Mikroorganismen im Käse – zurück zur Natur?

Ein Beitrag von Tobias Geisser

Abbildung 1: Käse – ein Wunderwerk der Mikroorganismen (Quelle: PXfuel; Lizenz: CC0 1.0)

Dass Bakterienkulturen für die Käseherstellung industriell, standardisiert und unter sterilen Laborbedingungen gezüchtet werden, scheint auf den ersten Blick beruhigend und sicher. Beim genaueren Hinschauen ergibt sich aber ein differenzierteres Bild.

Bei der Käseherstellung sind Mikroorganismen nicht wegzudenken. Bakterien sorgen beispielsweise dafür, dass Laktose in Milchsäure umgewandelt wird. Dies führt zu Gerinnung und Fermentation. Auch die Reifung, das Aroma und der Geschmack von Käse ist abhängig von Bakterien. Zusätzlich wird Lab für die Gerinnung der Milch eingesetzt. (Agroscope, o. D.)

Abbildung 2: Käseherstellung bei der Genossenschaft Caseificio Valposchiavo. Die Bakterien in der Käsemasse sorgen für Gärung, Reifung und Aroma. (Quelle: eigenes Foto)

In der Schweiz ist das Agroscope zusammen mit der Liebefeld Kulturen AG verantwortlich für den Erhalt und die Vermehrung der Käse-Bakterienkulturen. Aus den rund 12’000 verwalteten Bakterienstämmen, die über Jahrzehnte von Schweizer Käsereien gesammelt wurden, werden unterschiedliche Starterkulturen hergestellt. Etwa 90% des Schweizer Käses und 100% der AOP-Käsesorten werden mit Kulturen von Agroscope produziert. Diese sind günstig und einfach anwendbar. (Moser, 2019)

Weltweit wird der Markt für Käsekulturen jedoch von wenigen Grossunternehmen beherrscht, die nur eine beschränkte Anzahl standardisierter Käsekulturen verkaufen. (Moser, 2019)

Andererseits gibt es eine Vielzahl an Kleinbäuer*innen, welche Käse auf traditionelle, natürliche Art herstellen. Beispielsweise wird in Argentinien Ziegenkäse durch die Verwendung von «Panchera» produziert. Panchera ist natürliche Bakterienkultur und Lab zugleich. Es wird aus dem getrockneten Labmagen von jungen Wiederkäuern gemacht und beinhaltet ein diverses Mikrobiom, das je nach Futter, Wasser, Klima und weiteren Faktoren variiert. (Chavez, Lopez & Sanchez, 2021)

Doch welche Potenziale und Risiken ergeben sich durch die Verwendung solcher natürlichen Bakterienkulturen im Gegensatz zu den standardisierten, industriellen Inputs?

«Der Mensch ist, was er isst»

Im menschlichen Darm leben rund 100 mia. Bakterien, die für die Gesundheit und Entwicklung eine essenzielle Rolle spielen, etwa beim Stoffwechsel oder der Immunabwehr. Diverse Studien legen nahe, dass sich der Lebensstil von Industrieländern – mit ausgeprägter Hygiene, Antibiotika-Einsatz und zunehmend standardisierter Ernährung – negativ auf die Anzahl und Vielfalt dieses Mikrobioms auswirkt. Diese Abnahme der Mikrobiodiversität im menschlichen Körper ist wiederum verbunden mit einer Zunahme von Asthma, Allergien und Stoffwechselkrankheiten. (Riiser, 2015; Lortal, 2021)

Durch die Verwendung von natürlichen, nicht standardisierten Bakterienkulturen bei der Käseherstellung wird die Mikrobiodiversität im Käse höher. Beim Verzehr kann auch die Mikrobiodiversität im Darm steigen. Zusätzlich steigert die Verwendung von Rohmilch anstelle von thermisch behandelter Milch die Mikrobiodiversität. (Bachmann, 2018; Lortal, 2021)

Sind natürliche Bakterienkulturen sicher?

Gemäss der Präsentation von sowie der Diskussion mit Vandecandelaere (2021) und Lortal (2021) am Forum ODT (13.-15.10.2021, Valposchiavo) wird die Verwendung von natürlichen Bakterienkulturen von Lebensmittel-Aufsichtsbehörden aufgrund von Sicherheitsbedenken kritisch betrachtet. Dies kann zur Folge haben, dass Käse mit natürlichen Bakterienkulturen nicht offiziell zugelassen werden.

Eine Studie über die Herstellung von argentinischem Ziegenkäse kam allerdings zum Schluss, dass die Verwendung von natürlichem Panchera schneller zu einem tieferen pH-Wert führte, der dann die Bildung von Pathogenen hemmte. Auch können durch die Vielfalt der Bakterien zusätzliche ökologische Nischen besetzt und die Konkurrenz zu Pathogenen erhöht werden. (Chavez et al., 2021; Bachmann, 2018)

Auch eine Frage der Unabhängigkeit und Ethik?

Abgesehen von gesundheitlichen Aspekten steigt durch die Verwendung von industriellen Bakterienkulturen die Abhängigkeit von Grosskonzernen. Zudem werden die Lieferketten länger und damit anfälliger auf externe Schocks. Auch sind höhere Treibhausgasemissionen mit den langen Transportwegen verbunden.

Andererseits wird der oben beschriebene Panchera aus Tieren hergestellt, die dabei getötet werden. Industriell gibt es die Möglichkeit, mikrobielle Labaustauschstoffe im Labor herzustellen (Ökolandbau, 2020). Die Verwendung von mikrobiellen Labaustauschstoffen und natürlichen Bakterienkulturen schliessen einander aber nicht aus.

Diversität – ganz klein

Biodiversität spielt also nicht nur im Grossen, sondern auch im ganz Kleinen eine wichtige Rolle. Vielfältige Bakterienkulturen in Käse und anderen fermentierten Produkten helfen dabei, das «Ökosystem Mensch» zu erhalten und fördern. Die Standardisierung im Ernährungssystem hingegen reduziert diese Biodiversität – mit Folgen für unser Wohlergehen.


Dieser Blog-Beitrag entstand im Rahmen des Mastermoduls «Agroecology and Food Systems» des Studiengang Umwelt und Natürliche Ressourcen am Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen der ZHAW im Herbstsemester 2021.

Quellen

Agroscope. (o. D.). Käse. Abgerufen am 21.10.2021 unter https://www.agroscope.admin.ch/agroscope/de/home/services/faq/zu-kaese.html

Bachmann, H. (2018). Mikroorganismen vollbringen Wunder – Käsereifung aus technologischer Perspektive. journal culinaire, 27 (2018), 39 – 46. Abgerufen am 21.10.2021 unter https://www.agroscope.admin.ch/agroscope/de/home/themen/lebensmittel/qualitaet/kulturen/publikationen/_jcr_content/par/externalcontent.bitexternalcontent.exturl.pdf/aHR0cHM6Ly9pcmEuYWdyb3Njb3BlLmNoL2RlLUNIL0FqYXgvRW/luemVscHVibGlrYXRpb24vRG93bmxvYWQ_ZWluemVscHVibGlr/YXRpb25JZD00MTU0MQ==.pdf

Chavez, M., Lopez, N. & Sanchez, V. (2021). Contribution of natural rennet-ferment or panchera to the biodiversity and safety of artisanal goat cheese, Argentina. Abgerufen am 21.10.2021 unter https://origin-for-sustainability.org/public/2021/ws/1_2_3_ENG_Chavez.pdf

Lortal, S. (14.10.2021). Referat am Forum ODT «Origine, Diversité, Territoires» in Valposchiavo. Videoaufnahme unter https://www.youtube.com/watch?app=desktop&v=5dVkRTWeOT8

Moser, S. (2019). Bakterien sind Charaktersache. alimenta, 03 (2019), 21-23. Abgerufen am 21.10.2021 unter https://www.liebefeld-kulturen.ch/wp-content/uploads/2019/09/Bakterien_sind_Charaktersache.pdf

Ökolandbau. (2020). Lab und Labaustauschstoffe in der Produktion von Bio-Käse. Abgerufen am 21.10.2021 unter https://www.oekolandbau.de/verarbeitung/produktion/zusatz-und-hilfsstoffe/lab-und-labaustauschstoffe/

Riiser, A. (2015). The human microbiome, asthma, and allergy. Allergy, Asthma & Clinical Immunology 11, 35 (2015). https://doi.org/10.1186/s13223-015-0102-0

Vandecandelaere, E. (14.10.2021). Diskussionsbeitrag am Forum ODT «Origine, Diversité, Territoires» in Valposchiavo. Keine Videoaufnahme verfügbar.


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