Die Tastatur der Zukunft? Überlegungen zu einer gescheiterten Produkteinführung

Beitrag von Benjamin Eugster

Foto: Benjamin Eugster

Selten sind die Verheissungen der Digitalisierung so gross, wie wenn es um die Bewerbung neuer Hardwaretechnologien geht. Jährlich stellt das New Media Consortium (NMC) derartige Innovationen auf den Prüfstand und sammelt Ideen dazu, wie neue Technologien auch die Zukunft der Bildung verändern können und verändern werden. Während tragbare Technologien («wearable technologies») im Horizon Report 2015 noch als Trend aufgeführt wurde, welcher die Hochschullandschaft innerhalb der nächsten 3 Jahre beeinflussen wird, wurden sie in den Folgejahren deutlich nüchterner eingeschätzt. Dies hat wesentlich mit der gescheiterten Markteinführung des tragbaren Mikrocomputers Google Glass zu tun: Mit dem Verkaufsstopp aufgrund von Persönlichkeits- und Datenschutzproblemen wurde diesem 2015 ein jähes Ende bereitet. In diesem Blogpost ergründen wir nun das Potential von tragbaren Technologien für digitale Lehr- und Lernprozesse am Beispiel eines anderen Gadgets, welches – abgesehen von seiner inhärenten Flop-Gefahr – trotz hoher Ansprüche wesentlich weniger risikobehaftet ist.

Ein Gadget, das fast funktioniet

Mit «the future is at your fingertips» haben die Hersteller und Entwickler der kabellosen Tastatur «TAP» einen Slogan gewählt, der neugierig macht und einige Fragen provoziert. Die Tastatur besteht aus einem Band, das mit einem Bewegungssensor pro Finger um die Hand getragen wird. Wie der Produktname bereits sagt, werden Buchstaben, Zahlen und Zeichen durch das Klopfen (tapping) auf eine feste Oberfläche in unterschiedlichen Fingerkombinationen erzeugt.

Die Reaktionen in den Rezensionen sind am Anspruch gemessen deutlich ernüchternder und ernüchterter ausgefallen, indem sie gleichzeitig Aufregung und Enttäuschung zum Ausdruck bringen. In seinem Beitrag «the wearable keyboard that almost works» für The Verge und spricht Paul Miller eine ganze Reihe von Problemen an, welche die Technologie von einer breiteren Nutzung abhalten. Gerade im Bildungsbereich, wo die Arbeit mit Texten zu den Hauptaufgaben gehört, wird die klassische Tastatur mit der QWERTZ-Tastaturbelegung so schnell nicht von einer flexibleren oder universelleren Lösung abgelöst werden können. Dennoch unterstreicht die Rezension die unterschiedlichen Lernstrategien für das Gerät, welche trotz aller Kritik und Skepsis aufzeigen, was man aus einer risikoreichen Produkteinführung lernen kann. Zwei wesentliche Pfeiler des Erlernens von digitalen Technologien werden für die Produkteinführung von TAP genutzt: Gamification von technologischen Lernprozessen und Lernen in informellen Lerngruppen.

«Alles Lernen ist nicht einen Heller wert, …

…, wenn Mut und Freude dabei verloren gehen.» Was Heinrich Pestalozzi bereits wusste, wird mittlerweile als Gamification gross auf die Fahne vieler Lerntechnologien geschrieben. Dabei geht es mit der zunehmenden Verbreitung digitaler Technologien nicht mehr darum, dass ihr Einsatz per se mehr Freude beim Lernen oder Arbeiten auslöst. Mit der Veralltäglichung von digitalen Technologien werden diese immer weniger zum Selbstzweck und es geht vielmehr darum, in welcher Form die spielerische Gestaltung von digitalen Lernprozessen erfolgt.

Ein Blick auf die Handhabung von TAP zeigt schnell: Diese ist alles andere als selbsterklärend, geschweige denn intuitiv. Um den NutzerInnen den Einstieg zu erleichtern und die Frustration über die anfänglich sehr sperrige und langsame Bedienung abzufedern, stellen die Entwickler von TAP eine ganze Bandbreite von Lernspielen zur Verfügung, mit denen die unterschiedlichen Tastenkombinationen erlernt werden können. Im Zentrum steht eine App mit interaktiven Tutorials, welche es ermöglicht die eigene Schreibgeschwindigkeit zu messen. Die Tutorials bilden einerseits das komplexe System der Fingerkombinationen ab und bereichern die Nutzererfahrung zudem durch eine übersichtliche Nutzeroberfläche, die mit liebevoll animierten Eselsbrücken angereichert ist.

User-Community als digitale Lerngruppe?

Der zweite zentrale Pfeiler der Lernstrategien bildet der Kontakt zu einer aktiven Community. In einer gemeinsamen Nutzergruppe auf Facebook können sich die AnwenderInnen über ihre Lieferung, allfällige technische Probleme oder aber über den eigenen Lernfortschritt mit dem unkonventionellen Schreibsystem austauschen. Zum einen kann dies ganz im Sinne der Gamification kompetitive Züge annehmen, indem einzelne User ihren neusten Geschwindigkeitsrekord beim Schreiben posten. Zum anderen können über die Diskussionen auch gewisse technische Probleme schnell selber behoben, gemeinsame «Workarounds» entwickelt oder Probleme konkretisiert an die Entwickler weitergeleitet werden.

Eine besondere Herausforderung besteht bei dem Gadget insbesondere in der starken Verknüpfung des Eingabesystems für die Finger mit dem dahinterliegenden Sprachpaket. Da Soft- und Hardware von TAP primär auf eine englischsprachige Kundschaft ausgerichtet sind, bilden die Lernprogramme und die offizielle Dokumentation ausschliesslich die englischen Tasten- resp. Fingerbelegung ab. Hier zeigt sich die Nutzergruppe als besonders engagiert: So haben einzelne User zur Freude und zum Erstaunen von anderen Übersichtstabellen über alle Sonderzeichen gestaltet und bereitgestellt.

Bild: zVg

Technologie sucht Einsatzszenario

Ursprünglich wurde TAP für die Bedienung von Textfunktionen in Virtual Reality Settings entwickelt, wo sich die Nutzung eines «handlichen» Eingabegeräts anbot. Damit sich eine technische Innovation gesellschaftlich durchsetzen kann, muss sie jedoch in einer Vielzahl von Szenarien einsetzbar sein. Hier zeigt sich die bisher überschaubare Nutzergruppe als besonders experimentierfreudig: Während ein Grossteil der AnwenderInnen das Eingabegerät (vorerst) als spielerischen Selbstzweck zuhause nutzt, führt ein User aus, wie er damit seine Vorlesungsnotizen anfertigt und den einen oder anderen verwirrten Blick kassiert. Studierende zählen selbst zu den stärksten Treibern von technischen Innovationen und stellen damit die herkömmliche Medienökologie der Hochschule immer wieder auf den Prüfstand. So ist auch die Reaktion einer US-amerikanischen Universität zu verstehen, die bei der ersten Sichtung eines TAP-Keyboards ein offizielles Verbot für vergleichbare Geräte verhängt hat: Nicht ohne Genugtuung berichtet ein User, dass seine Hochschule soeben die Nutzung von «any hand worn devices that act as input to any electronic device» während Prüfungen untersagt, damit Studierende sich während den Prüfungen keinesfalls die Prüfungsfragen notieren können.

«…not quite there yet.»

Was in der Praxis reichlich Irritation aber nicht viel Innovation in den Hörsaal bringt, kann in der Theorie jedoch aufzeigen, wie die Nutzung von digitalen Hilfsmitteln selbst gemeinsam und unterstützt erlernt wird bevor mit ihnen gelernt werden kann. Was den allgemeinen Einfluss von tragbaren Technologien an Hochschulen anbelangt, fällt das Fazit jedoch ernüchternd aus. Auch in diesem Jahr werden in einem eigenen Forum zu «wearable technologies» wieder Ideen und Einschätzungen von Bildungsexperten für den Horizon Report gesammelt. Neben Ausführungen zu den üblichen Verdächtigen wie Oculus Rift, Google Glass und Smartwatches findet sich dort eine übergreifende Beurteilung, die sich auch auf das untersuchte Gadget übertragen lässt: «Wearable technology seems to be on the cusp of providing products that can have an impact on higher education – but it’s not quite there yet.»

Beitrag von Benajmin Eugster


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