Studieren mit Behinderung unterstützen – neue Merkblätter der Arbeitsgruppe Didaktik im Netzwerk Studium und Behinderung Schweiz

Ein Beitrag von Brian McGowan und Svenia Schneider-Wulf

Foto: Yomex Owo/Unsplash

Wie gestalte ich als Lehrperson ein Gespräch, wenn eine Studentin mit Hörbehinderung mein Seminar besucht? Wie erläutere ich in meiner Vorlesung eine Grafik, wenn ein Student nichts sieht?

Neue Merkblätter für Lehrpersonen
Für Studierende mit Behinderungen ist die Teilnahme am Hochschulleben nach wie vor häufig von Hindernissen und Herausforderungen geprägt. Dies betrifft neben dem baulichen Zugang unter anderem auch den Zugang zum Unterricht selbst. Seit einigen Jahren widmet sich das nationale Netzwerk Studium und Behinderung Schweiz (Swissuniability) der Förderung der Chancengleichheit von Studierenden mit Behinderungen – auch im Bereich der Didaktik. «Leading House» des Netzwerks ist die ZHAW.

Im Rahmen dieses Netzwerks wurden Merkblätter mit Informationen und Tipps für Lehrpersonen erarbeitet, wie ein hindernisfreier Zugang zum Unterricht gestaltet werden kann. Die Merkblätter geben Informationen für eine offene Kommunikation und konkrete Vorschläge für den Umgang mit Studierenden mit Behinderungen und stellen damit eine erste Orientierung für Lehrende dar. Sie enthalten Hinweise u.a. zur Ausgestaltung von unterstützenden Massnahmen und zur Beseitigung von Benachteiligungen sowohl für Lehrveranstaltungen als auch für Prüfungen. Die Merkblätter gliedern sich nach den Bedürfnissen unterschiedlicher Zielgruppen und Behinderungen (ADHS, Autismusspektrumsstörung, Hör-, Seh- oder Mobilitätsbehinderung, LRS und psychische Behinderungen) und können hier kostenfrei heruntergeladen werden.

Hindernisfreie Hochschullehre an der ZHAW
Die Erarbeitung der vorliegenden Merkblätter und die Bereitstellung von Informationen stellt für die hindernisfreie Lehre an der ZHAW einen zentralen Baustein dar. Daneben ist es wichtig, die Hochschullehrenden auch mit aktiven Massnahmen zu begleiten. Um eine praktische Auseinandersetzung mit den Inhalten der hindernisfreien Didaktik zu etablieren und den zahlreichen Einzelanfragen mit einer strukturellen Antwort begegnen zu können, hat die Stabsstelle Diversity der ZHAW daher bereits 2016 mit der Ausarbeitung entsprechender Massnahmen zur Umsetzung einer hindernisfreien Didaktik begonnen.

Neben Merkblättern wurden Weiterbildungsmodule zum Thema «Hindernisfreie Didaktik an der ZHAW» entwickelt, in denen Dozierende geschult und für die Hindernisse im Unterricht für Studierende mit Behinderungen sensibilisiert werden. Die Module wurden in den vergangenen Jahren an verschiedenen Departementen durchgeführt und weiterentwickelt und sind heute u.a. Bestandteil des CAS Hochschuldidaktik.

Ein Mehrwert für alle Studierenden
Im Dialog mit den Studierenden und Lehrenden zeigt sich dabei immer wieder, dass die Umsetzung einer hindernisfreien Didaktik allen Studierenden zugutekommt und für alle einen Mehrwehrt darstellt. Um zu den Anfangsfragen zurückzukehren: wenn ein Gespräch moderiert wird, profitiert nicht nur die Studentin mit Hörbehinderung, welche von den Lippen ablesen muss und deshalb darauf angewiesen ist, dass nicht alle gleichzeitig sprechen. Von einem klar strukturierten und moderierten Gespräch profitieren alle. Und wenn die Lehrperson den Kerngehalt einer Grafik in Worten zusammenfasst, dann stellt dies nicht nur für den Studenten mit Sehbehinderung einen Mehrwert dar, sondern führt zu einer Verbesserung für alle.

Solche Ansätze verbessern das didaktische Setting. Sie zeigen ausserdem, wie Abkommen zur Förderung der Gleichstellung in der Gesellschaft allen dienen können. Die UN-Behindertenrechtskonvention (kurz: UN-BRK) trat 2008 in Kraft. Von der Schweiz wurde sie 2014 ratifiziert. Sie verpflichtet die Vertragsstaaten, ihre Angebote so zu gestalten, dass Menschen mit Behinderungen ohne Diskriminierung an allen gesellschaftlichen Bereichen, so auch der Hochschulbildung teilhaben können. Art. 24 Abs. 5 der Konvention schreibt das Recht auf einen diskriminierungsfreien und gleichberechtigten „Zugang zu allgemeiner Hochschulbildung, Berufsausbildung, Erwachsenenbildung und lebenslangem Lernen“ fest. Die Merkblätter verdeutlichen, wie dieser von der UN-BRK formulierte normative Anspruch an Hochschulen konkret umgesetzt werden kann.

Neben der Beseitigung von baulich-technischen wie auch von betrieblichen Hindernissen ist es vor allem die Weiterentwicklung der Hochschuldidaktik hin zu einer hindernisfreien Hochschullehre, die sich als zentrales Thema für die Hochschulen aus der UN-BRK ableiten lässt. Die hindernisfreie Hochschullehre verfolgt das Ziel, für die unterschiedlichen Bedürfnisse aller Studierenden, ob mit oder ohne Behinderungen zu sensibilisieren. Dazu gilt es, sich mit diversen Lernausgangslagen, die das Erlangen eines Hochschulabschlusses erleichtern oder erschweren können, auseinanderzusetzen und eine Didaktik zu entwickeln, die den Zugang aller zum Unterricht sicherstellt.

Auf dem Weg zu einer inklusiven Didaktik
Die nun vorliegenden Merkblätter zur Thematik der hindernisfreien Didaktik konzentrieren sich auf die Bedürfnisse von Menschen mit Behinderungen. Um eine inklusive Didaktik zu entwickeln, gilt es, zudem auch die Anliegen von weiteren von Benachteiligungen betroffenen Gruppen in den Blick zu nehmen (z.B. LGBTIQ, PoC). Die Hochschullehre der Zukunft wird sich in diese Richtung weiterentwickeln, um inklusiv zu werden und zu bleiben und sich dabei mit den Stossrichtungen des Konzeptes „Universal Design of Learning“ auseinandersetzen.

Swissuniability | Netzwerk Studium und Behinderung
Das Netzwerk Studium und Behinderung Schweiz (Swissuniability) ist ein Zusammenschluss aller Schweizer Hochschulen zur Förderung der Gleichstellung von Studierenden mit Behinderungen und unterhält verschiedene Arbeitsgruppen, unter anderem auch zur Thematik der hindernisfreien Didaktik.
Gegründet wurde das Netzwerk mit dem Ziel, sich zu vernetzen und Informationen zu koordinieren. Darüber hinaus verfolgt es das Ziel, praxisrelevantes Wissen zu erarbeiten, auszutauschen und Schweizer Bildungsinstitutionen zur Verfügung zu stellen. Es existiert seit 2013 als loser Zusammenschluss und wurde 2018-2020 im Rahmen des Projektes «Professionalisierung des Netzwerks Studium und Behinderung Schweiz» im Swissuniversities Programm P-7 Chancengleichheit und Hochschulentwicklung gefördert und ausgebaut. Seit 2019 unterhält das Netzwerk die gemeinsame Webseite www.swissuniability.ch mit Informationen rund um die Thematik „hindernisfreie Hochschule“.


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