Bio ernährt die Welt? Der indische Bundesstaat Sikkim zeigt, wie es geht!

Ein Beitrag von Tim Pfister

Abbildung 1: Seit 2016 werden im ganzen Bundessaat Sikkim keine synthetischen Dünger und Pestizide mehr ausgebracht. (Bild: pixabay)

Im hügeligen Gelände des indischen Bundesstaates Sikkim arbeitet eine junge Familie auf ihrem terrassierten Reisfeld. Statt das idyllische Bild durch laute und schwere Maschinen, Herbizide und synthetischen Düngern zu stören, setzt der Familienbetrieb auf selbst hergestellten organischen Dünger, Handarbeit und Förderung der Bodenfruchtbarkeit. Doch die junge Familie ist kein Sonderfall. Seit 2016 wird ganz Sikkim biologisch bewirtschaftet. Wie konnte eine solche Umstellung gelingen? Und: Ist es möglich, diese global umzusetzen?

Die schrittweise Umstellung auf biologische Landwirtschaft in Sikkim wurde bereits im Jahre 2003 beschlossen. Da die Bäuer*innen ohnehin bereits mit wenig synthetischem Dünger und Pestiziden arbeiteten, konnte 2009 der Verkauf von Handelsdüngern und Pestiziden beendet werden und 2014 wurde ihr Import verboten. Nach einer dreizehnjährigen Vorbereitungsphase konnten 2016 die 75’000 Hektaren Landwirtschaftsland in Sikkim Bio-zertifiziert werden. 1,2

Bildung als entscheidende Massnahme

In dieser Übergangszeit spielte die Bildung eine zentrale Rolle. In sogenannten Farmer Field Schools (FFS) haben sich jeweils 20 – 25 Bäuer*innen während einer Erntesaison schulen lassen. Dabei veranstaltet eine staatliche Person wöchentliche Besuche bei fortschrittlichen Bäuer*innen in der Region. Der 1989 in Indonesien entwickelte Ansatz der FFS gibt es mittlerweile in 130 Ländern. Die FFS scheinen eine positive Wirkung zu zeigen: Bäuer*innen, welche die FFS besuchen, nutzen weniger Pestizide, veranstalten mehr kollektive Aktionen, sind sozial besser vernetzt und verfügen über verbesserte Problemlösungs-Strategien. 3,4

Neben vielen ökologischen Vorteilen kann das Wissen über nachhaltige Landwirtschaftsweisen auch verbesserte Ernten mit sich bringen.

“I used to expect around 800 kilos of turmeric per season but this time, I have sowed 600 kilos of seeds and I am expecting 6000 kgs in yield. Everything I’m doing is double or triple now” – Dogon, Bauer in Sikkim  2

Kehrseite der Umstellung

Doch die Umstellung bringt auch ihre Schattenseiten mit sich: Da in Sikkim mehr als 80 % der Bäuer*innen ihre Felder noch traditionell bewirtschaften, waren agrarökologische Praktiken schon vor der Umstellung weit verbreitet. Viele Bäuer*innen produzieren Nahrung für ihren eigenen Lebensunterhalt und haben gut an die Region angepasste Techniken und Saatgut. Die Unterstützung des Staates erhalten vor allem Bäuer*innen, welche daran interessiert sind, ihre Ernte für den Export zu erhöhen. Zu Sikkims Cash Crops gehören: Kardamom, Ingwer, Mandarinen und Orangen. Für den Export dieser Güter in Bio-Qualität wird ein ertragsmaximierender Anbau in Monokulturen mit Hybridsamen gefördert. Diese Art der Bio-Landwirtschaft ist für Mensch und Natur in vielerlei Hinsicht weniger nachhaltig als die traditionelle. 2,5

Lehren für die Zukunft

Trotz der Schattenseiten kann man aus der Geschichte Sikkims wichtige Lehren für die Zukunft ziehen: Einerseits muss die Umstellung auf eine Bio-Landwirtschaft graduell geschehen. Andererseits ist der Zugang zu Bildung und die Vernetzung der Landwirt*innen essenziell.

Der Fall Sri Lanka stützt diese Erkenntnisse: im Mai 2021 wurden in Sri Lanka über Nacht alle chemischen Dünger und Pestizide verboten. Nachdem die Reisproduktion um ca. 30 % gegenüber dem Vorjahr gesunken ist und es im ganzen Land Proteste der Bäuer*innen gegeben hatte, wurde das Verbot im November desselben Jahres wieder rückgängig gemacht. 6

Der Bio-Staat Sikkim zeigt: 100 % Bio kann funktionieren, bringt aber auch Nachteile mit sich. Das System Bio spielt eine wichtige Rolle für eine nachhaltige Zukunft. Aber ein einziges System wird nicht alle unsere Probleme lösen: Um die Menschheit nachhaltig zu ernähren, braucht es eine Kombination von agrarökologischen Ansätzen. Neben biologischer Landwirtschaft werden z. B. Agroforstsysteme, regenerative Landwirtschaft, Permakultur und weitere Systeme in Zukunft die Menschheit ernähren. 7

Wir haben das Wissen, die Vorbilder und die Systeme, um die konventionelle Landwirtschaft und die mit ihr einhergehenden Schäden für Natur und Mensch Schritt für Schritt hinter uns zu lassen. Worauf warten wir also?


Dieser Blog-Beitrag entstand im Rahmen des Bachelormoduls «Welternährungssysteme» des Studiengangs Umweltingenieurwesen am Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen der ZHAW im Frühlingssemester 2023.


Literatur

  1. Kumar, J., Pradhan, M., & Singh, N. (2018). Sustainable Organic Farming in Sikkim: An Inclusive Perspective. In S. SenGupta, A. F. Zobaa, K. S. Sherpa, & A. K. Bhoi (Hrsg.), Advances in Smart Grid and Renewable Energy (S. 367–378). Springer. https://doi.org/10.1007/978-981-10-4286-7_36
  2. Meek, D., & Anderson, C. (2020). Scale and the Politics of the Organic Transition in Sikkim, India. Agroecology and Sustainable Food Systems, 44(5), 653–672. https://doi.org/10.1080/21683565.2019.1701171
  3. Van den Berg, H., & Jiggins, J. (2007). Investing in Farmers—The Impacts of Farmer Field Schools in Relation to Integrated Pest Management. World Development, 35(4), 663–686. https://doi.org/10.1016/j.worlddev.2006.05.004
  4. FAO. (2023). Global Farmer Field School Platform. https://www.fao.org/farmer-field-schools/home/en/
  5. Partap, U., Sharma, G., Gurung, M., Chettri, N., & Sharma, E. (2014). Large Cardamom Farming in Changing Climatic and Socioeconomic Conditions in the Sikkim Himalayas.
  6. TIME. (2022). How Organic Farming Worsened Sri Lanka’s Economic and Political Crisis | Time. https://time.com/6196570/sri-lanka-crisis-organic-farming/
  7. Reganold, J., & Wachter, J. (2016). Organic agriculture in the twenty-first century. Nature Plants, 2, 15221. https://doi.org/10.1038/nplants.2015.221

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