Im Library Lab der ZHAW Hochschulbibliothek in Winterthur fand der Workshop «OER in der Didaktik» mit Dr. Bettina Waffner vom Learning Lab der Universität Duisburg-Essen statt. Im Workshop wurden die didaktischen Potenziale von OER für die Hochschullehre beleuchtet und mit den Teilnehmenden gemeinsam erarbeitet.
Was sind Open Educational Resources (OER)?
Gemäss der Definition der UNESCO sind OER “Bildungsmaterialien jeglicher Art und in jedem Medium, die unter einer offenen Lizenz stehen. Eine solche Lizenz ermöglicht den kostenlosen Zugang sowie die kostenlose Nutzung, Bearbeitung und Weiterverbreitung durch Dritte ohne oder mit geringfügigen Einschränkungen. Dabei bestimmen die Urhebenden selbst, welche Nutzungsrechte sie einräumen und welche Rechte sie sich vorbehalten.” [1]
Der Begriff „Open“ in „Open Educational Resources“ beschreibt jegliches Werk im urheberrechtlichen Sinne, das so lizenziert ist, dass allen Nutzenden die folgenden 5R-Rechte (auf Deutsch die 5V-Rechte) kostenfrei und dauerhaft eingeräumt werden [2]:
- Retain (Verwahren/Vervielfältigen): Kopien des Inhalts anfertigen, besitzen und kontrollieren (z.B. Download, Speicherung und Vervielfältigung)
- Reuse (Verwenden): Inhalt in unterschiedlichen Zusammenhängen einsetzen (z.B. im Klassenraum, in einer Lerngruppe, auf einer Website, in einem Video)
- Revise (Verarbeiten): Inhalt bearbeiten, anpassen, verändern oder umgestalten (z.B. einen Inhalt in eine andere Sprache zu übersetzen)
- Remix (Vermischen): Inhalt im Original oder in einer Bearbeitung mit anderen offenen Inhalten verbinden und aus ihnen etwas Neues zu schaffen (z.B. beim Einbauen von Bildern und Musik in ein Video)
- Redistribute (Verbreiten): Kopien eines Inhalts im Original oder in einer eigenen Überarbeitung mit Anderen teilen (z. B. einem Freund eine Kopie geben oder online veröffentlichen)
Im Hochschulkontext versuchen OER die Grenzen des traditionellen Bildungsverständnisses innerhalb und ausserhalb der Institution aufzulösen, indem sie Bildung öffentlich zugänglich machen und dadurch die Bildungsgerechtigkeit fördern. Für die Lehre lassen sich drei Einsatzszenarien für OER beschreiben:
Bestehende OER in die Lehre integrieren (weak OER)
Dozierende suchen im Internet nach Lehr- / Lernmaterialien, die unter einer offenen Lizenz publiziert wurden, kopieren und betten diese z. B. auf einer Lernplattform ein. Die Studierenden greifen dann wiederum zur Wissensaneignung auf die Materialien zu. Bei den «weak OER» kommen drei der fünf R- bzw. V-Rechte zum Einsatz: Vervielfältigung, Verwendung und Verbreitung.
Der Vorteil der weak OER liegt darin, dass es technisch gesehen relativ einfach ist, offene Lehrmaterialien zu suchen und einzubetten. Das didaktische Potenzial ist mit drei V-Rechten eher gering, da auf eine Verarbeitung und Vermischung der Inhalte verzichtet wird. [3]
Lehrmaterialien erstellen, überarbeiten und als OER veröffentlichen (strong OER)
Von «starken» OER hingegen spricht man, wenn Dozierenden die OER zusätzlich vermischen, verarbeiten und anschliessend wieder als OER veröffentlichen und diese damit zurück in den Kreislauf geben, oder wenn Dozierende eigene OER und produzieren und diese über geeignete Plattformen zur Verfügung stellen. Das didaktische Potenzial wird dadurch gegenüber den weak OER stärker genutzt, technisch gesehen ist es aber komplexer, da beispielsweise die Versionierung mit der Aufführung der Urheberschaft und der erfolgten Überarbeitungen berücksichtigt sowie die geeigneten Plattformen zur Veröffentlichung gesucht werden müssen. [3]
Studierende in den Prozess integrieren (OER enabled pedagogy, open pedagogy)
Der Grundgedanke von OER wird didaktisch erst dann vollumfänglich ausgeschöpft, wenn auch die Studierenden in den Prozess einbezogen werden. In der open pedagogy arbeiten Studierende und Dozierende zusammen, um die offenen Lehr- und Lernmaterialien an ihre Bedürfnisse anzupassen, zu optimieren und erneut zu veröffentlichen. Durch den Einsatz von OER im Unterricht erhalten die Studierenden einen anderen Zugang zum Wissen, indem sie aktiv in den Prozess der Gestaltung und Bearbeitung mit einbezogen werden und damit Verantwortung für ihr eigenes Lernen übernehmen. Nicht die Inhalte, sondern die Studierenden stehen im Mittelpunkt und interagieren mit dem Inhalt und mit den beteiligten Personen. [4]
Beispiele für innovative Lehr- und Lernformate der open pedagogy [5]:
- Wikipedia-Artikel erstellen oder bestehende Artikel überarbeiten, um beispielsweise den Status «good article» von Wikipedia zu erhalten. Die Dozierenden oder Studierenden können aber auch eigene Bewertungskriterien für einen «guten Artikel» erstellen.
- Entwicklung eines offenen Lehrbuchs über mehrere Semestergenerationen hinweg, mit dem Ziel, ein offenes, flexibles und interaktives Lehrbuch für die Studierenden zur Verfügung zu stellen. Die Produktion des Lehrbuchs erfolgt zyklisch aufbauend, sodass die Komplexität des Materials und der Grad der Interaktivität für die Studierenden mit jedem Semester steigt. Mithilfe eines Web Annotation-Tools ist es zudem möglich, in einen Fachdiskurs mit der Öffentlichkeit zu treten und Rückmeldungen zum Lehrbuch in jede neue Weiterentwicklung einfliessen zu lassen.
- Kollaborative Entwicklung eines Kurskonzepts oder Erarbeitung eines Themas mit dem Ziel, ein Fachthema interaktiv unter Studierenden, Dozierenden und einer breiteren akademischen Community und Öffentlichkeit zu bearbeiten. Die Studierenden nehmen dabei eine aktive Rolle in der inhaltlichen und strukturellen Gestaltung, wie auch der Umsetzung ein. Die Dozierenden begleiten die Studierenden in der Bearbeitung und stellen den Rahmen sicher. Die Öffentlichkeit wird zum Beispiel über öffentlich zugängliche Websites, E-Portfolios oder moderierten Twitter-Chats zur Interaktion eingeladen.
Schon gewusst?
Das OER-Kompetenzentrum der ZHAW Hochschulbibliothek steht bei Fragen zu OER, zur OER-Community und OER-Veranstaltungen per E-Mail oer.hsb@zhaw.ch gerne zur Verfügung. Weitere Informationen zum Thema OER an der ZHAW stehen auch auf der dieser Webseite bereit: Open Educational Resources.
Ressourcen
Titelfoto: Roboter OER Illustration von annemazo unter Pixabay License
[1] Deutsche UNESCO-Kommission (2021, 18. November): Open Educational Resources. https://www.unesco.de/bildung/open-educational-resources
[2] Defining the “Open” in Open Content and Open Educational Resources was written by David Wiley and published freely under a Creative Commons Attribution 4.0 license at http://opencontent.org/definition/.
[3] Kerres, Michael; Heinen, Richard; Getto, Barbara 2016: Alles open – alles gut? Informationelle Ökosysteme und ihr Beitrag zur Öffnung von Bildung. In: Synergie. Fachmagazin für Digitalisierung in der Lehre. Heft 2. Hamburg. 28-31. CC BY SA 4.0
[4] DeRosa, R and Robison S. 2017. From OER to Open Pedagogy: Harnessing the Power of Open. In: Jhangiani, R S and Biswas-Diener, R. (eds.) Open: The Philosophy and Practices that are Revolutionizing Education and Science. Pp. 115–124. London: Ubiquity Press. https://www.ubiquitypress.com/site/chapters/e/10.5334/bbc.i/ License: CC BY 4.0
[5] Waffner, Dr. B. (2021, 11. November). Freie Lehr- und Lernmaterialien für offene Bildungsräume in der digitalen Welt [Vortragsfolien]
Wo nicht anders genannt, steht dieser Beitrag von Sarah Franke Digital Campus / ZHAW Departement Soziale Arbeit unter der Lizenz CC BY 4.0 (Stand 18.11.2021)