beispiele zeigen, dass Hochschulen als Ganzes eine starke positive Ausstrahlung und Reputation dank organisationaler Innovation erreichen können. Die Maastricht University steht für eine breit umgesetzte didaktische Innovation: Problem-Based Learning – This is us! – Maastricht University. Die Universität Witten/Hardecke bietet mit dem Studium fundamentale ein breit ausgebautes interdisziplinäres Studienangebot an. Erfolgreiche innovative didaktischen Modelle oder Curriculum-Strukturen garantieren keine Alleinstellung und werden bald einmal kopiert, aber diese beiden Hochschulen konnten sich mit diesen organisatorischen Innovationen nachhaltig eine Position im Bildungsraum verschaffen.

Titelbild erstellt mit Copilot von Alessandro Maranta


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert