Ein Beitrag von Lorin Ineichen
Die Schweiz setzt vermehrt auf regional produzierte Lebensmittel. Das hat viele Vorteile. Auch für das Sozialwesen. In diesem Beitrag gehe ich der Frage nach, ob Personen unabhängig von Sozialleistungen werden können, wenn vermehrt auf regionale Ernährungsproduktionen gesetzt wird.
Wer arbeitet in der Landwirtschaft?
Wenn man über die Regionalität unserer Nahrungsmittel nachdenkt, so stellt sich die Frage, wer denn die Nahrungsmittel auf den Nachbarfeldern erntet? In unseren Schweizer Landwirtschaftsbetrieben sind rund 24’358 familienfremde Arbeitskräfte angestellt. Dies macht rund 16% der Angestellten in der Landwirtschaft aus (Bundesamt für Statistik, 2014). Die Hälfte davon sind Saisonarbeiter*innen und die andere Hälfte Arbeitssuchende aus der Schweiz (Der Bund, 2018).
Sozialer Aspekt der Regionalität von Nahrungsmitteln
Ich befasse mich in diesem Blog mit den arbeitssuchenden, anerkannten Flüchtlingen und vorläufig aufgenommenen Personen. 86.4% dieser Personengruppe in der Schweiz beziehen Sozialhilfe (Bundesamt für Statistik, 2019). Regionale Produkte können im Idealfall Flüchtlinge in ihrer Erwerbstätigkeit unterstützten, wodurch sie eine höhere Eigenständigkeit haben und weniger abhängig von Sozialleistungen sind. Dies wiederum entlastet die Ausgaben unseres Sozialstaates.
Chancen und Problemgebiete
Die Integration durch Arbeitsleistung soll Flüchtlinge dazu befähigen, der deutschen Sprache mächtiger zu werden, finanzielle Mittel durch Eigenerwerb zu erlangen, eine soziale Integration zu erhalten und in der Arbeitswelt Fuss zu fassen (Contzen et al., 2018).
In einem Interview gab eine Sozialarbeiterin eines Kantonalen Sozialamts – sie betreut täglich Sozialleistungsbeziehende und somit auch Flüchtlinge – an, welche Problematiken sich jedoch bei einer Erwerbstätigkeit in der Landwirtschaft abzeichnen (persönliche Kommunikation, 12.03.2020).
Saisonale Arbeitsstelle: Aufgrund der Vegetationszeit finden die Flüchtlinge nur eine Arbeitsstelle von März – September. In den restlichen Wintermonaten mangelt es ihnen an Arbeit, während in den Sommermonaten enorme Pensen vollbracht werden, in denen pro Woche zwischen 70 bis 80 Stunden gearbeitet wird (Chau et al., 2015).
Geldfaktor: Nicht alle Arbeitenden erhalten denselben Lohn, da dieser teilweise von der Niederlassungsbewilligung abhängig gemacht wird (Chau et al., 2015). In den Sommermonaten erhalten die Flüchtlinge, nach der Einarbeitungszeit von zwei Monaten, einen Lohn von rund CHF 2’785.- pro Monat (Schweizer Bauernverband, 2020). Von den Lohnüberschüssen werden von den Sozialämtern sämtliche Kosten abgezogen, die von ihnen bezahlt wurden, zum Beispiel für Krankenkassen oder Unterkünfte. Mit dem übriggebliebenen Geld müssen die restlichen Wintermonate bestritten werden. Den Arbeitnehmenden ist es also häufig nicht möglich, sich gänzlich von der Sozialhilfe zu lösen. Besonders dann nicht, wenn diese eine gesamte Familie zu ernähren haben (persönliche Kommunikation, 12.03.2020).
Teilnehmende: Viele der Flüchtlinge sind psychisch oder körperlich nicht in einer genügend guten Verfassung, um eine harte Arbeit auszuführen. Die langen Arbeitszeiten, sprachliche Hindernisse, weite Pendelstrecken zu sehr frühen Zeiten und die ungewohnte Arbeit lässt die Flüchtlinge an ihre Grenzen stossen (Contzen et al., 2018).
Was muss sich ändern?
Der Konsum und die Förderung von regionalen Produkten kann durchaus die Unabhängigkeit von Flüchtlingen fördern (Contzen et al., 2018). Dieser Ansatz kann jedoch nur funktionieren, wenn Veränderungen für die Betreuenden und Arbeitenden vorgenommen werden (Chau et al., 2015).
- Vereinfachte Formulare und klare Zuständigkeiten für die Betreuenden (Contzen et al., 2018)
- Eine rechtliche Anpassung, dass bei einem monatlichen Lohnüberschuss die Schulden jährlich abgeglichen werden (persönliche Kommunikation, 12.03.2020)
- Bäuer*innen sollen über mögliche körperliche und psychische Belastung von Flüchtlingen informiert und sensibilisiert werden (Contzen et al., 2018)
- Einheitliches Einkommen unabhängig der Niederlassungsbewilligung (Chau et al., 2015)
Schlussfolgerung
Der Konsum von regionalen Lebensmitteln kann die Schweizer Landwirtschaft stärken und die geringere Abhängigkeit gegenüber dem Sozialwesen von Flüchtlingen fördern. Dies ist jedoch nur nachhaltig, wenn die Sektoren Landwirtschaft und Sozialwesen verstärkt zusammenarbeiten.
Dieser Blog-Beitrag entstand im Rahmen des Bachelormoduls Welternährungssysteme des Studiengangs Umweltingenieurwesen am Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen der ZHAW im Frühjahrssemester 2020.
Quellen
Der Bund. (2018, August 28). Schweizer Bauern haben immer mehr ausländische Angestellte. Der Bund. https://www.derbund.ch/contentstationimport/tamediaumfrage-agrarinitiativen-verlieren-an-boden/story/30232732
Bundesamt für Statistik. (2014, Dezember 23). Die Familie nach wie vor Eckpfeiler der Schweizer Landwirtschaft – Landwirtschaftliche Betriebszählung 2013: Zusatzerhebung | Medienmitteilung. Bundesamt für Statistik. /content/bfs/de/home/statistiken/kataloge-datenbanken/medienmitteilungen.assetdetail.39078.html
Bundesamt für Statistik. (2019, Dezember 23). SH-FlüStat: Sozialhilfequote der Personen im erwerbsfähigen Alter im Flüchtlingsbereich nach Kanton – 2018 | Tabelle. Bundesamt für Statistik. /content/bfs/de/home/statistiken/soziale-sicherheit/sozialhilfe/sozialhilfebeziehende/fluechtlingsbereich.assetdetail.11407282.html
Chau, H. S., Kumar, A., & Lieberherr, S. (2015). Non-family Labour in the Swiss Agriculture: A Status Report and Future Prospects. Journal of Socio-Economics in Agriculture (Until 2015: Yearbook of Socioeconomics in Agriculture), 8(1), 1–10.
Contzen, D. S., Bühler, M., Häberli, I., Fritschi, T., & Fachhochschule, B. (2018). Gesamtevaluation 2018 Pilotprojekt „Arbeiten in der Landwirtschaft 2015 – 2018“. 56.
Schweizer Bauernverband. (2020, Januar 1). Richtlöhne Schweizer Landwirtschaft—Agrimpuls—Schweizer Bauernverband. https://www.agrimpuls.ch/de/service/downloaden-und-bestellen/richtloehne-schweizer-landwirtschaft/