Webcam «an» oder «aus» im Online-Unterricht? Eine Suche nach Antworten (Teil 1)

Wer zurzeit in der Lehre oder Weiterbildung tätig ist, kennt das beklemmende Gefühl vor einer schwarzen Wand zu sitzen und ins Leere zu referieren. Stumme und leere Kacheln, die nur vermuten lassen, was dahinter passiert oder wer hinter dem dunklen Bild sitzt. Man fragt sich: Sind die Studierenden oder Teilnehmenden eigentlich (noch) da oder bin ich allein mit meinen Ausführungen? Eine kurze Recherche zeigt, dass die Webcam-Thematik auch nach drei Corona-Semestern und trotz Verhaltens-Merkblatt an die Studierenden für Sorgenfalten auf der Stirn der Dozierenden sorgt. Währenddessen stellen sich Studierende bei jeder Online-Veranstaltung weiterhin die Frage: Webcam «an» oder «aus»? Es gibt keine pauschale Antwort auf diese Frage, sie unterscheidet sich massgeblich je nach Rolle, die man im Online-Unterricht einnimmt.

Dieser erste Blogbeitrag möchte die Thematik deshalb aus zwei Blickwinkeln betrachten und nach Gründen suchen, wieso die Haltungen zwischen Dozierenden und Studierenden bzw. Teilnehmenden im Online-Setting so unterschiedlich sind. Denn während Dozierende sich aktive Webcams wünschen, um Teilnehmende auch online sehen zu können, schalten diese die Webcam lieber aus.

«Die Webcam muss immer an sein!»

Aussagen wie die folgenden: «Nur wer seine Webcam eingeschaltet hat, ist auch wirklich präsent.» oder «Wer seine Webcam abstellt, ist sicher mit etwas anderem beschäftigt.» oder auch «Mir fällt es schwer, vor einer schwarzen Wand zu unterrichten.» machen die Runde. Sie implizieren, dass eine aktive Teilnahme an einer Online-Veranstaltung nur möglich ist, wenn die Kamera eingeschaltet ist. Aber stimmt das auch oder sehnen wir uns im Online-Setting einfach nur nach «den guten alten Zeiten« in einem Seminarraum voller interessierter Gesichter oder einem Hörsaal mit aktiven Zuhörerinnen und Zuhörern?

Studien weisen nach, dass Dozierende auf die nonverbale Kommunikation des Publikums angewiesen sind. Lächeln, Stirnrunzeln, Kopfnicken oder verwirrte Blicke ermöglichen in Echtzeit, ein Feedback auf den eigenen Unterricht zu erhalten und diesen bei Bedarf anzupassen. Viele zustimmende und anerkennenden para- und nonverbale Reaktionen haben zudem einen positiven Einfluss auf die Selbsteinschätzung der unterrichtenden Person. Auch im Online-Setting zeigt sich ein positiver Einfluss. Sind Webcams aktiv und der Blickkontakt zu Studierenden möglich, profitiert die Beziehung zwischen Dozierenden und Studierenden und den Studierenden untereinander nachweislich. Ins Leere zu reden empfinden Dozierende hingegen als Belastung. [1] Es gibt also berechtigte Gründe für eine eingeschaltete Webcam.

«Ich schalte die Webcam nur ein, wenn es sein muss!»

Obwohl die positiven Aspekte der Webcam-Nutzung nicht nur aus der subjektiven Perspektive der Dozierenden überwiegen, zeigt sich in der Realität, dass viele Studierende die Webcam im Verlauf einer Veranstaltung ausschalten oder gar nicht erst einschalten. Dahinter wird oft Desinteresse und Passivität seitens der Studierenden vermutet. Doch so einfach lässt sich das Verhalten der Teilnehmenden von Online-Veranstaltungen nicht einordnen.

Auch Dozierende verbringen viel Zeit online in der Teilnehmenden-Rolle. Wir alle kennen deshalb das Gefühl der Erschöpfung nach einem langen Tag in Videokonferenzen, für das es mittlerweile sogar einen Fachbegriff gibt: die «Zoom-Fatigue» («Zoom-Müdigkeit», wobei Zoom als Stellvertreter für jede beliebige Videokonferenz-Plattform steht). Eine Studie der US-amerikanischen Stanford University identifiziert vier mögliche Erklärungen für die «Zoom-Fatigue»:

  • intensiver Blickkontakt aus geringer Distanz,
  • eingeschränkter Bewegungsspielraum,
  • ständiges Betrachten des eigenen Videos und
  • erhöhte kognitive Belastung für Sender und Empfänger.

Zoom-Fatigue betrifft Studierende wie auch Dozierende gleichermassen und ist sicherlich eines der Hauptgründe dafür, dass Webcams ausgeschaltet werden. [2]

Eine Studie der Cornell University in den USA geht einen Schritt weiter und hat bei Studierenden direkt nach den Gründen für deaktivierte Webcams gefragt. Die Ergebnisse lassen aufhorchen: Studierende stört am meisten, sich konstant selbst im Bildschirm zu sehen und sich dadurch Gedanken über das eigene Aussehen zu machen. Studierende haben zudem das Gefühl, immer von anderen beobachtet zu werden. Ausserdem ist es ihnen unangenehm, dass die Webcam Einblicke in ihr Zuhause gibt und evtl. sogar Personen aus dem eigenen Haushalt im Bild zu sehen sind. Interessanterweise wird die Webcam auch aus Rücksicht auf die Dozierenden ausgeschaltet – um sie nicht vom Unterrichten abzulenken. Eine kleine Anzahl von Befragten gab schliesslich an, dass sie gar keine Webcam besitzen oder dass diese nicht funktioniert. Auch eine schwache oder instabile Internetverbindung wurde als Grund genannt. Eine letzte weitere Erkenntnis der Umfrage ist die Gruppendynamik: Über 50% der Befragten gaben an, dass sie die Webcam nicht einschalten, wenn andere Teilnehmende auch darauf verzichten.

Die Studie kommt deshalb zum Schluss, dass von Studierenden nicht verlangt werden kann, dass sie ihre Webcam im Unterricht einschalten, sondern dass Alternativen angeboten werden sollten. Sie leitet folgende Empfehlung für Dozierende ab:

  • Studierende zur Verwendung der Webcam ermutigen und ihnen den Nutzen und Mehrwert der aktivierten Webcam aufzeigen,
  • den Einsatz der Webcams mit den Studierenden diskutieren und gemeinsame Spielregeln für den Unterricht definieren,
  • gezielt und häufiger Webcam-Pausen einbauen, um der Zoom-Fatigue entgegenzuwirken und
  • aktivierende Gestaltung des Unterrichts und Einbau von Feedbackmöglichkeiten als wichtige Instrumente, um die Akzeptanz der Webcam-Nutzung zu erhöhen. [3]

Soviel im ersten Teil zum Thema Webcam «an» oder «aus» im Online-Unterricht? Im zweiten Blogbeitrag (Teil 2) liegt der Fokus auf konkreten Tipps. Wie werden Studierende motiviert, ihre Webcam im Online-Unterricht einzuschalten? Wie gestaltet man Unterricht mit deaktivierter Webcam? Welche Entscheidungshilfen unterstützen Dozierende auf der Suche nach der besten Lösung für die Online-Lehre? Antworten auf diese Fragen gibt es in Kürze auf diesem Blog.


Ressourcen

Titelfoto: Photo by Chris Montgomery on Unsplash

[1] Mottet, T. P. (2000). Interactive television instructors’ perceptions of students’ nonverbal  responsiveness and their influence on distance teaching. Communication Education, 49(2), 146–164. https://doi.org/10.1080/03634 52000 9379202

[2] Fauville, Geraldine and Luo, Mufan and Queiroz, Anna C. M. and Bailenson, Jeremy N. and Hancock, Jeff, Zoom Exhaustion & Fatigue Scale (February 15, 2021). Available at SSRN: https://ssrn.com/abstract=3786329 or http://dx.doi.org/10.2139/ssrn.3786329

[3] Castelli FR, Sarvary MA. Why students do not turn on their video cameras during online classes and an equitable and inclusive plan to encourage them to do so. Ecol Evol. 2021;11:3565–3576. https://doi.org/10.1002/ece3.7123

Schlagwörter: Umgang mit Webcams

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