Ein Beitrag von Rebecca Egger
Schon die Azteken bauten Nahrungsmittel für Mexikos Hauptstadt auf künstlich angelegten Parzellen im Wasser – sogenannten Chinampas – an [1]. Was wir heute Hydroponik nennen, ist also nichts Neues. «Neu» ist aber der Kontext, vor welchem sich die Nahrungsmittelproduktion des 21. Jahrhunderts abspielt: So sollen im Jahr 2050 9.5 Milliarden Menschen auf der Erde leben [2] – fast 70 % davon in Städten [3]. Der Gedanke an den bodenunabhängigen Hydroponik-Anbau zu deren Ernährung liegt angesichts knapp werdender Böden nahe. Doch stellt diese Anbaumethode eine nachhaltige Lösung zur städtischen Lebensmittelversorgung dar? Dieser Frage widmet sich der folgende Beitrag.
Salat ohne Erdsubstrat – what?
Es gibt eine Vielzahl an hydroponischen Systemen. Allen gemeinsam ist, dass Pflanzen unter erdlosen Bedingungen [2] in einer Nährlösung wachsen. Während in einigen Systemen ein Kultursubstrat die Pflanze stützt, ist es bei der Deep Flow Technique (DFT) ein schwimmendes Brett, welches die Pflanzen in einem mit Nährlösung gefüllten Behälter fixiert. Bei der weit verbreiteten Nutrient Film Technique (NFT) schwebt das Wurzelsystem teilweise gar in der Luft über einer dünnen, in einer Rinne zirkulierenden Wasserschicht [4].
Bodenlose Vorteile
Hydroponik bedeutet also modernste Technik und einem Grossteil der Literatur zufolge ist diese auch sinnvoll eingesetzt. So heben gleich mehrere Studien die folgenden Vorteile hydroponischer Systeme im Vergleich zur konventionellen Landwirtschaft hervor:
- Mehr Ertrag pro Fläche dank gezielter Nährstoffzufuhr und optimalen Anbaubedingungen [2]
- Bis zu 90% geringerer Wasserverbrauch [2][6]
- Weniger Pestizideinsatz [5]
- Kurze Transportwege dank dem Anbau nahe bei den städtischen Verbraucher:innen [5]
- Ankurbeln der lokalen Wirtschaft [2]
In einer Lebenszyklusanalyse schnitt eine vertikale Hydroponikanlage in Lyon zudem besser ab als der Anbau in beheizten Gewächshäusern und konnte mit der konventionellen Freilandproduktion mithalten [6].
Vulnerables System
Hydroponische Systeme tragen also zu allen drei Dimensionen der Nachhaltigkeit bei – u. a. dank modernster Technik. Aber bei all den Vorteilen, welche die Technik mit sich bringt, kann gerade sie zur grössten Schwäche hydroponischer Anlagen werden. Mit der als umweltfreundlich angepriesenen Wasserrückführung ist etwa das Risiko verbunden, dass sich Pflanzenkrankheiten im geschlossenen System ausbreiten [2]. Die Nährlösung muss also desinfiziert werden, was mit Hitze, Ozon oder gar Pestiziden geschieht [4]. Anders als in der Erde kann sich in hydroponischen Systemen auch ein Nährstoff- oder pH-Ungleichgewicht innert kürzester Zeit aufbauen [5] – mit fatalen Folgen für die Pflanzen. Nicht zuletzt ist es die Abhängigkeit vom Strom, der so manche Gefahr für Hydroponikanlagen birgt – man denke beispielsweise an Entwicklungsländer, in welchen der Strom knapp ist [2] oder an einen Stromausfall. Eine kleine Störung kann in einer Hydroponikanlage also grossen Schaden anrichten.
Nur Salat oder geht da noch mehr?
Googelt man nach «Hydroponik», bekommt man vor allem Bilder mit Salaten zu Gesicht. Dies liegt wohl daran, dass sich das kurzlebige Blattgemüse besonders für den Hydro-Anbau eignet. [5]. Wie steht es aber mit Lauch, dessen Kulturzeit bedeutend länger ist oder Kohlarten, welche deutlich tiefer wurzeln? Tatsächlich eignen sich die hydroponischen Systeme nicht für alle Kulturen gleichermassen. So ist etwa die Produktion langdauernder Kulturen (> 4 Monate) im NFT-Verfahren nicht möglich [4]. Wird aber ein geeignetes System gewählt und kann die Pflanze auf genügend Wasser und Nährstoffe zugreifen, lässt sich grundsätzlich jede Pflanze hydroponisch anbauen [5] – es stellt sich nur die Frage, zu welchem Preis.
Kein Hit, aber that‘s it
Wir scheinen uns mit Hydroponik also nicht nur von Salat ernähren zu müssen. Trotzdem ist mir die eingangs erwähnte Chinampa mit ihren zahlreichen Ökosystemleistungen noch immer sympathischer als eine labormässig anmutende Hydroponikfarm. Es kann jedenfalls nicht die Lösung sein, die Böden komplett zu degradieren und an die «Hydroponik-Wand» zu fahren. Der hydroponische Anbau sollte also nicht als alleinige Lösung zur städtischen Lebensmittelversorgung angesehen werden. Zusammen mit anderen Formen der Urban Agriculture könnte er aber Teil derselben sein, sofern der benötigte Strom beispielsweise durch Wind generiert werden kann.
Dieser Blog-Beitrag entstand im Rahmen des Bachelormoduls Welternährungssysteme des Studiengangs Umweltingenieurwesen am Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen der ZHAW im Frühjahrssemester 2022.
Literatur
[1] R. Ebel, «Chinampas: An Urban Farming Model of the Aztecs and a Potential Solution for Modern Megalopolis,» HortTechnology, Bd. 30, Nr. 1, pp. 13-19, 2019.
[2] C. Treftz und S. T. Omaye, «Hydroponics: potential for augmenting sustainable food production in nonarable regions,» Nutrition & Food Science, Bd. 46, Nr. 5, pp. 672-684, 2016.
[3] K. Viering, «Ackerbau und Viehzucht im Hochhaus,» in Super-Food für Wissenshungrige!, K. Burger, Hrsg., München, Springer, 2020, pp. 51-66.
[4] C. Maucieri, C. Nicoletto, E. van Os, D. Anseeuw, R. Van Havermaet und R. Junge, «Hydroponic Technologies,» in Aquaponics Food Production Systems, S. Goddeck, A. Joyce, B. Kotzen und G. M. Burnell, Hrsg., Cham, Springer Open, 2020, pp. 77-108.
[5] D. Verner, N. Roos, A. Halloran, G. Surabian, M. Ashwill, S. Vellani und Y. Konishi, «Understanding Hydroponics,» in Insect and Hydroponic Farming in Africa : The New Circular Food Economy, World Bank Publications, 2021, pp. 193-230.
[6] D. Romeo, B. V. Eldbjørg und M. Thomsen, Environmental impacts of urban hydroponics in Europe: a case study in Lyon, Kopenhagen: Elsevier, 2018.