Allianzen im Bildungsraum

Die Hochschulpolitik steuert mit Rahmenbedingungen und Finanzierungen gleichzeitig die Kooperation und den Wettbewerb im Bildungsraum mit der Absicht, die Hochschulen zu effizienter Selbstorganisation anzutreiben. Die Signale der Hochschulpolitik sind ambivalent und fordern die Kooperationen im Bildungsmanagement und bei der organisationalen Hochschulentwicklung heraus. Es braucht hochschulinterne Klarheit, an wen sich die Impulse der Hochschulpolitik Kooperationen aufzubauen richten und welche Ziele die Hochschulpolitik verfolgt. Danach können hochschulpolitische Ziele in hochschulinterne Strategien übersetzt werden, die dem Wettbewerb um Studierende und Weiterbildungsteilnehmende im Bildungsraum Rechnung tragen.

Ein Beitrag von Dr. Alessandro Maranta, Leiter Fachgruppe Bildungsangebote im Ressort Bildung, Rektorat ZHAW

Vielfältige Kooperationen in der Bildung
Dieser Blog ist Teil einer sechsteiligen Blogreihe zu vielfältigen Formen von Kooperationen in der Bildung. Ziel der Blogreihe ist es mit dieser Auslegeordnung ein differenziertes Bild zu den Erwartungen an Kooperationen und den erwartbaren Vorteilen zu gewinnen. Diese Grundlage soll die Spielräume für Kooperationen für Studierende, Dozierende und das Bildungsmanagement für innovative Hochschulbildung aufzeigen.

Erster Blog: Interdisziplinäre Kooperation und Innovation in der Hochschulbildung
Zweiter Blog: Allianzen im Bildungsraum
– Dritter Blog: Organisationale Entwicklung und Alleinstellung in der Hochschulbildung
– Vierter Blog: Communities verändern die Hochschulbildung
– Fünfter Blog: Future Skills
– Sechster Blog: Student experience: Verantwortung für die Zukunft wahrnehmen

Hochschulpolitik: Kooperationen und Allianzen der Hochschulen

Die Zürcher Hochschule für Angewandte Wissenschaften (ZHAW) entstand 2007 aus dem Zusammenschluss von zuvor vier eigenständigen Hochschulen. Ausser dem Masterstudiengang Architektur beschränkte sich das Angebot der ZHAW in der Lehre auf Bachelorstudiengänge. Die Hochschulpolitik gab grünes Licht für weitere Masterstudiengänge – allerdings mit der Auflage, dass Fachhochschulen diese als Kooperationsmasterstudiengänge organisieren und anbieten sollten. Nachdem die Masterstufe an der ZHAW und den anderen Fachhochschulen etabliert worden war, lösten sich diese Kooperationsstudiengänge grossmehrheitlich auf und wurden zu eigenständigen Masterstudiengängen.

Hintergrund war, dass die Fachhochschulen vor rund 20 Jahren damit beginnen konnten, ihre Studiengänge auf die Masterstufe auszuweiten, da ihre Ausbildungen ab dem Herbstsemester 2005 auf das zweistufige Studiensystem gemäss Bologna-Prozess umgestellt wurden (Medienmitteilung des Bundesrates vom 14. September 2005: «Fachhochschulgesetz und Fachhochschulverordnung revidiert»). Damit traten die Fachhochschulen in den europäischen Hochschulraum ein. Der 1999 gestartete Bologna-Prozess schuf diesen europäischen Hochschulraum (EHR), der die Mobilität der Studierenden fördern und die Wettbewerbsfähigkeit der europäischen Hochschulen stärken sollte (siehe Bologna-Prozess). Dieser europäische Hochschulraum war ein rechtlich geschaffener Raum, in dem insbesondere auch das Leistungspunktesystem nach dem Europäischen System zur Übertragung und Akkumulierung von Studienleistungen (ECTS) gilt.

Die Hochschulpolitik fördert Kooperation und Wettbewerb im Hochschulraum und erhofft sich effiziente Selbstorganisation

Gegenwärtig kommen starke Impulse aus dem europäischen Hochschulraum: Die European University Initiative und die European Universities alliances haben zum Ziel, langfristige und stabile Kooperationen unter europäischen Hochschulen zu fördern (siehe The European Universities alliances in action – European Education Area). Seit 2023 ist die ZHAW ein Mitglied in der Allianz EELISA.

Alliances in Action: Beispiel Summer School an der ZHAW

Vor nicht einmal 20 Jahren wurden die Schweizer Fachhochschulen in den europäischen Hochschulraum aufgenommen. Die ZHAW ist seit dem letzten Jahr mit eigenen Angeboten bei der EELISA European University dabei. Bereits diesen Sommer konnten Studierende der Partnerhochschulen beispielsweise an der CircularTech Summer School teilnehmen, die von ZHAW entrepreneurship zusammen mit Dozierenden der ZHAW organisiert wurde. Akhtankyzy Gaukhar von der Budapest University of Technology and Economics hat auf den EELISA News über die zwei intensiven Wochen in Winterthur berichtet.



Studierende von Partnerhochschulen erhalten ZHAW Micro-credentials in Entrepreneurship © Pascal Mora

Positionierung im Hochschulraum

Die Hochschulpolitik gestaltet in den letzten Jahrzehnten die Kooperation und den Wettbewerb im schweizerischen und Hochschulraum mit der Absicht, diesen zu effizienter Selbstorganisation anzutreiben. Die Hochschulpolitik fördert mit Finanzierungen (z. B. fördert die EU die eben genannten Hochschulallianzen) und sie legt Rahmenbedingungen fest – beispielsweise Hochschultypen und Zulassungsvoraussetzungen. Die ZHAW positioniert sich in diesem Hochschulraum. Bei meiner Arbeit begleite ich regelmässig die Weiterentwicklung der Studiengänge. Dabei höre ich auch die Erwartung, dass die Bildungsangebote einzigartig sein sollen und Studieninteressierte für diesen Studiengang daher die ZHAW wählen werden. Die Möglichkeiten für eine Alleinstellung im Bildungssystem sind allerdings beschränkt. Denn der Hochschulraum ist darauf ausgerichtet, das verfügbare Wissen optimal in Bildungsangeboten zu organisieren. Unter den Hochschulen besteht ein Wettbewerb, dies in irgendeiner Weise besser als die Konkurrenz zu machen. Gleichzeitig ist es im Hochschulraum gestattet, dass die Konkurrenz erfolgreiche Bildungsangebote kopiert. Auch Lehr- und Lernmedien sind zumindest ausschnittweise und für den Unterricht in einer geschlossenen Gruppe nicht geschützt (siehe den Blog Lizenzierungsmodelle für Bildungsmaterialien). Daher kann eine Hochschule oder ein Studiengang kein gewissermassen mit Lizenzen und Copyright geschütztes Produkt auf dem Markt etablieren und die Konkurrenten beim Ringen um Studierende ausschliessen. Denn der Studiengang vermittelt Wissen und Kompetenzen, die breit etabliert sind. Es kann nicht verhindert werden, dass andere Hochschulen dies auch tun.

Alleinstellung ist schwierig – erfolgreiche Bildungsangebote werden kopiert

Was für eine Art Produkt sind Studiengänge? Die Fachhochschulen der Schweiz bereiten die Studierenden mit wissenschafts- und anwendungsorientiert-forschungsbasierten sowie praxisorientierten Ausbildungen auf die berufliche Tätigkeit vor. Meine etwas kryptische Kurzfassung von Art. 26 im Hochschulförderungs- und -koordinationsgesetz, HFKG, verdeutlicht, wie auf der Ebene der Organisation der Hochschultypen versucht wird, Grenzen zu ziehen und die Fachhochschulen einzuhegen – einen Artikel zur Studiengestaltung der Universitäten gibt es im HFKG nicht. Diese Abgrenzung verhindert aber in keiner Weise, dass die Fachhochschulen Studiengänge entwickeln und anbieten, die die universitären Hochschulen konkurrenzieren könnten. Ganz zu schweigen davon, dass die Konkurrenz unter den Fachhochschulen ausgeschlossen wird. Aus einem einfachen Grund: In Studiengängen werden Wissen und Kompetenzen vermittelt, die öffentlich zugänglich sind. Der Zugang zum State of the Art ist offen und darf von allen genutzt werden – sofern die Hochschule über die Fachpersonen verfügt, die den State of the Art verstehen und vermitteln können. Praxisbezug und Berufsbefähigung, die das HFKG den Fachhochschulen für deren Bildungsangebote vorschreiben, sind auch keine Hürde, um die Fachhochschulen wirksam aus dem Bildungsmarkt zugunsten der Universitäten auszuschliessen. Denn berufs- und praxisorientierte Ausbildungen sind für Studierende attraktiv. Der Hochschultyp Fachhochschule ist hier sicher nicht im Nachteil.

Der Wettbewerb unter den Hochschulen im Bildungsraum zielt auf die Studierenden und damit verbunden auf die Finanzierung der Bildungsangebote und Studiengänge. Denn die staatliche Finanzierung der Bachelor- und Masterstudiengänge durch Bund und Kantone hängt massgeblich von der Anzahl Studierenden und deren Studienumfang ab (FH: Beiträge nach Leistungen in der Lehre). Der Gesetzgeber steuert nur im Grundsatz: Der Bund hat die Zulassungsbedingungen festgelegt (siehe 4. Kapitel des HFKG: Zulassung zu Hochschulen und Studiengestaltung an Fachhochschulen, sowie Zulassungsverordnung FH). Bei diesen Regelungen geht es weniger um die Kompetenzen und Bildungschancen der einzelnen Studierenden als vielmehr um den Versuch, die Bildungswege und Hochschultypen organisatorisch einzuordnen. Auch hier sind die Fachhochschulen – ausser vielleicht bei der Auflage der einjährigen Arbeitswelterfahrung für Gymnasiastinnen und Gymnasiasten – gegenüber den Universitäten in der Schweiz nicht im Nachteil, und die Zugänge werden durchlässig. Selbst bei der Finanzierung bestehen Unterschiede weniger zwischen den Hochschultypen als vielmehr unter den Fachgebieten (siehe Referenzkosten).

Bildungsräume als Mobilitätsräume von Studierenden




Die staatlich organisierte Hochschulbildung beruht auf dem jeweiligen Recht des Landes oder des Kantons. Darstellungen mit Kantons- oder Landesgrenzen erwecken den Eindruck, dass der hochschulpolitisch organisierte Bildungsraum geografisch aufgeteilt sei. Die nachstehend abgebildete Karte «Lage und Grösse der Fachhochschulen in der Schweiz, 2020/21» zeigt die Aufteilung des Schweizer Bildungsraums für die Fachhochschulen, die aus bildungspolitischen Überlegungen vorgesehen worden war (siehe Die Fachhochschulen der Schweiz) und kombiniert diese geografische Aufteilung der Fachhochschulen mit dem Anteil der Studierenden nach Nationalität und Bildungsherkunft. Tatsächlich sind die Grenzen nicht so scharf gezogen: Die Studierenden wählen ihre Fachhochschule nicht entlang von Kantonsgrenzen – allenfalls sind Zugsverbindungen ein Faktor. Ebenso wenig sind die Studiengänge inhaltlich voneinander nach Kantonsgrenzen aufgeteilt.

Keine Sonderstellung: Gemeinsame Inhalte und offene Bildungswege

Für die Organisation von Hochschulbildung sowie für Wettbewerb und Kooperation im Bildungsraum gilt: Die Inhalte von Bildungsangeboten gehören keiner Hochschule, sie entwickeln sich dynamisch weiter in Forschungsverbünden, scientific communities oder in Professionen und in der Berufspraxis. Fachhochschulen und Hochschulen stehen mit all diesen communities in engstem Austausch. Hochschulbildung ist ein gemeinsames Gut: Es wird gemeinsam instandgehalten und weiterentwickelt, gleichzeitig besteht Wettbewerb unter den Hochschulen. Kooperation in der Hochschulbildung ist folglich eine Grundlage und Notwendigkeit. Die Kooperation bei den Inhalten muss nicht grundsätzlich neu organisiert werden, damit Kooperation in der Hochschulbildung möglich wird. Die Aufforderung zur Kooperation betrifft vielmehr die Hochschulen als Organisationen, und die Signale der staatlichen Träger sind ambivalent: Der Bund unterscheidet im HFKG die Hochschultypen und regelt die Zulassung unterschiedlich. Andererseits erwartet und fördert der Bund gestützt auf die Bundesverfassung Durchlässigkeit und Kooperation (siehe Bildungsraum Schweiz). Insgesamt fördert und fordert der Bund den Wettbewerb unter den Hochschulen. Dasselbe gilt auch für die Weiterbildung: Die Eckwerte für die Hochschulweiterbildung legen Spielregeln sowohl unter den Hochschulen als auch gegenüber der höheren Berufsbildung fest. In der Weiterbildung spielen ausserdem private Anbieter eine wichtige Rolle, weshalb die Finanzierung, d. h. der Preis für die Weiterbildungsteilnehmenden, marktkonform und kostendeckend sein muss (siehe Art. 9 WeBiG).

Weder zwischen noch innerhalb der Hochschultypen gibt es somit Möglichkeiten, zu verhindern, dass Hochschulen erfolgreiche Modelle für Bildungsangebote voneinander kopieren, für Studierende weitere attraktive Studiengänge anbieten und so die Konkurrenz unter den Hochschulen erhöhen. Einzig die Vorgabe, dass Bachelor- oder Masterstudiengänge von den zuständigen Stellen der Trägerkantone genehmigt werden, kann sicherstellen, dass bildungs- und hochpolitische Fairness gewahrt bleibt. Doch es ist eben nicht unfair, bereits von anderen Hochschulen angebotene Ausbildungen ebenfalls oder sogar attraktiver anzubieten. Dieser Wettbewerb ist hochschulpolitisch gewollt. Es stehen unterschiedliche Ausbildungswege offen und Bildungseinrichtungen – nicht nur die Hochschulen – buhlen um Studierende und Weiterbildungsteilnehmende.

Das Bildungssystem in der Schweiz


Quelle: Bildungssystem Schweiz

Die erfolgreiche Berufsbildung ist eine Stärke des Bildungssystem in der Schweiz. Neben Gymnasien bilden die Berufsmaturitätsschulen zukünftige Studierende aus (grüner Bereich in der nachstehenden Grafik). Auf der Tertiärstufe (hellblauer Bereich) konkurrenzieren verschiedene Hochschulen und Anbieter der höheren Berufsbildung um diese Studierenden. Neben den üblichen Ausbildungswegen hat die Hochschulpolitik weitere mögliche Wege über Passerellen etc. geschaffen (siehe z. B. Durchlässigkeit zwischen den Hochschultypen – swissuniversities).

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