Lifelong-Learning: Aus dem Spiel wird Ernst

Mit der Lifelong-Learning Strategie hat sich die ZHAW das Ziel gesetzt, Bildungsangebote auf Hochschulniveau für alle Berufs- und Lebensphasen anzubieten. Bildungsangebote in den Bachelor- und Masterstudiengängen sowie in den Weiterbildungen werden in einem grösseren Zusammenhang positioniert. Das Ressort Bildung unterstützt die Umsetzung dieser Strategie. Chancen eröffnen sich durch den erweiterten Bildungsmarkt, während Risiken bestehen, zu viele individuelle Bildungsbedürfnisse in einzelne Ausbildungen packen zu wollen. Kluges Bildungsmanagement sorgt dafür, dass persönliche Lebenszeiten mit Halbwertszeiten von Berufsfeldern, Fachwissen, Kompetenzen und Ausbildungsprogrammen abgestimmt werden.

Ein Beitrag von Alessandro Maranta

Das Spiel des Lernens

Vielleicht erinnern Sie sich an das Spiel des Lernens, das vor rund drei Jahren über zwei Seiten im Impact ZHAW abgebildet war (siehe Abbildung 1). Wie in einem Leiterspiel bringen Sie vielfältige Bildungsmöglichkeiten in Ihrem Bildungsverlauf von der Wiege bis zu Bahre vorwärts. Zur Erläuterung steht: «Das Spiel des Lernens ist kein reines Glücksspiel, sondern eines, das mit einer Portion Wissen noch erfolgreicher macht».

Das Spiel des Lernens verdeutlicht: Während des ganzen Lebens gibt es unterschiedliche Phasen des Lernens – und je nach bisheriger Bildungsbiografie treten Studierende oder Weiterbildungsteilnehmende mit unterschiedlichen Voraussetzungen und Erwartungen in eine neue Lernphase ein.

Die eine Ausbildung für das ganze Leben gibt es nicht!

Abb 1. Das Spiel des Lernens im zhaw_impact_03_2020, S. 38f

Spiel-des-Lernens-Grafik (zum Download)

Wege und Joker im Spiel des Lernens

Was empfehlen Sie sich und anderen?

– Eine Berufsausbildung mit Lehre und Berufsmaturität, Fachmaturität oder
gymnasiale Maturität?

– Ein Studium? Im Standard-Curriculum oder mit flexiblem oder offenen Curriculum?
Vollzeit oder berufsbegleitendes Teilzeitstudium?

– Nach dem Erststudium: Nach dem Bachelorstudium ein Masterstudium oder Berufspraxis mit Weiterbildungen?

Kennen Sie mögliche Joker?
Erste Einblicke dank Kinderuniversität und Science Week, Recognition of Learning von informell erworbenen Kompetenzen oder Erweiterung des Horizonts als Gasthörer:in.

Bildungsmanagement im Kontext von Lifelong-Learning

Die ZHAW sorgt für vielfältige Wege zum individuellen Bildungs- und Berufserfolg. Die Hochschulleitung hat 2020 die Lifelong-Learning-Strategie beschlossen und im letzten Jahr das Ressort Bildung geschaffen. Aus dem Spiel wird Ernst.

Im Wesentlichen geht es darum, Bildungsangebote geschickt ergänzend zueinander zu konzipieren. Im Kern sorgt kluges Bildungsmanagement im Kontext von Lifelong-Learning dafür, dass Ziele und Lebensverläufe von Menschen mit Entwicklungen und Zyklen von Berufsfeldern, Fachwissen, Kompetenzen und Ausbildungsprogrammen abgestimmt werden (mehr dazu: Die Kunst relevanter Bildung). Es braucht inhaltlich und organisational abgrenzbare Bildungsangebote.

Im individuellen Bildungsverlauf werden bewältigbare Etappenziele angestrebt.

Chancen für die ZHAW: Ausweitung des Bildungsmarktes

Die Ausrichtung der Bildungsangebote in den erweiterten Kontext von Lifelong-Learning eröffnet Chancen: Der Bildungsmarkt für die Hochschule wird ausgeweitet, wenn Bildungsangebote die ganze Lebensspanne abdecken. Lifelong-Learning fordert das Bildungsmanagement dazu auf, Bildung sowohl als individuelle Bildungsverläufe wie auch als stetige inhaltliche und organisationale Weiterentwicklung der Bildungsangebote zu gestalten.

Vergleichbare Themen und Kompetenzen werden in unterschiedlichen Lebens- und Berufsphasen gebraucht und nebeneinander sowohl in Bachelor- oder Masterstudiengängen als auch in der Weiterbildung angeboten. Die Zielgruppen für die Weiterbildungen sind daher sowohl Personen mit einschlägigem Hochschulabschluss als auch Personen mit bereichsspezifischer Berufserfahrung.

Wichtige Themen gehören sowohl in Lehr- als auch in Weiterbildungsangebote.

Beispiel: Quereinsteiger Digitalisierung

Die School of Engineering bietet für Data Science, Informatik oder Wirtschaftsingenieurwesen sowohl einen BSc als auch einen MAS an. In diesen Fachbereichen arbeiten viele Quereinsteiger, und die Arbeitswelt braucht Fachkräfte mit guten Aus- und Weiterbildungen.
Das Beispiel Digitalisierung verdeutlicht langfristige Entwicklungen und Lebenszyklen: Neue Berufsfelder entstehen, bevor diese durch formale Ausbildungen abgedeckt werden. Im Arbeitsmarkt sind noch Jahrzehnte später Fachkräfte tätig, die on-the-Job ausgebildet wurden und für welche fachspezifische Weiterbildungen bereitgestellt werden. Nach der initialen Startphase in der Arbeitswelt und nachdem formale Ausbildungen etabliert sind, braucht es weiterhin Quereinsteiger, wenn die Absolvent:innen aus den formalen Ausbildungen nicht ausreichen, den Bedarf im Markt abzudecken.

Abb 2. Neugier und Lust auf Neues wecken: Junge Forschende am Zukunftstag der ZHAW

Chancen für die ZHAW: Kompetenzorientierte Zulassung

Die Zulassungsvoraussetzungen für die Weiterbildung werden an der ZHAW kompetenzorientiert formuliert. Der Zugang zur Weiterbildung bedingt nicht zwingend einen Hochschulabschluss. Ebenso werden Berufs- und Praxiserfahrung im Sinne von Recognition of Prior Learning berücksichtigt. Die ZHAW ersetzt eine starre Quote, welche den maximalen Anteil von Personen ohne Hochschulabschluss für alle Weiterbildungs- Masterstudiengänge festgesetzt hatte, durch eine kompetenzorientierte Zulassung und nutzt Chancen, die swissuniversities mit der Festlegung der «Eckwerte Hochschulweiterbildung» eröffnet hat. 

Individuelle Vorkenntnisse erleichtern den Einstieg in die Ausbildungen.

Chancen für die ZHAW: Gezielte Ausbildungen dank unterschiedlichen Formaten

Lifelong-Learning bietet für die inhaltliche Curriculum-Gestaltung die Chance, die einzelnen Bildungsangebote zu entlasten. Dank dem ergänzenden Neben- und Nacheinander von Bachelor- und Masterstudiengängen sowie Weiterbildungen werden Bildungsbedarfe gezielt unterschiedlichen Bildungsangeboten zugeordnet. Bachelorstudiengänge können generalistisch ausgerichtet sein, und weitere Bildungsangebote im Verlauf von Bildung und Berufskarriere decken spezifischere Ausbildungsanliegen ab. Ein kohärentes Portfolio-Management der Bildungsangebote nimmt daher die ganze Spannweite von umfangreichen Ausbildungen in der grundständigen Lehre mit den Bachelor- und Masterstudiengängen über die gezielteren Weiterbildungsangebote in CAS, DAS und MAS bis hin zu kleinsten Einheiten – etwa mit Micro-Credentials – in den Blick.

Ausbildungsziele und Ausbildungsangebote werden modular aufgebaut.

Chancen für die ZHAW: Interdepartementale Kooperation

Die Weiterentwicklung der Bildungsangebote bietet Chancen für die Kooperation. Die Departemente der ZHAW richten ihr Portfolio der Bildungsangebote zunächst fachlich aus. Die ZHAW reagiert und rückt interdisziplinäre, gesellschaftlich relevante Themen ergänzend in den Fokus: Digitale Transformation, Energie, Entrepreneurship, gesellschaftliche Integration und Nachhaltigkeit sind neben Lifelong-Learning sechs Fokusthemen der ZHAW. Die Departemente nehmen den Ball auf und entwickeln interdepartementale Studienangebote.

Wichtige Themen werden gemeinsam ausgebildet.

Beispiele für interdepartemental kooperierende Studiengänge
BSc Applied Digital Life Sciences
BSc Biomedizinische Labordiagnostik
BSc Medizininformatik
MSc Circular Economy Management
MSc in Preneurship for Regenerative Food Systems
MSc Real Estate & Facility Management

Ausweitung von Bildung: Berufs- und Praxisorientierung

Erwartungen an Bildung wandeln sich im Laufe der Geschichte. Lifelong-Learing kann im Sinne von lebenslanger Bildung und persönlicher Neugier verstanden werden. Bildungspolitisch steht aber die ökonomische Verwertbarkeit der Kompetenzen im Vordergrund. Hier ist eine klare Positionierung unter den Bildungsanbietern notwendig. Denn die Orientierung auf die Berufsbefähigung stärkt die Höhere Berufsbildung. Das Staatssekretariat für Bildung, Forschung und Innovation (SBFI) arbeitet an der Positionierung der Höheren Fachschulen (Positionierung der Höheren Fachschulen) und diskutiert wie auch die eidgenössischen Räte die Einführung eines «Professional Bachelor» für die Höheren Fachschulen (Motion “Titeläquivalenz für die höhere Berufsbildung”).

Bildungsangebote der Fachhochschulen sind sowohl in Forschung und Wissenschaft
als auch in der Praxis verankert
.

Bildung breitet sich aus

Vor einigen Generationen war Bildung wenigen Eliten im Bildungsbürgertum vorbehalten. Im Laufe der letzten beiden Jahrhunderte wurde Bildung dank Volksschulen und Berufsbildung sowie Hochschulstudien immer breiter in der Gesellschaft verankert. Gleichzeitig wurden Ausbildungen mit Lehrplänen und disziplinär orientierten Curricula kanonisiert.
Zum Ausgang des letzten Jahrhunderts wurden die Fachorientierungen immer stärker in Frage gestellt: An den universitären Hochschulen war Inter- oder gar Transdisziplinarität en vogue, und die Berufsbildung erschloss sich mit Berufsmaturität, höheren Fachschulen und Fachhochschulen den Tertiären Bildungsbereich. Die Hochschulausbildungen wurden – namentlich mit der Bologna-Reform – auf Berufsbefähigung ausgerichtet.
Abb. 3 Die Berufsbildung hat tiefe Wurzeln: Gesellenbrief aus dem 18. Jahrhundert (Landesmuseum Zürich, Illustration zum Artikel «Berufsbildung» im Historischen Lexikon der Schweiz)

Lebens- und Ausbildungszeit

Im Spiel des Lernens geht es darum, schrittweise auf der Leiter voranzukommen. Gleichzeitig ist Lebenszeit im Lifelong-Learning eine wertvolle Ressource. Die Studierenden und Weiterbildungsteilnehmenden fragen sich, wie sie ihre Lebenszeit für Ausbildungen einsetzen. Neben der bildungspolitischen Aufwertung der höheren Berufsbildung werden Aufwand und Ausbildungszeiten zukünftig ins Gewicht fallen. Sollten die Arbeitgeber die geplanten unterschiedlichen Bachelorabschlüsse von Fachhochschulen und höheren Fachhochschulen grundsätzlich als ebenbürtig ansehen, werden die Arbeitnehmenden eine einfache Rechnung anstellen.

Gleicher Abschluss bei doppeltem Aufwand: Geht das auf?

Erwartete Ausbildungszeiten für FH Bachelor und HF Professional Bachelor:

Die Ausbildungszeiten für den Weg über Berufsmaturität zum Bachelorabschluss an einer Fachhochschule sind doppelt so hoch als für ein HF-Diplom: rund 7200h, aus 1800h für Berufsmaturität und 5400h für das Bachelor Studium, im Vergleich zu den 3600h für das HF-Diplom. Sollte zukünftig ein «Professional Bachelor» verliehen werden, dann gilt es, die Unterschiede deutlich zu machen.

Lifelong-Learning und organisationales Lernen

Lifelong-Learning treibt die ZHAW an, ihre Bildungsangebote inhaltlich und organisational weiterzuentwickeln. Zu offen gestaltete Studiengänge mit zahlreichen Wahl- und Vertiefungsmöglichkeiten bergen die Gefahr, dass im Studienverlauf zwar viel gelernt wurde, die erworbenen Kompetenzen aber nicht so recht in die Arbeits- und Berufswelt passen wollen. Mit gutem Grund folgen deshalb die Bachelor- und Masterstudiengänge an der ZHAW klaren Curricula, bei denen die Balance zwischen individualisierten Studienverläufen und zuordenbaren Abschlussprofilen gewahrt bleibt. Ebenso unterstützten die einzelnen CAS-Abschlüsse in modularen MAS-Weiterbildungen gezielt die fokussierte Fortbildung und führen zu gebündelten praxis- und berufsorientierten Masterabschlüssen in der Weiterbildung.

Lifelong-Learning heisst auch: Alles zu seiner Zeit.

Weiterentwicklung von Bildungsangeboten: Inhalte und Didaktik sowie Bildungsportfolio

– Curriculum-Entwicklung inhaltlich: Der Unterricht wird laufend gemäss dem ‘state of the art’ der Praxis sowie der Wissenschaft und Forschung aktualisiert.
– Didaktische Weiterentwicklung: Gewohnheiten, Bedürfnisse und Techniken beim Lehr- und Lernen entwickeln sich weiter und führen gerade im digital unterstützten Lehren und Lernen sowie dank Open Educational Ressourcen zu neuen didaktischen Formen der Kompetenzvermittlung.
– Management von Bildungsportfolios: Das umfassende Bildungsportfolio wird gepflegt, das grundständige Lehre mit Bachelor- und Masterstudiengängen sowie die Weiterbildungsangebote in ihrer ganzen Vielfalt von MAS, DAS über CAS bis hin zu WB-Kursen und bald auch Micro-Credentials in den Blick nimmt.

Lifelong Learning und gezielte Ausbildungen

Abkürzungen gibt es nicht: Im Spiel des Lernens gibt es weder den gezinkten Würfel, der nur Sechser anzeigt, noch gibt es den Superjoker, mit dem gleich das halbe Spielfeld überbrückt wird. Es besteht die Gefahr, solche Würfel oder Joker zu erwarten oder anbieten zu wollen, wenn einzelne Ausbildungen alle zukünftigen Lebenslagen und Berufsperspektiven abdecken sollen. Doch stellen Sie sich vor, Sie dürfen in einem Lebensmittelladen mit einem breiten und vielfältigen Angebot ihren Einkaufskorb füllen. Das ist zunächst verlockend, aber aufgepasst: So wie Ihre Ausbildungszeit beschränkt ist, sei auch Ihr Einkauf auf eine begrenzte Anzahl Produkte eingeschränkt. Zwar mag ein Einkauf geleitet durch Ihren persönlichen Gusto sehr befriedigend sein. Aber zuhause angekommen, werden Sie vielleicht feststellen müssen, dass sich mit den individuell zusammengestellten Esswaren kein gescheites Mahl zubereiten lässt. Ein Blick ins Rezeptbuch hilft ebenso wie die Planung von Bildungsangeboten und Bildungsverläufen.

Lifelong-Learning: Ausgewogene Ernährung für den Geist.


Titelbild: “A warm, enlightening calligraphy image, resembling a Japanese woodblock print, displaying lifelong learning. The child on the left slowly morphs into an adult and then into a senior and goes from reading a book, to a computer, to a tablet” generiert durch die künstliche Intelligenz Dall E und gepromptet von Thomas Schläpfer.


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