Dreifach prekär: Als Frau und Migrantin in der Landwirtschaft beschäftigt

Ein Beitrag von Ilona S.

Migrantinnen bei der Arbeit im Gewächshaus (Bild von Staton Winter, 2017, flickr.com, CC BY-NC-ND 2.0)

Die Arbeitsbedingungen für in der Landwirtschaft Angestellte lassen zu wünschen übrig. Sie sind schon alleine prekär genug. Sind die landwirtschaftlichen Angestellten auch noch immigriert und obendrein Frauen, sieht es für sie düster aus.

Das harte tägliche Brot der Landarbeiter_innen

Landwirtschaftliche Angestellte arbeiten zu extrem niedrigen Löhnen, oft unter dem Existenzminimum. Von regelmässigen Arbeitszeiten und einer 42-Stunden-Woche können sie nur träumen. Ihre Arbeit ist körperlich anstrengend und oft gesundheitsschädigend: Sie hantieren mit gefährlichen Maschinen und sind giftigen Pestiziden ausgesetzt. Sie sind oft saisonal angestellt und weder genügend sozial abgesichert noch über ihre Rechte informiert (Gertel & Sippel, 2014). All das beschreibt nicht etwa die Situation im globalen Süden, sondern in Nordamerika, Europa und der Schweiz.

Unsichtbar in Gesellschaft und Wissenschaft

Eine kurze Internetrecherche bestätigt dieses düstere Bild. Schnell finde ich Beiträge von investigativen Journalistinnen und Journalisten, Berichte von Betroffenen, Vorstösse von Menschenrechtsorganisationen, die genau diese Missstände angehen wollen. Doch die Wissenschaft scheint hier hinterherzuhinken – weder für die Schweiz noch für andere Industriestaaten lassen sich viele Studien finden (Affolter, 2018). Die Landarbeiter_innen sind offenbar doppelt unsichtbar: Sie fehlen in unserem kollektiven Bewusstsein, weil wir nicht mit ihnen konfrontiert werden, und ihre Unsichtbarkeit macht es schwierig, sie wissenschaftlich zu untersuchen.

… zusätzlich immigriert …

Die wenigen Studien, die sich finden lassen, befassen sich oft mit der Rolle der migrantischen Arbeiter_innen. Dies zu Recht: Sie machen nicht nur einen Grossteil der saisonalen Arbeitskräfte aus, sondern sind auch besonders gefährdet. Auf der einen Seite ist ihr Risiko für die Beeinträchtigung der psychosozialen Gesundheit viel höher: Durch Sprachbarrieren und fehlenden kulturellen Anschluss sind sie oft sozial isoliert, was zu psychischen Erkrankungen führen kann (Kolstrup et al., 2013). Auf der anderen Seite sind sie finanziell weitaus verletzlicher: Ihr Aufenthaltsstatus ist oft an die spezifische Arbeitsstelle geknüpft, eine Kündigung existenzbedrohend. Die gewerkschaftliche Organisation ist durch den saisonalen Aufenthalt, die Sprachbarrieren und die Abhängigkeit von den Arbeitgeber_innen schwierig (Rye & Andrzejewska, 2010).

… und auch noch als Frau!

Frauen haben in diesem Umfeld zusätzlich mit weiteren, geschlechtsspezifischen Problemen zu kämpfen. Die Abhängigkeit von den Arbeitgebenden ist nicht nur in Bezug auf die Arbeitsbedingungen ein Problem: Belästigungen und Übergriffe gehören für viele zum traurigen Alltag und wehren können sie sich kaum (Meng, 2012; Waugh, 2010). Giftige Chemikalien können die Fruchtbarkeit der Frauen beeinträchtigen und sind speziell für schwangere Frauen gefährlich (Hennebry et al., 2016). Ausserdem werden die Arbeiten oft nach geschlechtsspezifischen Vorurteilen verteilt: Frauen werden allzu oft für die manuelle Arbeit eingesetzt, während Positionen für Planung, Kontroll- oder Marketingaktivitäten Männern zugeteilt wird. So ist die Chance sehr gross, dass Frauen an temporären Stellen mit flexiblen Verträgen und niedrigem Lohn landen – mit dem Risiko, physisch und psychisch ausgebeutet zu werden (de Castro et al., 2019).

Was tun?

Migrantische Frauen, die in Industriestaaten in der Landwirtschaft angestellt werden, sind dreifach verletzlich – als Landarbeiterinnen, als Eingewanderte, als Frauen. Die gute Nachricht: Auf allen drei dieser Ebenen kann angesetzt werden, damit sich ihre Situation verbessert. Die Arbeitsbedingungen für Landarbeiter_innen müssen besser werden. Der Status von migrantischen und saisonalen Arbeiter_innen darf nicht mehr so einfach ausgenützt werden können. Und die Rechte der Frauen müssen besser geschützt sein. All das braucht Sichtbarkeit in der Bevölkerung, in der Politik und in der Wissenschaft. Bei den Diskussionen über die nachhaltige Landwirtschaft der Zukunft muss die soziale Nachhaltigkeit mitberücksichtigt werden: Landarbeiter_innen sollen sichtbar sein und ihre Stimmen sollen gehört werden!

Dieser Blog-Beitrag entstand im Rahmen des Bachelormoduls Welternährungssysteme des Studiengangs Umweltingenieurwesen am Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen der ZHAW im Frühjahrssemester 2020.

Quellen

Affolter, S. (2018). Prekarität und Interdependenz auf dem Gemüsefeld. Die Verschränkung von Grenzregime und (globaler) Landwirtschaft im Schweizer Gemüsebau [Dissertation]. Bern.

de Castro, C., Reigada, A., & Gadea, E. (2019). The devaluation of female labour in fruit and vegetable packaging plants in Spanish Mediterranean agriculture. Organization, 135050841988338. https://doi.org/10.1177/1350508419883387

Gertel, J., & Sippel, S. R. (2014). Seasonal Workers in Mediterranean Agriculture: The Social Costs of Eating Fresh. Routledge.

Hennebry, J., Williams, K., & Walton-Roberts, M. (2016). Women Working Worldwide: A situational analysis of women migrant workers. UN Women, 1–87.

Kolstrup, C. L., Kallioniemi, M., Lundqvist, P., Kymäläinen, H.-R., Stallones, L., & Brumby, S. (2013). International Perspectives on Psychosocial Working Conditions, Mental Health, and Stress of Dairy Farm Operators. Journal of Agromedicine, 18(3), 244–255. https://doi.org/10.1080/1059924X.2013.796903

Meng, G. (2012). Cultivating fear: The vulnerability of immigrant farmworkers in the US to sexual violence and sexual harassment. Human Rights Watch.

Rye, J. F., & Andrzejewska, J. (2010). The structural disempowerment of Eastern European migrant farm workers in Norwegian agriculture. Journal of Rural Studies, 26(1), 41–51. https://doi.org/10.1016/j.jrurstud.2009.06.003

Waugh, I. M. (2010). Examining the Sexual Harassment Experiences of Mexican Immigrant Farmworking Women. Violence Against Women, 16(3), 237–261. https://doi.org/10.1177/1077801209360857


2 Kommentare

  • Guten Tag Frau Stirnimann
    Internetrecherche in Ehren, aber vor Ort mit den Betroffenen zu sprechen macht mehr Sinn.
    Es gibt GAV’s in der schweizer Landwirtschaft mit Mindestlöhnen etc.
    In der Regel werden die Frauen nicht direkt mit Pestizide zu tun haben, da sie eine entsprechende Ausbild zur Ausbringung dazu benötigen.
    Zudem sind die Frauen für div. Handarbeiten geeigneter wie Männer, da sie geschickter sind.
    Dasselbe gilt für Maschinen führen, dass in der Regel die Männer besser beherrschen.
    Die Landwirtschaft bietet oft die erste Möglichkeit in die schweizer Arbeitswelt hinein zu kommen.
    P.S.: Ich bin Obstbauer und habe schon mit vielen AusländerInnen gearbeitet.

    • Grüezi Herr Friedli
      Es freut mich, dass sie meinen Blogeintrag gelesen haben und ich bedanke mich für Ihre Rückmeldung.
      Tatsächlich ist die Formulierung “eine kurze Internetrecherche” wohl nicht so gelungen, da sie suggeriert, dass der ganze Artikel lediglich auf einer solchen basiert. Dem ist natürlich nicht so, der Hinweis sollte lediglich klarmachen: Schon eine kurze Recherche fördert eine Unmenge journalistischer Untersuchungen zutage, die die prekären Verhältnisse beleuchten. So finden wir uns hoffentlich bei der Aussage: Internetrecherche (=journalistische Beiträge), das Lesen wissenschaftlicher Artikel UND mit Betroffenen zu sprechen macht am meisten Sinn.
      Auch wenn letzteres gar nicht so einfach ist: Wie in meinem Beitrag ausgeführt, sind LandarbeiterInnen oft “unsichtbar” und für wissenschaftliche Befragungen schwierig zu gewinnen.

      Bezüglich des Schutzes von Angestellten: Im Vergleich zu praktisch allen anderen Branchen der Schweiz sind die Arbeitnehmenden in der Landwirtschaft viel schlechter geschützt. Die Landwirtschaft untersteht nicht dem Arbeitsgesetz und es existiert kein schweizweiter GAV (nur das Wallis hat einen GAV). Die kantonalen Normalarbeitsverträge sind sehr unterschiedlich und beinhalten in den meisten Fällen nur unverbindliche Empfehlungen für Mindestlöhne.

      Bezüglich der Pestizide haben Sie natürlich recht: Für das Ausbringen der Pestizide ist eine entsprechende Ausbildung und Ausrüstung vorgeschrieben. Würde dies überall eingehalten, gäbe es viel weniger gesundheitliche Schäden.

      Pauschal Männern und Frauen bestimmte Fertigkeiten zuzuschreiben, halte ich für problematisch. Frauen automatisch nur für geschickte Handarbeit einzusetzen und Männer für das Führen von Maschinen wird der menschlichen Diversität nicht gerecht und kann Ungleichheiten zementieren.

      Grundsätzlich ist noch zu sagen, dass sich mein Beitrag nicht nur auf die Schweiz bezieht, sondern auf Industriestaaten wie Europa und Nordamerika. Und selbstverständlich gibt es in allen Ländern nicht nur prekäre Verhältnisse, sondern auch vorbildliche Beispiele! Dass beides existiert, ist allerdings Realität.

      Ich wünsche Ihnen ein ertragreiches Obstjahr!
      Die Autorin


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