Gehört die Landwirtschaft in Schweizer Bergregionen bald zum alten Eisen?

Ein Beitrag von Marco Lupi

Abbildung 1: Kulturlandverlust von 1985 – 2009 (BFS, 2013)

Die Landwirtschaft in Berggebieten und dessen Einfluss und Folgen werden kontrovers diskutiert. Hierbei stellt sich die zentrale Frage: Soll in Berggebieten weiterhin Landwirtschaft betrieben werden, oder sollen diese Gebiete der Natur überlassen werden?

Durch den Strukturwandel ist die Anzahl landwirtschaftlicher Betriebe in Bergregionen gesunken, wohingegen die Betriebsgrösse zugenommen hat. Dieser Trend hin zu immer grösseren Betrieben mit intensiverer Nutzung löst Nutzungskonflikte in der Raumplanung topografisch schwieriger Berggebiete aus (siehe Abbildung 1). Am Beispiel von Graubünden sank die Anzahl an Betrieben in 30 Jahren (1990-2020) von 4’597 auf 2’215 (-51.8 %). Gesamtschweizerisch sank die Anzahl an Betrieben im gleichen Zeitraum um 46.8 % von 92’815 auf 49’363 Betriebe (BFS, 2021; Herzog & Seidl, 2018; Horch et al., 2006).

Einerseits ist ein Rückgang in unrentablere und abgelegenere Regionen und somit eine Extensivierung oder Nutzungsaufgabe (I) zu beobachten, andererseits wird die Bewirtschaftung an ertragsreicheren Standorten intensiviert (II) (Horch et al., 2006; SAB, 2018).

Beides wirkt sich negativ auf die Biodiversität aus!

Die Extensivierung oder Nutzungsaufgabe (I) hat zur Folge, dass die weniger oder nicht mehr genutzten Flächen Verganden (Verbuschung von Kulturlandschaften) und somit die Biodiversität gesenkt wird. Dieser Verbuschung kann mittels Herdenmanagement und maschineller Bewirtschaftung entgegengewirkt werden, beides jedoch ist Kosten- und Zeitintensiv und wird nicht aktiv vorgenommen (Herzog & Seidl, 2018; Horch et al., 2006).

Die Intensivierung (II) mittels Düngung, Bewässerung und dem teilweisen Einsatz von Pestiziden führt zu einer Verfettung der Wiesen und zu Stickstoffeinträgen auf den Weiden. Dies wiederum führt zu einer Verdrängung charakteristischer Pflanzen und führt neben der direkten Zerstörung von Lebensräumen zu einer der grössten Gefahren für das Ökosystem und die Biodiversität (BAFU, 2017; SAB, 2018).

Trotz ökologischer Ausrichtung der Agrarpolitik wird sich erst noch zeigen, ob den beiden problematischen Entwicklungen entgegengewirkt werden kann, vor allem in Anbetracht der fortschreitenden Vergandung in Berggebieten (Herzog et al., 2013).

Auch die Ökobilanz sieht nicht besser aus: Die Böden in Bergregionen können wegen den klimatischen, topografischen und strukturellen Bedingungen weniger effizient bewirtschaftet werden als jene im Flachland, weshalb die daraus entstehenden Produkte weniger nachhaltig sind (BAFU, 2017; Flury et al., 2013).

Wieso also noch Landwirtschaft betreiben in Berggebieten?

Gründe für eine Landwirtschaft in Bergregionen bestehen vor allem aus multilateralen Faktoren, u.a. historische, kulturelle, touristische und ökonomische. Im ökonomischen Sinn werden vor allem Labels angesprochen, welche das Prädikat als Produkt von Alpin- und Bergregionen besitzen und somit eine Nachfrage entsprechend ebendieses Labels haben. (Flury et al., 2013; Pötsch et al., 2011).

Ähnliche multilaterale Faktoren wurden mir auch beim Interview mit Martina Menghini-Cortesi genannt, welche im Herbst 2021 eine Entdeckungstour durch die Terrassenlandschaft im Puschlav (GR) leitete.

Sie meinte, dass die Landwirtschaft in Berggebieten die Basis für einen Ort hoher Lebensqualität sei. Durch die Lokalität der kompletten Wertschöpfungskette und der Integration der Akteure (Rohstoffherstellung, Produktion und Konsum) könne die Bevölkerung mit dem Ort verankert werden. Dies führe zu einer Gesunden und auf Wohlbefinden basierten Gesellschaft. Es würden weniger Pestizide verwendet und durch die Regionalität komme es zu weniger Emissionen durch Transporte, was wiederum zu nachhaltigeren Produkten führe (mündliches Interview mit Martina Menghini-Cortesi, Poschiavo, 14.10.2021).

Die Aussagen von Martina Menghini-Cortesi sind persönlicher Natur und decken sich nicht gänzlich mit meiner Literaturrecherche, vor allem jene der Nachhaltigkeit der im Puschlav hergestellten Produkte. Sie zeigen aber, wie wichtig die lokale Landwirtschaft und somit Förderung der lokalen Betriebe aus einer sozio-kulturellen Sicht ist. Unabhängig der Ökobilanz wird hierbei der Mensch in den Vordergrund gestellt und dessen Integrität im Ort selbst.

Werden alle Faktoren berücksichtig, gibt es für mich keine Eindeutige Antwort auf die Titelfrage, wobei mehrere Faktoren und Akteure eine Rolle spielen. Idealerweise wird gar nicht erst mit einer landwirtschaftlichen Bewirtschaftung in Berggebieten begonnen. Wurde jedoch bereits Landwirtschaft betrieben, so soll diese entweder extensiv erfolgen oder bei einer Nutzungsaufgabe sollen die Flächen dennoch bearbeitet werden, um einer Vergandung entgegenwirken zu können. Eine sehr extensive Bewirtschaftung, wie in Sömmerungszonen, was laut dem BAFU (2017) einen hohen Anteil von Biodiversitätsflächen ausmacht, ist aus meiner Sicht zur Förderung oder Erhaltung von Biodiversitätsflächen gut vertretbar.

Am Beispiel des Puschlav zeigt sich der Grund für eine Landwirtschaft in Berggebieten in sozialen, kulturellen und somit gesamtgesellschaftlichen Bereichen – also jene Bereiche, welche für eine Gemeinschaft und dessen Erhalt wichtig sind. Aus ökologischer Sicht macht es aber keinen Sinn, jegliche Waren nach und vom Puschlav zu transportieren, um dann dort ineffiziente Landwirtschaft zu betreiben.

Wir alle leben in Gemeinschaften und sind von diesen unterschiedlich stark abhängig, so dass wir diese explizit erhalten möchten, wie dies auch im Puschlav der Fall ist.


Dieser Blog-Beitrag entstand im Rahmen des Mastermoduls «Agroecology and Food Systems» des Studiengang Umwelt und Natürliche Ressourcen am Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen der ZHAW im Herbstsemester 2021.

Quellen

BAFU, Bundesamt für Umwelt. (2017). Biodiversität in der Schweiz: Zustand und Entwicklung. Ergebnisse des Überwachungssystems im Bereich Biodiversität. Bern: Bundesamt für Umwelt.

BFS, Bundesamt für Statistik. (2013). Die Bodennutzung in der Schweiz. Resultate der Arealstatistik. Neuchâtel: Bundesamt für Statistik BFS.

BFS, Bundesamt für Statistik. (2021). Landwirtschaftliche Betriebe und Beschäftigte nach Kanton. Bundesamt für Statistik BFS.

Flury, C., Huber, R., Tasser, E. (2013). Future of Mountain Agriculture in the Alps. Berlin: Springer-Verlag.

Gresch, P., Haefner, H., Walther, P. (1982). Die Brachlandentwicklung im Obergoms 1970-1980. Zürich: Geografisches Institut der Universität Zürich.

Herzog, F., Hofer, G., Schüpbach, B., Walter, T. (2013). Modellierte Wiederbewaldung im Jahr 2021 und Artenvielfalt im Sömmerungsgebiet. Agrarforschung Schweiz 4 (6): 280–287.

Herzog, F., Seidl, I. (2018). Swiss alpine summer farming: current status and future development under climate change. The Rangerland Journal, 40, S. 501-511.

Horch, P., Jenny, M., Müller, M., Spaar, R., Weibel, U. (2006). Nachhaltige Berglandwirtschaft für das stark gefährdete Braunkelchen. Schweiz: Schweizerische Vogelwarte Sempach, Schweizer Vogelschutz SVS/BirdLife.

Pötsch, E.M., Schneider, M.K., Starz, W., Steinwidder, A., Wachendorf, M. (2011) The future of organic grassland farming in mountainous regions of Central Europe. Grassland Science in Europe, 16, S.286-296.

SAB, Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete. (2018). Das Schweizer Berggebiet 2018. Fakten und Zahlen – mit Sonderteil zum Jubiläum. Bern: Schweizerische Arbeitsgemeinschaft für die Berggebiete (SAB).


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