Teure heile Welt der Werbekuh Lovely

Ein Beitrag von Jasmin Hufschmid

Abbildung 1: Kommentierte Werbung von swissmilk mit Kuh Lovely. Bild Talina Steinmetz (1)

«Von so viel Zeit draussen können viele nur träumen» und «Echt stark, unsere Kühe können auch im Winter regelmässig raus» sind Pointen, die vielen Schweizer*innen ein Begriff sein dürften. Weniger bekannt ist, dass Steuerzahlende mit mehreren Millionen Franken pro Jahr das inszenierte Leben der horntragenden und auf saftigen Wiesen grasenden Werbekuh Lovely mitfinanzieren.

62 Millionen Franken Absatzförderung

Zur Förderung schweizerischer Landwirtschaftsprodukte unterstützt der Bund, im Rahmen der Absatzförderung, Marketing- und Kommunikationsmassnahmen der Branchenorganisationen. Dies mit bis zu 50 Prozent der anrechenbaren Kosten. Übergeordnete Zielsetzung ist die Vermittlung der Mehrwerte und der Qualität von Schweizer Produkten (2). Im Jahr 2019 handelte es sich um einen Betrag von rund 62 Millionen Franken. Davon wurden 52% für die Vermarktung von Milchprodukten verwendet. Als Vergleich: die Absatzförderung von Gemüse beanspruchte lediglich 1% der Fördermittel (3).

In 30 Jahren wäre Schluss

Veränderte Konsumgewohnheiten, Kritik an der Tierhaltung und Nachhaltigkeitsbewusstsein führten zu einem rückgängigen Verbrauch von Konsummilch (4). Tranken Schweizer*innen im Jahr 2000 86 kg Milch pro Kopf, waren es 2019 noch 49 kg: Ein Rückgang von 1.8 kg (3; 4). Ginge es in diesem Tempo weiter, wäre in ungefähr 30 Jahren Schluss mit dem Milchtrinken. Damit dies nicht eintrifft, sei die Werbung essenziell, argumentiert die Milchbranche. Als Grasland sei die Schweiz prädestiniert dazu, Milch zu produzieren. Diese soll auch getrunken und verspeist werden (5).

Werbung zeigt ein Bild der Minderheit

Mit den Steuergeldern an die Milchindustrie wurde in den letzten Jahren die schweizweit grösste Rezeptsammlung aufgebaut (12), Milch-Bars an Open Airs aufgestellt, ein Tag der Pausenmilch lanciert und der Bevölkerung glaubhaft vorgegaukelt: Schweizer Kühe tragen Hörner, stehen auf saftigen Weiden und fressen regionales Futter. Die auf Hochleistung ausgerichtete Milchwirtschaft scheint jedoch weit von der nachhaltigen und tierfreundlichen Produktion entfernt zu sein. Zeit die Werbebotschaften der Schweizer Milchbranche genauer anzuschauen.

Botschaft 1: Horntragend

  • Gemäss Bauernverband tragen nur 10% der Schweizer Kühe Hörner. Eine offizielle Statistik existiert nicht (6).
  • Wiederkäuerhörner dienen als Erkennungsmerkmal, sind wichtig für die Herdenhierarchie, für die Verdauung, den Stoffwechsel und die Atmung (7).
  • Das Ausbrennen der Hornanlagen verursacht tagelange Schmerzen und führt zur Deformation der Schädelform (7).

Botschaft 2: Grasend

  • Trotz hoher Beteiligung (75%) der Milchbetriebe am RAUS-Programm leben rund 50% der Kühe in Anbindehaltung (3).
  • Sie haben oft nicht ausreichend Platz, sich zu bewegen oder der Körperpflege nachzukommen. Dies kann zu Haltungsschäden und Infektionen führen (8).
  • Anbindeställe schränken zudem den artgerechten Sozialkontakt stark ein (8).

Botschaft 3: Regional

  • Hochleistungstiere in der Milchproduktion sind auf immer mehr proteinreiches Kraftfutter angewiesen (9).
  • 55% dieses Kraftfutters stammt aus dem Ausland (10).
  • Das wichtigste Eiweissfutter ist Soja. Es stammt hauptsächlich aus dem Amazonasgebiet in Brasilien (9).
  • Schweizweit frisst das Rindvieh anteilsmässig am meisten Sojaeiweissfutter (9).
  • Auf Basis von Inlandfutter können 85% des Rindviehs gehalten werden (10).

Wenn die Werbung zur Realität wird

In Anbetracht der rückgängigen Nachfrage nach Milch und der fortschreitenden Sensibilisierung der Bevölkerung ist davon auszugehen, dass Steuerzahlende die Förderung von irreführenden Werbebildern zunehmend kritisieren werden. Schweizer Milchproduzent*innen sollten sich wieder auf die echte Schweizer Qualität – auf eine graslandbasierte Produktion mit tiergerechten Leistungen statt Höchstleis-tungen – besinnen. So könnte auf das aufwändige Marketing zur Beschönigung der Milchbranche verzichtet werden und Steuergelder vermehrt zur Förderung von nachhaltigen Produktionsweisen eingesetzt werden.

Dieser Blog-Beitrag entstand im Rahmen des Bachelormoduls Welternährungssysteme des Studiengangs Umweltingenieurwesen am Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen der ZHAW im Frühjahrssemester 2021.

Quellen

(1)Hertel, L. (2020). Tierrechtsaktivist auf illegaler Mission im Oberland. züriost. https://zueriost.ch/news/2020-02-03/tierrechtsaktivist-auf-illegaler-mission-im-oberland

(2)BLW. (2018). Landwirtschaftliche Absatzförderung: Umsetzungsprogramm 2019-21. Bundesamt für Landwirtschaft. https://www.blw.admin.ch/blw/de/home/instrumente/qualitaets–und-absatzfoerderung/absatzfoerderung.html

(3)BLW. (2020). Agrarbericht 2020. Bundesamt für Landwirtschaft. https://www.agrarbericht.ch/de/service/dokumentation/publikationen

(4)Schweizer Eidgenossenschaft. (2017). Perspektiven im Milchmarkt: Bericht des Bundesrates in Erfüllung des Postulats 15.3380 derKommission für Wirtschaft und Abgaben des Nationalrats vom 14. April 2015. https://www.blw.admin.ch/dam/blw/de/doku-mente/Services/Publikationen/Berichte/Perspektiven%20im%20Milchmarkt.pdf.download.pdf/Bericht_Postulat_15.3380_Per-spektiven_im_Milchmarkt_FINAL_30.03.2017_DF.pdf

(5)Thalmann, E. (2019). Analyse: Mit Eigeninitiative der Vermarktung Geld abholen. Bauern Zeitung. https://www.bauernzeitung.ch/arti-kel/analyse-mit-eigeninitiative-in-der-vermarktung-geld-abholen

(6) Salzmann, D. (2018). Hornkühe: Anzahl unbekannt. Schweizer Bauer. https://www.schweizerbauer.ch/tiere/milchvieh/hornkuehe-anzahl-unbekannt/

(7) FiBL. (2015). Die Bedeutung der Hörner für die Kuh. Forschungsinstitut für biologischen Landbau. https://konsumentenver-band.ch/download/pdf/FIBL_Bedeutung_Kuhhorn.pdf

(8) Dauermann, A., & Kussin, M. (2020). Anbindehaltung und Weidegang von Milchkühen zwischen öffentlicher Polarisierung und wis-senschaftlicher Differenzierung – Eine Analyse verbandspolitischer Argumentationen. Austrian Journal of Agricultural Eco-nomics and Rural Studies, 29, 161-167. DOI 10.15203/OEGA_29.19

(9) Baur, P., & Krayer, P. (2021). Schweizer Futtermittelimporte—Entwicklung, Hintergründe, Folgen. Forschungsprojekt im Auftrag von Greenpeace Schweiz. Zürcher Hochschulen für Angewandte Wissenschaften ZHAW. https://doi.org/10.21256/zhaw-2400

(10) Agristat. (2019). Statistische Erhebungen und Schätzungen über Landwirtschaft und Ernährung (SES). Schweizer Bauernverband (SBV). https://www.sbv-usp.ch/de/services/agristat-statistik-der-schweizer-landwirtschaft/statistische-erhebungen-und-schaet-zungen-ses/

(11) Vonplon, D. (2017). Der Milch-Irrsinn. Handelszeitung. https://www.handelszeitung.ch/politik/der-milch-irrsinn-der-schweiz-1411989

(12) Swissmilk. (2021). Alltagsrezepte: Was koche ich heute? swissmilk. https://www.swissmilk.ch/de/rezepte-kochideen/alltagsrezepte-was-koche-ich-heute/


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