Führen digitale Technologien zu interaktiverem Unterricht?

Im letzten Beitrag haben wir gesehen, dass unsere Studierenden heute während des Unterrichts vermehrt digital und vernetzt arbeiten. Während die Lehrperson vorne etwas präsentiert hören die Studierenden nicht nur zu und schreiben mit, sondern sie recherchieren auch gerne und oft nach Zusatzinformationen, schlagen Begriffe nach und fügen gleich alles zu einer eigenen Zusammenfassung zusammen. Wenn es dann mal nicht so spannend ist, wird nebenbei auch gerne mit anderen kommuniziert oder auf Social Media nachgeschaut, ob sich andere gerade mit etwas Interessanterem beschäftigen.  

Die Studierenden für ihren Teil sind also während des Unterrichts ziemlich aktiv auf ihren Geräten, wenn auch nicht immer im Sinne des Lernens. Mit den Notebooks und Tablets haben die Studierenden mehr Interaktionsmöglichkeiten erhalten, um während des Unterrichts mit den anwesenden Akteuren im Raum und der Aussenwelt zu interagieren. Es stellt sich allerdings die Frage, ob diese neuen Interaktionsmöglichkeiten der Studierenden auch einen Einfluss darauf haben, wie die Lehrpersonen ihren Unterricht gestalten und ob sie in den neuen, digitalen Möglichkeiten auch einen didaktischen Mehrwert sehen.

Hierfür haben wir die Lehrpersonen befragt, welche papierlose Klassen in den Bachelorstudiengängen in Biotechnologie (1. Semester), Facility Management (1. Semester) und Umweltingenieurwesen (Alle) unterrichten.

Wenig digital unterstützte Szenarien im Unterricht

Die untenstehenden Antworten der Lehrpersonen zeigen, dass sie im Unterricht digitale Hilfsmittel eher zurückhaltend einsetzen. Nur 24% nutzen regemässig Unterrichtszenarien, bei denen die studentischen Geräte als digitale Werkzeuge aktiv in eine Lernaktivität miteinbezogen werden. Lernszenarien, die auf Papier angewiesen sind, sind damit weiter verbreitet als jene, die auf digitale Technologien angewiesen sind.

Kreativitätstechniken, SWOT-Analysen in Gruppen etc. funktionieren besser mit Papier als auf digitalen Mindmaps.

Ich habe keine Berührungsängste mit den neuen Medien und setze sie seit Jahren immer wieder mal ein. Ich denke aber, dass mit der papierlosen Strategie viele Optionen auch eingeschränkt werden. Man kann z.B. keine “Auslageordnung” auf 20 x 30 cm Bildschirm machen.

Die Auswertung zeigt allerdings auch, dass 50% der Lehrpersonen seit der Umstellung auf den papierlosen Unterricht mindestens teilweise mehr digitale Lernaktivitäten im Unterricht nutzen. Offenbar resultiert dieser vermehrte Einbezug der studentischen Tablets und Notebooks aber nicht immer in einer erhöhten Interaktivität.

Live-Umfragen, Wissenstests und Übungen bei Studierenden beliebt

Fragt man die Studierenden, finden 10%, dass der Unterricht regelmässig lebhaft und interaktiv gestaltet ist. 19% finden ihn hingegen nur wenig bis gar nicht interaktiv und die Mehrheit bewegt sich irgendwo dazwischen. Studierende, die sich kritisch geäussert haben, wünschen sich im Unterricht weniger PowerPoint, dafür mehr Live-Umfragen, Wissenstests und Übungen, also alles Aktivitäten, bei denen sie aktiver gefordert sind:

Eigentlich arbeiten alle Dozenten mit PDF oder PPP, die neuen Möglichkeiten die durch das Papierlose Studium entstehen, wie eben solche Wissenstests werden kaum gebraucht, das ist schade!

Mehr die Möglichkeiten ausnutzen. Sehr viele Dozenten führen den Unterricht genau gleich, wie wenn wir Papier vor uns hätten.

Der Unterricht ist je nach Dozent überhaupt nicht interaktiv gestaltet (“Powerpoint-Vorträge” sind oft vertreten). Es werden auch praktisch keine Live-Umfragen oder Übungen durchgeführt.

Mehr Live-Umfragen und Wissenstest, hatten wir schon vor 2 Jahren an der ETH oft gemacht, ist ein guter Indikator und da sowieso alle papierlos sind, kann jeder, ohne Probleme mitmachen.

Es wären viel mehr interaktive Möglichkeiten vorhanden, als tatsächlich genutzt werden. Unterricht mehrheitlich langweilig gestaltet.

Live-Umfragen und kurze Wissenstest können gut mit technologischen Hilfsmittel durchgeführt und ausgewertet werden. An der ZHAW gibt es dafür z.B. die Moodle Aktivität Test oder das Mobile Response Tool. Sie sind eine einfache, aber effiziente Methode um die Studierenden in der Vorlesung zu aktivieren und die Antworten können als Ausgangspunkt für Diskussionen und Peer-Instruktion genutzt werden, vor allem auch bei grossen Klassen. Das scheinen auch die Lehrpersonen gemerkt zu haben, denn Live-Umfragen und Wissenstests sind mittlerweile bereits schon fast so beliebt wie Präsentationen. Eine weitere beliebte Aktivität sind Internetrecherchen während des Unterrichts, das macht ebenfalls Sinn, wenn man bedenkt, dass über 60% der Studierenden während des Unterrichts regelmässig Informationen im Internet nachschlagen.

Brücken bauen zwischen menschlicher und technologischer Interaktion

Wenn es um Interaktivität und digitale Technologien im Unterricht geht, sind die Lehrpersonen zu Recht skeptisch. Schliesslich findet die Interaktivität oft auf den studentischen Geräten statt und die Lehrperson bekommt davon nur die negativen Effekte zu spüren, wie z.B., dass die Studierenden in den Bildschirm schauen statt Augenkontakt mit der Lehrperson zu suchen. Es überrascht daher nicht, dass sie auf die Frage, ob die Notebooks und Tablets die Interaktion im Unterricht erhöhen zu 63% mit Nein geantwortet haben.

Die digitalen Medien und Technologien verändern die Art und Weise, wie Studierende und Lehrpersonen miteinander, untereinander und mit der Umwelt interagieren. Damit diese Veränderung für das Lernen einen Mehrwert bietet, braucht es ein Unterrichtskonzept, welches diese neuen Möglichkeiten in der Methodik und Didaktik berücksichtigt.   

Man kann nun natürlich argumentieren, dass im Zentrum des Unterrichts die Interaktion zwischen den Studierenden und der Lehrperson steht und dafür keine digitalen Technologien benötigt werden; schliesslich kann man auch ohne digitale Technologien miteinander diskutieren – oft sogar besser.

Das papierlose Studium macht das Unterrichten angenehmer, ermöglicht punktuell, neue Methoden auszuprobieren und macht Spass. Es stellt aber keine grundlegende Revolution des Unterrichts dar, da Unterricht im Wesentlichen von der Didaktik und sozialen Interaktion geprägt wird und nicht von einer technischen Möglichkeit. In dieser Hinsicht bietet die Digitalisierung zwar interessante Ansätze und Optionen, eröffnet aber keine neuen Dimensionen.

Die Vorbereitung lässt sich verbindlicher einfordern. Dadurch sind die Studierenden (meist) besser vorbereitet, es ergibt sich mehr Zeit für Übungen und Diskussionen. Die andere Möglichkeit ist der bewusste Kontrast: bestimmte Sequenzen bewusst und mit Ansage ohne Laptop/Tablet durchführen.

Als Lehrperson kann man sich des klassischen Methodenkoffers bedienen und digitale Hilfsmittel im Unterricht bis zu einem gewissen Grad ignorieren, in dem man mit Flipcharts, Pinnwänden und Whiteboard arbeitet und die digitalen Arbeitstechniken mehrheitlich den Studierenden überlässt. Man kann auch gewisse Sequenzen ganz bewusst ohne digitale Technologien durchführen.

Trotzdem bekommen Lehrpersonen die allgegenwärtige Verfügbarkeit von digitalen Technologien im papierlosen Studium zu spüren, denn einmal auf das papierlose Studium umgestiegen, nutzen die Studierenden ihre Geräte als produktive Werkzeuge für das digitale Arbeiten, unabhängig davon, ob die Lehrperson im Unterricht darauf eingeht oder nicht. Der Einfluss der Lehrperson auf diese „unsichtbaren“, digitalen Aktivitäten ist relativ gering, es sei denn, sie bindet die verfügbaren Technologien aktiv als Werkzeuge in den Unterricht mit ein. Damit erhält sie nämlich eine Möglichkeit, mitzusteuern, welche Aktivitäten die Studierenden auf ihren Geräten während des Unterrichts ausführen.

Das können nebst den oben aufgeführten Aktivitäten wie Live-Umfragen, Wissenstests oder Internetrecherche auch die Nutzung sog. Backchannels für Fragen sein oder das Teilen und gegenseitige Ergänzen von studentischen Notizen und Zusammenfassungen aus dem Unterricht.

Ein solches Unterrichtskonzept fordert ein gutes Zusammenspiel von Methodik, Didaktik und Technologie – sozusagen einen digital ergänzten Methodenkoffer – der es den Lehrpersonen erlaubt, die aktive Nutzung digitaler Technologien in den Unterricht einzubinden. Die Herausforderung besteht vor allem darin, die neu gewonnenen Interaktionsmöglichkeiten zwischen Mensch und Maschine so zu nutzen, dass sie in die soziale Interaktion zwischen den Studierenden und der Lehrperson einfliessen. Damit könnte das papierlose Studium das Lernen im Unterricht nämlich nicht nur aus technologischer, sondern auch aus zwischenmenschlicher Sicht interaktiv bereichern.

Die Evaluation zeigt uns ganz klar, dass wir noch nicht an diesem Punkt angekommen sind und wir die Lehrpersonen dabei unterstützen müssen, diesen digital unterstützen Methodenkoffer für ihren Unterricht aufzubauen.


1 Kommentar

  • Ja, wir hätten den Kommentar mit Bezug zur ETH auch zensieren können, aber wir stehen hier für Transparenz und gönnen ihnen die Blumen. Ausserdem nutzen auch unsere Lehrpersonen bereits zu über 50% Wissenstests im Unterricht, das ist eine gute Bilanz, auch wenn wir hier manchmal etwas selbstkritisch klingen.


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert