Wie lassen sich generische New Work-Kompetenzen gezielt an Studierende vermitteln – ist das überhaupt die Aufgabe der ZHAW? Am Beispiel des Studiengangs Mobility Science wurde untersucht, welche dieser Fähigkeiten tatsächlich relevant sind und wie sie sinnvoll ins Curriculum integriert werden könnten. Dabei zeigt sich: Zwischen Non-Credit-Kursen, Soft Skills-Vermittlung und fehlendem Praxis-Bezug entsteht ein Spannungsfeld – das „Bermudadreieck studentischer Realität“.
Ein Beitrag von Thomas Sauter-Servaes
Die Arbeitswelt erfordert immer mehr generische digitale Kompetenzen, wie zum Beispiel der Umgang mit KI oder Remote Working Skills – diese sind bis anhin jedoch kein klarer Teil der Fachhochschulausbildung. Wie soll die ZHAW mit diesen Anforderungen umgehen? Integriert sie Digital Skills-Kurse ins Curriculum? Stellt sie zentrale Angebote für Studierende zusammen? Sind diese Schulungen verpflichtend oder freiwillig? Oder gibt man die Aneignung von digitalen Kompetenzen ganz an die Eigenverantwortung der Studierenden ab?
Alumni und Unternehmen im Dialog
Das Projekt REWORC von Thomas Sauter-Servaes, ZHAW digital und dem Ressort Bildung hatte zum Ziel, herauszufinden, welche Kompetenzen für ein gesundes und produktives ortunabhängiges Arbeiten erforderlich sind und wie man diese am besten vermittelt.
REWORC startete im Herbst 2023 mit einem mehrstufigen Befragungsdesign. Grundlage waren Interviews mit erfahrenen Remote-Arbeitenden, aus denen zwei Online-Befragungen entwickelt wurden. Fast 100 Alumni des Bachelor-Ingenieurstudiengang Mobility Science sowie Vertreter:innen ebendieser Zielunternehmen beurteilten darin zentrale New Work-Fähigkeiten. Die beteiligten Unternehmen reichen von Planungsbüros über Verwaltungen bis hin zu Fahrzeugherstellern. Ausgewählte Ergebnisse wurden dem Vorstand des Branchenverbands ITS Switzerland zur Einschätzung vorgelegt. Ergänzend lief eine LinkedIn-Umfrage zu geeigneten Vermittlungsformen von Remote Work Skills. Abschliessend schilderten rund ein Dutzend Alumni und Entscheidungsträger:innen von Mobilitätsunternehmen in Interviews ihre persönlichen Erfahrungen im Kontext der Umfrageergebnisse.
Wie vermitteln? Uneinigkeit bei den Alumni
Die Alumni des Studiengangs Mobility Science sehen sich als gut gerüstet für die Herausforderungen des Arbeitens abseits des klassischen Büro-Arbeitsplatzes. Knapp die Hälfte der Befragten arbeiten aktuell zwei Tage oder mehr pro Woche im Remote-Modus. Selbstführung wird mit Abstand als wichtigster Erfolgsfaktor dafür genannt – in dieser seien sie zum Zeitpunkt des Berufseinstiegs schon relativ kompetent gewesen.
Bei den acht weiteren abgefragten Kompetenzbereichen gehen die Meinungen stark auseinander – sowohl hinsichtlich ihrer Relevanz als auch in der Selbsteinschätzung nach dem Studium. Auch bei der Art der Vermittlung zeigt sich kein klarer Favorit: Weder Wahlmodule noch Weiterbildungen oder die Integration in bestehende Lehrveranstaltungen überzeugen eine Mehrheit der Alumni vollständig.

Abb. 2: Kombinierte Darstellung der Antworten auf die Fragen «Bitte bewerte die Relevanz folgender Kompetenzen für ein erfolgreiches Homeoffice/Remote Work mit Noten von "unnötig" (Note 1) bis "essentiell" (Note 6)» und «Bitte schätze Deine Kompetenzen zum Zeitpunkt des Berufseinstiegs nach Schulnoten ein.» (n=47)

Abb. 3: Rangreihung der Bedeutung der verschiedenen Kompetenzfelder durch die Alumni (n=47)
Bermudadreieck: Soft Skills ohne Credits und Praxisbezug
In der Diskussion der Ergebnisse in persönlichen Deep-Dive-Sessions zeigt sich, dass die Alumni den Erwerb zusätzlicher Kompetenzen (im Studium) durchaus als nötig erachten. Zwischen dem heutigen Curriculum und der idealen Ausgestaltung befände sich jedoch das «Bermudadreieck studentischer Realität». Dieses entfaltet sich zwischen «Credit-Klippen», «Soft Skills-Stromschnellen» und «Trockenübungs-Untiefen».
Die Diskussion rund um generische digitale Kompetenzen zeigt also drei zentrale Spannungsfelder: Die sogenannten «Credit-Klippen» beschreiben die geringe Motivation der Studierenden, freiwillige Lernangebote ohne Anrechnung von Credits wahrzunehmen – ausserdem hätten sie während des zeitintensiven Studiums den Nutzen solcher Angebote nicht ausreichend einschätzen können. Die «Soft Skills-Stromschnellen» spiegeln die Vorbehalte gegenüber Soft Skills-Trainings wider, insbesondere wenn diese zulasten fachlicher Inhalte gehen oder durch negative Erfahrungen mit bestehenden Modulen geprägt sind. Hinzu kommen die «Trockenübungs-Untiefen» – also die Sorge, dass praxisrelevante Kompetenzen zu theoretisch vermittelt werden, was Zweifel an der Wirksamkeit solcher Angebote in der Praxis weckt.

Abb. 4: Bermuda-Dreieck studentischer Realität (eigene Darstellung, Icons: thenounproject)
Unternehmensperspektive: Remote Work Skills noch dringender
Die Unternehmen sehen grösseren Bedarf für digitalen Kompetenzaufbau. Zwei Drittel der Befragten befinden sich in einer Leitungsfunktion, haben deutlich mehr als zehn Jahre Berufserfahrung und arbeitet zwei bis drei Tage remote. Analog zu den Alumni wird der Selbstführung die grösste Relevanz für produktives Remote Working zugeordnet. Wie bei den Alumni sind die drei grössten Handlungsfelder Selbstführung, Zeitmanagement und E-Schreibkompetenz – aus Unternehmensperspektive sogar noch eindeutiger.
Allerdings bewerten die Unternehmen die Remote Work Skills frischer Fachhochschul-Absolvierenden deutlich niedriger als die Alumni rückblickend selbst, insbesondere bei den genannten Top 3-Handlungsfeldern – der Wunsch nach einer zusätzlichen Kompetenzvermittlung ist bei Firmen also wesentlich höher. Für die zusätzliche Vermittlung von Selbstführungskompetenzen sind knapp 40 Prozent der Firmenvertreter:innen sogar bereit, Fachinhalte im Studium zu reduzieren. Überwiegend werden jedoch zusätzliche Wahlmodule bevorzugt.

Abb. 5: Rangreihung der Bedeutung der verschiedenen Kompetenzfelder durch die Unternehmensvertreter:innen (n=49)
Noch in der Experimentierphase
In den vertiefenden Interviews zeigt sich erneut eine Differenz: Die gewünschten Fokusse innerhalb der Kompetenzfelder sind sehr unterschiedlich. So weisen die Firmen unter dem Begriff Selbstführung ganz unterschiedlich ausgeprägte Lernfokusse aus, die aus ihrer Sicht durch das Curriculum anzusteuern sind: So ist zum Beispiel für ein grosses Industrieunternehmen der Aspekt Disziplin sehr wichtig, während sich Berufseinsteiger:innen mehr Engagement und Kreativität im Homeoffice wünschen. Andere betonen den Fokus auf Fachwissen als Kern der FH-Ausbildung, alles weitere könne besser on-the-job erlernt werden. Einig sind sich die befragten Unternehmen lediglich, dass der aktuelle Kommunikationsanteil von 10 der 180 Credits im Studiengang Mobility Science zu gering ist. Allerdings kann dieser Teil auch nicht losgelöst vom Rest unterrichtet werden, sondern muss in die bestehenden Fachmodule integriert werden. Allgemein scheint die Branche noch in der Experimentier- und Findungsphase auf dem Weg zu einer neuen Arbeitskultur zu sein. Ein einheitlicher Kompass fehlt noch.
Das Feedback der Stakeholder offenbart in allen Teilen der Untersuchung ein grosses Interesse an der Thematik. Sowohl Arbeitgebende als auch Arbeitnehmende scheinen noch auf der Suche nach der optimalen Mischung von Präsenzzeiten und Remote Work zu sein. Kommunikationskompetenzen scheinen bislang im Bachelorstudiengang Mobility Science unterschätzt worden zu sein. Angedacht sind verschiedene Ansätze: von studiengangübergreifenden Kommunikationsmodulen bis hin zu spezifischen Projektmodulen wie E-Schreibkompetenz, Selbstführung und Zeitmanagement.
Angesichts der Erfahrungsberichte der Alumni spielt zudem die Sensibilisierung der Studierenden für die Relevanz der Remote Work-Kompetenzen eine zentrale Rolle. Es sind Alumni- und Firmen-Zitate auf den Webseiten und im Blog des Studiengangs vorgesehen, um den tatsächlich erlebten Mehrwert zu illustrieren.
KI als Chance für Soft Skills-Training
Auch auf individueller Ebene werden Studierende teils schon eingebunden in Pilotphasen von KI-gestützten Bots wie beispielweise «MentorMate», der Studierende im Lernprozess begleitet und ebenfalls bei einer nachhaltig gesunden Selbstführung unterstützen könnte.
Das Ziel soll aber nicht sein, zur undifferenzierten Selbstoptimierung zu animieren – es geht nicht darum, das Tempo im Hamsterrad weiter zu steigern. Vielmehr steht ein reflektierter Umgang mit den Anforderungen moderner Arbeitswelten im Zentrum. Gerade bei einer technikaffinen Zielgruppe wie angehenden Ingenieurinnen und Ingenieuren kann ein praxisnahes, gut verankertes Kompetenzangebot dazu beitragen, die oft unterschätzten Soft Skills greifbar und nachvollziehbar zu machen – und so ihre Relevanz für den Berufsalltag sichtbar zu erhöhen. Denn zwischen Zukunftsfähigkeit und studentischer Realität braucht es Mut zum Umdenken – und Raum für neue Lernformen.