Generative Künstliche Intelligenz – Integration in den Unterricht mit Hilfe von didaktischen Modellen

Generative Systeme Künstlicher Intelligenz (KI) gehören zur neuen Studien- und Berufsrealität. Die ZHAW-weite Richtlinie über die Verwendung generativer KI-Systeme bei Leistungsnachweisen gibt kurzfristig Orientierung zu bildungsbetrieblichen Opportunitäten, wie beispielsweise die wissenschaftliche Integrität gewahrt werden kann. Die Integration neuer Technologien in den Unterricht ist hingegen eine längerfristige Aufgabe, welche vor allem dezentral und fachspezifisch in den Studiengängen und Weiterbildungen geleistet wird. Didaktische Modelle und Konzepte aus der Medienbildung können hierfür eine wertvolle Hilfestellung sein.

Ein Beitrag von Marcel Mösch und Lisa Messenzehl

Bildung verändert sich laufend. Eine zunehmend digitalisierte Welt verändert die Rahmenbedingungen des Lehrens, Studierens und Lernens zusätzlich. Bildungseinrichtungen stellen sich kontinuierlich die Frage, wie sie die Lernenden bestmöglich beim Kompetenzerwerb begleiten können. Seit geraumer Zeit spielen dabei auch Digital Skills oder Digital Literacy eine prägende Rolle. Für eine strukturierte Integration von digitalen Aspekten in die Bildungsaktivitäten verwenden Bildungsakteure passende Modelle und Konzepte als Hilfsmittel. Um generative Systeme Künstlicher Intelligenz (KI) wie beispielsweise ChatGPT für den Unterricht einzuordnen, ist das nachfolgend vorgestellte Dagstuhl-Dreieck ein mögliches Modell.

Das Dagstuhl-Dreieck stammt aus der Informatik-Didaktik und Medienpädagogik. Es resultierte 2016 aus einem GIDagstuhl Seminar und liegt hier in einer 2018 durch Beat Döbeli Honegger und Renate Salzmann überarbeiteten Abbildung vor.

Abb. 1: Dagstuhl-Dreieck, 2018

Mit dem Dagstuhl-Dreieck kann eine Einordnung von allen digitalen Phänomenen vorgenommen werden. Dabei werden drei Bezugspunkte betrachtet:

  1. Technologische Perspektive:
    Bei dieser Perspektive ist die Kernfrage, wie eine Technologie funktioniert. Somit werden auf dieser Ebene die Funktionsweise, zugrunde liegende Technologien und Implementierung untersucht. Es werden also Aspekte wie Maschinenkomponenten, Software-Architektur oder Algorithmen erörtert und damit beschrieben, wie eine Technologie entworfen, programmiert und umgesetzt wurde.
  2. Gesellschaftlich-kulturelle Perspektive:
    Die Kernfrage ist, wie sich eine Technologie auf die Gesellschaft und deren Kultur(en) auswirkt. Diese Perspektive umrahmt folglich den Einfluss eines Phänomens auf die Lebenswelt der Menschen.
  3. Anwendungsorientierte Perspektive:
    Bei dieser dritten Perspektive schliesslich ist die Kernfrage, wie eine Technologie genutzt bzw. eingesetzt werden kann. Soll eine Technologie zum Einsatz kommen, müssen Menschen befähigt werden, entsprechende Werkzeuge in den Arbeitsprozess zu integrieren und zu bedienen.

In Hinblick auf eine Integration von beispielsweise ChatGPT in den Unterricht kann gemäss Dagstuhl-Dreieck nachfolgende Einordnung vorgenommen werden. Dies kann für Lehrende eine strukturelle Hilfe sein, um die vielschichtigen Auswirkungen von neuen Technologien in der fachspezifischen Studien- und Berufsrealität zu thematisieren. Die nachfolgende Einordnung ist exemplarisch und nimmt punktuell auf die ZHAW Bezug.

1. Technologische Perspektive

  • ChatGPT ist ein Computerprogramm, das darauf trainiert wurde, Sprache zu verstehen und darauf zu reagieren. Es basiert auf einer fortschrittlichen Technologie namens GPT-3.5, die wie ein großer Würfel funktioniert. Jeder Würfel hat viele Seiten, und jedes Mal, wenn ChatGPT eine Frage beantwortet oder eine Antwort liefert, wählt es eine Seite des Würfels aus. Je mehr Seiten der Würfel hat, desto mehr Möglichkeiten hat ChatGPT, um eine gute Antwort zu geben.
  • ChatGPT wurde mit einer grossen Menge an Texten trainiert und generiert auf der Basis dieser Trainingsdaten und der statistischen (Würfel-)Muster eine menschenähnliche Antwort auf unterschiedliche Eingaben (auch Prompt genannt). Die KI hat kein wirkliches Verständnis von Sprache und für Inhalte, sondern erkennt und reproduziert Texte lediglich aufgrund von statistischen Mustern.

2. Gesellschaftlich-kulturelle Perspektive

  • Genereller Einfluss von KI auf die Arbeitswelt: In den 2023 erschienenen OECD-Working-Papers The impact of AI on the workplace: Evidence from OECD case studies of AI implementation wird u.a. besprochen, dass eine grosse Bandbreite von Aufgaben und Arbeitnehmenden von den Auswirkungen von KI-Anwendungen betroffen sind, dass Routinearbeiten durch KI vermehrt automatisiert werden können oder dass auf dem Arbeitsmarkt eine starke Nachfrage nach KI-spezifischen Kompetenzen besteht. Wir gehen davon aus, dass KI für sämtliche Fachbereiche und Berufsfelder, in denen die ZHAW Studiengänge und Weiterbildungen anbietet, relevant ist und diese in irgendeiner Weise beeinflussen wird.
  • Ein neues Phänomen: Auch wenn der Einsatz von generativen KI-Systemen in einigen Lehrgängen der ZHAW bereits zum Alltag gehört, ist das Phänomen für viele Bildungskontexte noch neu. Aus diesem Grund wird es Zeit brauchen, bis sich eine Integration im Sinne von Lehren mit KI, Lernen über KI und Lernen mit KI etabliert.
  • Qualität: Die von ChatGPT generierten Texte sind sprachlich meist von erstaunlich guter Qualität. Weil aber KI den Output aufgrund von Wahrscheinlichkeiten generiert und gleichzeitig kein echtes Verständnis für den Inhalt des Outputs hat, ist nicht garantiert, dass der generierte Output auch inhaltlich korrekt ist. Es wäre somit fatal, sich beim Arbeiten alleinig auf den KI-Output zu stützen.
  • Schreiben als Arbeits- und Argumentationstechnik: Auch wenn ChatGPT beim Schreiben eine enorme Unterstützung sein kann, ist es wichtig, dass Studierende verstehen, dass es beim Schreiben nicht ausschliesslich um den Output geht. Schreiben ist mehr als nur geschriebener Text. Schreiben ist ein zentrales Denk-, Lern- und Kommunikationsinstrument. Durch das Schreiben lernen die Studierenden, ihre Gedanken zu strukturieren und gemäss einer fachspezifisch anerkannten Sprache zu argumentieren. Dies zu lernen, ist für eine Karriere in der Wissenschaft und in der Wirtschaft gleichermassen wichtig.
  • Kognitives Anspruchsniveau: Weil durch KI neue Hilfsmittel zur Verfügung stehen, wird das Anspruchsniveau in wissenschaftlichen, beruflichen und gesellschaftlichen Kontexten ansteigen. Der Umgang mit generativen KI-Systemen wird Teil der Digital Literacy. Es müssen neue Kompetenzen erworben werden und es ist davon auszugehen, dass sich die Kompetenzschere weiter öffnet. In Bezug auf den Einsatz von ChatGPT könnte beispielsweise zur Praxis werden, dass es für die sprachliche Korrektheit von Seminararbeiten keine Punkte mehr gibt, sondern dass bei mangelhaftem sprachlichen Ausdruck Punktabzüge resultieren: Die sprachliche Korrektheit und der damit einhergehende kompetente Umgang mit KI werden somit als Voraussetzung definiert. Dies wird gemäss Prof. Dr. Alice Delorme Benites am Institut für Übersetzen und Dolmetschen wegen des Einsatzes von übersetzungsspezifischen KI-Tools bereits praktiziert.

3. Anwendungsorientierte Perspektive

  • Hilfsmittel: Der Einsatz von ChatGPT kann in vielerlei Kontexten erfolgen, zum Beispiel um einen Text in eine andere Sprache oder Schreibperspektive zu übersetzen, um Texte zu vergleichen oder zusammenzufassen sowie um Texte zu korrigieren oder umzuformulieren. Studierende können ChatGPT einsetzen, um den Schreibprozess zu unterstützen, zum Beispiel beim Entwerfen von Projektideen oder fürs Umformulieren von bereits verfassten Texten. Dozierende können ChatGPT beispielsweise für das Produzieren von Lehrmaterialien oder Verfassen von Informationstexten verwenden.
  • Integration in den Unterricht: Damit Studierende den fachspezifischen Umgang mit ChatGPT üben können, wird diese KI als Arbeitswerkzeug in Unterrichtsaktivitäten integriert. So schreiben beispielsweise die Studierenden in Projektmodulen von Dr. Kurt Pernstich an der School of Engineering technische Berichte unter Verwendung von ChatGPT.
  •  Information und Befähigung: Irene Arnold und Prof. Dr. Christian Coenen vom Institut für Facility Management haben den Einsatz von verschiedenen KI-Tools in den Forschungs- und Schreibprozess mit Studierenden eines Bachelor-Lehrgangs am Institut für Facility Management diskutiert und gemäss folgender Abbildungen zusammengefasst.
Abb. 2 und 3: Darstellung Tätigkeiten und KI-Tools beim wissenschaftlichen Schreiben, 2023

  • Wie bei einer Suchanfrage bei einer Suchmaschine ist es auch bei der Nutzung von ChatGPT zielführend, wenn eine Eingabe nach bestimmten Mustern erfolgt. Je fokussierter eine Eingabe ist, umso besser kann die KI den Output generieren.

Diese exemplarisch vorgenommene Einordnung bildet die Basis für die weiterführende didaktische Auseinandersetzung. Es gilt folglich für einzelne Module und/oder Lehrgänge einen didaktischen Rahmen zu bilden. Dabei wird festgelegt, welche Aspekte in welcher Tiefe thematisiert und welche Bezugspunkte bewusst weggelassen werden. Wichtig erscheint aus Sicht des Kompetenzerwerbs, dass alle drei Perspektiven angemessen berücksichtigt werden.

Damit eine zukunftsorientierte Integration von ChatGPT und anderen generativen KI-Systemen in den Unterricht gelingt, sind eine initiale Einordnung und eine nachfolgende didaktische Analyse nicht nur sinnvoll, sondern notwendig. Ob dabei das oben vorgestellte Dagstuhl-Dreieck, das daraus 2019 weiterentwickelte Frankfurt-Dreieck zur Bildung in der digital vernetzten Welt oder andere Modelle verwendet werden, ist von unterschiedlichen Entscheidungskriterien (z.B. Zielgruppe, Kontext des Bildungsangebots etc.) abhängig. Zudem muss ebenfalls bedacht werden, dass aufgrund der hohen Dynamik der technologischen Entwicklung eine didaktisch sinnvolle Integration von digitalen Hilfsmitteln ein kontinuierlicher Prozess ist. Dabei wirkt Technologie zwar als Treiber, sie ist jedoch nicht der Kern der Lehr-Lernprozesse. Technologie fungiert in der Bildung als ein Hilfsmittel, um das Ziel des Kompetenzaufbaus der Studierenden zu erreichen.

Für viele Angehörige an der ZHAW hat die KI-Reise bereits Fahrt aufgenommen, andere sind noch in den Startlöchern. In diesem Zusammenhang verweisen wir die Dozierenden gerne auf den neuen Weiterbildungskurs «Generative KI in Lehre und Weiterbildung» für Lehrpersonen aller Fachbereiche, welcher von der School of Engineering in Zusammenarbeit mit dem Centre for Artificial Intelligence, dem Institut für Angewandte Informationstechnologie und dem Institute of Language Competence angeboten wird.


Abbildungen

Titelbild: Generiert mit gencraft mit folgenden prompt: «Students and teachers in a triangle, discussing about digital skills».

Abbildung 1: Pädagogische Hochschule Schwyz Medien und Informatik – PHSZ – Grafiken unter CC-Lizenz

Abbildung 2 und 3: Arnold, I./Coenen, C. (2023): Webinar zum Einsatz von generativen KI-Tools beim Wissenschaftlichen Schreiben, 05. April 2023, BSc FM, ZHAW-IFM, Wädenswil


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