Der Gemüsekammer der Schweiz steht das Wasser bis zum Hals

Verfasst von einer Studentin im Rahmen des Moduls Welternährungssysteme 2024

Abbildung 1: Salatfeld im Grossen Moos zwischen Müntschemier und Ins. © AdobeStock

„Usem Bärner Seeland“, ist die Antwort auf die Frage, woher ich komme, sowie ein Slogan auf dem Kopfsalat im Grossverteiler. Die Region rund um den Neuenburger, Murten- und Bielersee ist als die Gemüsekammer der Schweiz bekannt. Mehr als 20% des in der Schweiz produzierten Gemüses stammt aus dem Gebiet1 – doch wie lange noch?

Von Malaria zu CO2 in der Luft

Vor 150 Jahren ermöglichte die erste Juragewässerkorrektion, dass die Aare und die drei Juraseen nicht mehr ständig über die Ufer traten.2 In der bitterarmen, von Malaria geplagten Gegend, hinterliess der Rückzug des Wassers zusammen mit einem ausgeklügelten Drainagesystem eine fruchtbare Schwemmebene: „z Grossä Moos“.2 Doch die einstige Ebene wird zunehmend uneben: Sobald der über Jahrtausende aufgebaute Torfboden mit Sauerstoff in Kontakt kommt, wird er abgebaut.3 Dieser Prozess führt zu ungleichmässigen Absenkungen, sowie zur Freisetzung von CO2 und Lachgas.3

Auf verschwindende Böden setzen

Bodenverluste im Grossen Moos variieren zwischen 10 und 20 mm pro Jahr.4 Es wird prognostiziert, dass ohne Veränderungen der gesamte Torfvorrat in 65 Jahren verbraucht sein wird.5

Eine landwirtschaftliche Nutzung wird dann je nach Standort nur eingeschränkt bis gar nicht möglich sein.5 Nicht nur aus landwirtschaftlicher Sicht ist ein Abbau des Torfs problematisch: Entwässerte Moorböden emittieren pro Jahr durchschnittlich 60-mal mehr CO2  als andere landwirtschaftliche Böden.6–8 Ohne angepasste Landnutzung werden entwässerte Moorböden in der Schweiz in den nächsten Jahrzehnte etwa 100 Mt CO2-Äquivalente auszustossen.9 Dies entspricht der Menge an Treibhausgasemissionen, die die gesamte Schweiz derzeit innerhalb von zwei Jahren ausstösst.10 Dazu kommen weitere Umweltauswirkungen der intensiven Landwirtschaft im Grossen Moos, wie der Verlust an Biodiversität und die Belastung des Grundwassers durch Nitrat und Rückstände von Pflanzenschutzmitteln.11,12

Grosse Umwälzungen

Durch die Absenkungen und den nahen Grundwasserspiegel entstehen Mulden, in denen Wasser länger verweilt. Dies führt zu Ertragsverlusten, denn die gängigen Kulturen kommen nicht mit nassen Füssen zurecht. Bodenaufwertungsprojekte versprechen eine technische Lösung: So wird beispielsweise Bauaushub mit dem noch vorhandenen Torf vermischt, um den Abbau zu verlangsamen, den Abstand zum Grundwasserspiegel zu erhöhen und die darunterliegende Torfschichten zu schützen.13 Die laufenden Pilotprojekte zur Bodenverbesserung im Seeland (BOVE) werden wissenschaftlich begleitet.14

Problem gelöst?

Ob durch Bodenverbesserungsprojekte eine Reduktion der Treibhausgasemissionen erreicht werden kann, ist umstritten.15 Das Hauptziel ist es, die Produktion im Seeland auf dem aktuellen Niveau zu halten und damit zur Ernährungssouveränität der Schweiz beizutragen.13 Zu diesem Zweck wird sogar eine dritte Juragewässerkorrektion in Betracht gezogen.16

Ich zweifle daran, dass die hohen Investitionen zugunsten einer intensiven Landwirtschaft im Grossen Moos mit Ernährungssouveränität gerechtfertigt werden können. Die Produktionsgrundlage Torf ist eine endliche Ressource, von der kommende Generationen nicht mehr profitieren werden.

Standortangepasste Produktion anstatt Anpassung des Standorts an die Produktion

Torfreiche Böden können erhalten und trotzdem nutzbar bleiben: Mit Pflanzen und Tieren die nasse Füsse lieben. Versuche mit Nassreisanbau nördlich der Alpen zeigten positive Ergebnisse hinsichtlich Biodiversität und Treibhausgasemissionen; die Erträge spielten in diesen Versuchen jedoch nur eine sekundäre Rolle.17,18 Standortangepasst wären beispielsweise auch der Anbau gewisser Gehölze, Beeren, Medizinalpflanzen, oder die extensive Beweidung.5,19,20

Woher kommen meine Rüebli?

Die Gemüseproduktion ist nicht zwingend an Torfböden gebunden; an geeigneten Standorten funktionieren traditionelle, sowie innovative Ansätze. Beispiele hierfür sind die Solidarische Landwirtschaft, Market Gardening oder der regenerative Anbau. Hier sind auch wir als Konsument:innen gefragt, solche Systeme mit Interesse, Hunger nach Gemüse und dem Portemonnaie zu unterstützen.

Das Seeland wird in 60 Jahren nicht mehr so existieren, wie wir es heute kennen. Zu behaupten, ich hätte alle Lösungen, wäre vermessen. Ich hoffe, dass Veränderungen kollektiv und behutsam, aber stetig eintreten können, ohne dass die Dringlichkeit der Herausforderungen unserer Zeit uns die Möglichkeiten dazu nimmt.


Dieser Blog-Beitrag entstand im Rahmen des Bachelormoduls «Welternährungssysteme» des Studiengangs Umweltingenieurwesen am Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen der ZHAW im Frühlingssemester 2024.


Referenzen

  1. SWISSCOFEL. (o. J.). Abgerufen 14. April 2024, von https://www.swisscofel.ch/
  2. Nast, M. (2006). Überflutet – überlebt – überlistet: Der Geschichte der Jurawässerkorrektionen. Verein Schlossmuseum Nidau.
  3. Everett, K. R. (1983). Chapter 1 Histosols. In L. P. Wilding, N. E. Smeck, & G. F. Hall (Hrsg.), Developments in Soil Science (Bd. 11, S. 1–53). Elsevier. https://doi.org/10.1016/S0166-2481(08)70612-3
  4. Leifeld, J., Müller, M., & Fuhrer, J. (2011). Peatland subsidence and carbon loss from drained temperate fens. Soil Use and Management, 27(2), 170–176. https://doi.org/10.1111/j.1475-2743.2011.00327.x
  5. Ferré, M., Muller, A., Leifeld, J., Bader, C., Müller, M., Engel, S., & Wichmann, S. (2019). Sustainable management of cultivated peatlands in Switzerland: Insights, challenges, and opportunities. Land Use Policy, 87, 104019. https://doi.org/10.1016/j.landusepol.2019.05.038
  6. IPCC. (2014). Intergovernmental Panel on Climate Change,  Edenhofer, O., PichsMadruga, R., Sokona, Y., Farahani, E., Kadner, S., Seyboth, K., Adler, A., Baum, I., Brunner, S., Eickemeier, P., Kriemann, B., Savolainen, J., Schlömer, S., von Stechow, C., Zwickel, T., Minx, J.C. (Eds.), “Climate Change 2014: Mitigation of Climate Change”, Contribution of Working Group III to the Fifth Assessment Report of the Intergovernmental Panel on Climate Change. Cambridge University Press, Cambridge, United Kingdom and New York, NY, USA Chapter 11: Agriculture, Forestry and Other Land Use (AFOLU).
  7. IPCC. (2014). Intergovernmental Panel on Climate Change,. In: Wetlands, Hiraishi, Krug, T., Tanabe, K., Srivastava, N., Baasansuren, J., Fukuda, M., Troxler, T.G. (Eds.), “Supplement to the 2006 IPCC Guidelines for National Greenhouse Gas Inventories. Published: IPCC, Switzerland.
  8. Leifeld, J., & Menichetti, L. (2018). The underappreciated potential of peatlands in global climate change mitigation strategies. Nature Communications, 9(1), 1071. https://doi.org/10.1038/s41467-018-03406-6
  9. Wüst-Galley, C. (2015). Locating organic soils for the Swiss greenhouse gas inventory.Agroscope Science, 26,. https://ira.agroscope.ch/de-CH/publication/34998
  10. Bundesamt für Umwelt BAFU. (2021). Kenngrössen zur Entwicklung der Treibhausgasemissionen in der Schweiz 1990–2021, Aktualisiert im April 2023. https://www.bafu.admin.ch/dam/bafu/de/dokumente/klima/fachinfo-daten/kenngroessen_thg_emissionen_schweiz.pdf.download.pdf/Kenngr%C3%B6ssen_2022_DE.pdf
  11. Bundes Amt für Umwelt BAFU. (2019). Zustand und Entwicklung Grundwasser Schweiz. Ergebnisse der Nationalen Grundwasserbeobachtung NAQUA, Stand 2016. https://www.bafu.admin.ch/bafu/de/home/themen/thema-wasser/wasser–publikationen/publikationen-wasser/ergebnisse-der-grundwasserbeobachtung-schweiz–naqua-.html
  12. Bundes Amt für Umwelt BAFU. (2023). Biodiversität in der Schweiz. https://www.bafu.admin.ch/dam/bafu/de/dokumente/biodiversitaet/uz-umwelt-zustand/biodiversitaet-in-der-schweiz-2023.pdf.download.pdf/UZ-2306-D_Biodiversitaet.pdf
  13. Ressourcenprojekt Bodenverbesserung Seeland (BOVE). (2019). Pro Agricultura Seeland. Abgerufen 13. April 2024, von https://proagricultura.ch/ressourcenprojekt-bodenverbesserung-seeland-bove/
  14. Wissenschaftliche Begleitung im Ressourcenprojekt «Bodenverbesserung Seeland (BOVE)». (2019). Abgerufen 13. April 2024, von https://www.bfh.ch/de/forschung/forschungsprojekte/2019-685-502-559/
  15. Säurich, A., Tiemeyer, B., Dettmann, U., & Don, A. (2019). How do sand addition, soil moisture and nutrient status influence greenhouse gas fluxes from drained organic soils? Soil Biology and Biochemistry, 135, 71–84. https://doi.org/10.1016/j.soilbio.2019.04.013
  16. Brunschweiler, R. (2018, März 2). Resolution zur 3. Juragewässerkorrektion beschlossen. Pro Agricultura Seeland. https://proagricultura.ch/resolution-zur-3-juragewaesserkorrektion-beschlossen/
  17. Fesenfeld, L., Mann, S., Meier, M., Nemecek, T., Scharrer, B., Bornemann, B., Brombach, C., Beretta, C., Bürgi, E., Grabs, J., Ingold, K., Jeanneret, P., Kislig, S., Lieberherr, E., Müller, A., Pfister, S., Schader, C., Schönberg, S., Sonnevelt, M., … Zähringer, J. (2023). Wege in die Ernährungszukunft der Schweiz—Leitfaden zu den grössten Hebeln und politischen Pfaden für ein nachhaltiges Ernährungssystem [Bericht]. SDSN Schweiz. https://orgprints.org/id/eprint/51631/
  18. Jacot-Ammann, K., Brönnimann, V., & Fabian, Y. (2022). Ökologischer Nassreis: Anbauerfahrungen nördlich der Alpen 2021. https://ira.agroscope.ch/de-CH/publication/50644
  19. Widmer, A., Tamagni, L., Wüst-Galley, C., Paul, S., Volpe, V., Jocher, M., Giger, R., Dötterl, S., Keller, T., & Leifeld, J. (2024). Mitigating greenhouse gas emissions from managed organic soils in the temperate zone by paddy rice cultivation (EGU24-11075). EGU24. Copernicus Meetings. https://doi.org/10.5194/egusphere-egu24-11075
  20. Abel, S., Couwenberg, J., Dahms, T., & Joosten, H. (2013). The Database of Potential Paludiculture Plants (DPPP) and results for Western Pomerania. Plant Diversity and Evolution, 219–228. https://doi.org/10.1127/1869-6155/2013/0130-0070
  21. Wichtmann, W., Schröder, C., & Joosten, H. (2016). Paludiculture – productive use of wet peatlands: Climate protection – biodiversity – regional economic benefits. Schweizerbart Science Publishers.


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