Im ersten Beitrag zum Thema Webcam «an» oder «aus» im Online-Unterricht haben wir die unterschiedlichen Perspektiven von Dozierenden und Studierenden dazu betrachtet und Gründe für diese Unterschiede aufgezeigt. Dieser zweite Blogbeitrag fokussiert auf konkrete Tipps und zeigt einerseits, wie die Motivation der Studierenden zur Webcam-Nutzung unterstützt bzw. wie der Unterricht auch ohne Webcam aktivierend und partizipativ gestaltet werden kann, und andererseits, welche Entscheidungshilfen Dozierenden bei der Suche nach der besten Lösung zur Verfügung stehen.
Tipps zur Vermeidung der Online-Müdigkeit
Bevor man sich vertiefend mit dem Thema «Webcam an» auseinandersetzt, ist es wichtig, sich Gedanken über die sogenannte «Zoom-Fatigue» (s. auch die Ausführungen im ersten Blogbeitrag) zu machen. Diese lässt sich mit ein paar technischen und didaktischen Tricks zumindest abschwächen. [1]
- Selbstansicht ausschalten: Studierende (wie auch Dozierende) erleben es häufig als belastend, konstant mit dem Blick auf das eigene «Ich» konfrontiert zu werden. In den meisten Videokonferenz-Tools kann die «Selbstansicht» deshalb ausgeschaltet werden.
- Sprecheransicht aktivieren: In einem Meeting mit wenigen Teilnehmenden kann es vorteilhaft sein, alle Personen in der Galerieansicht zu sehen. In einer virtuellen Vorlesung führt dies jedoch zu einer kognitiven Überlastung, da der Blick konstant abgelenkt ist. Indem man die Sprecheransicht aktiviert oder sich auf den geteilten Bildschirm konzentriert, wird der Blick fokussiert und die Ablenkung auf ein Minimum reduziert.
- Audio-only: In Sequenzen, in denen nur die Tonspur relevant ist, können Studierende ganz bewusst gebeten werden, ihre Webcam auszuschalten. Wird anschliessend das Gehörte in (Klein-)Gruppen diskutiert und reflektiert, sind Studierende eher bereit, ihre Webcam (wieder) einzuschalten.
- (Aktive) Bildschirmpausen einbauen: Auch mangelnde Bewegung ist mitverantwortlich dafür, dass man sich nach einem Tag vor dem Bildschirm erschöpft fühlt. Kurze Pausen zwischendurch können aktiv genutzt werden, um den Körper wieder in Bewegung zu bringen und die Augen zu entlasten.
Wie man die Webcam-Nutzung erhöhen kann
Studierende sollen zunächst dort abgeholt werden, wo sie Probleme mit einer eingeschalteten Webcam haben. Ein weiteres Erfolgsrezept für Webcam-Nutzung lautet «ermutigen statt fordern». Legt man mit den Studierenden Spielregeln für den Unterricht fest und reflektiert diese gemeinsam, erkennen sie eher den Nutzen und Mehrwert des Webcam-Gebrauchs, womit wiederum die Bereitschaft steigt, die Kamera einzuschalten. Sobald eine aktivierte Webcam zur Norm wird, wird auch der Gebrauch der Kamera weniger in Frage gestellt. Das Learning Lab der Universität Duisburg-Essen hat unter der Leitung von Michael Kerres den aktuellen Stand der Forschung zu Videokonferenzen in der Lehre ausgewertet und Hinweise daraus abgeleitet, die bei der Gestaltung berücksichtigt werden sollten [2]. Folgende Punkte sind interessant:
- Zeit lassen: Die Studierenden brauchen Zeit, um sich auf den Online-Unterricht einzustellen. Die Gestaltung von einfachen Aktivitäten als Warm-Up oder Ice-Breaker helfen, sich im virtuellen Raum zu orientieren. Dabei können Kamera- und Gesprächsregeln spielerisch eingeführt und gefestigt werden.
- Vorträge asynchron bereitstellen: Die Aufzeichnungen von Präsentationen (Screencasts) werden im Vorfeld der Veranstaltung über eine Lernplattform wie Moodle bereitgestellt. Die Studierenden schauen diese selbstgesteuert als Vorbereitung an, sodass die gemeinsame Bildschirm-Zeit anschliessend für Rückfragen, Reflexion oder vertiefende Diskussionen genutzt werden kann.
- Studierende aktiv einbinden: Passivität verleitet dazu, sich mit anderem zu beschäftigen und die Kamera auszuschalten. Durch die aktive Einbindung der Studierenden in die Unterrichtsgestaltung wird dies verhindert. Die Beteiligung der Studierenden steigt mit den angebotenen Möglichkeiten. Diese sind sehr vielfältig: Es können Aufträge in Kleingruppen bearbeitet, weitere Tools wie Miro oder Padlet zur Ergebnisdokumentation von Aufgaben eingesetzt und Quizze, Umfragen oder Selbstlernkontrollen durchgeführt werden.
- Virtueller Hintergrund: Den Studierenden ist es teilweise unangenehm, dass andere Teilnehmende über die Kamera Einblick in ihre Privatsphäre erhalten. Hier sind «virtuelle Hintergründe» hilfreich. Damit ist nur noch die Person vor der Kamera sichtbar, der Hintergrund ist entweder unscharf oder wird durch das ausgewählte Bild überlagert.
Warum ausgeschaltete Webcams kein Problem sind
Der Schlüssel zum Erfolg liegt in vielen Faktoren. Diese können die Dozierenden individuell betrachten und beurteilen. Aber warum nicht einmal eine neue Herangehensweise ausprobieren und die Webcam bewusst auslassen? Es gibt viele Möglichkeiten, eine Videokonferenz so zu gestalten, dass sich die Studierenden auch ohne Webcam einbringen und eine positive soziale Präsenz innerhalb der Gruppe aufbauen können. [3] Nachfolgend einige Ideen:
- Name und Profilbild: Die Studierenden bitten, in der Videokonferenz ihren richtigen Namen anzugeben (statt einen Spitznamen oder ein Kürzel) und als Profilbild ein persönliches Foto oder ein anderes Bild der Wahl einzufügen, damit «die schwarze Wand» durchbrochen wird.
- Fragen oder Aufgaben: Die Studierenden zur Teilnahme auffordern, bspw. durch direkte Fragen oder Aufgaben, welche im Chat, einem geteilten Dokument mit Hilfe des Annotationstools oder einem anderen Tool wie Padlet oder Miro beantwortet oder bearbeitet werden.
- Kleingruppen: Die Studierenden in Kleingruppen aufteilen, womit die Hemmschwelle, die Webcam einzuschalten, in der Regel sinkt.
- Umfragen und Quizspiele: Die Studierenden durch den gezielten Einsatz von Umfragen und Quizspiele aktivieren. Damit können sie zudem ihren Lernfortschritt überprüfen und sichtbar machen.
- Reaktionen einsetzen: Auf die Beiträge der Studierenden bewusst reagieren und dabei die Reaktionen, die in den Videokonferenzsystemen integriert sind, nutzen (Smiley, Daumen hoch, klatschende Hände oder andere Emojis).
Und jetzt – Webcam «an» oder «aus»?
Wem die Entscheidung auch nach der Lektüre dieser zwei Blogartikel zum Thema «an» oder «aus» schwerfällt, der findet Hilfe in Form eines Entscheidunsgsbaums, den Lindsay Masland vom Center for Academic Excellence der Appalachian State University entworfen hat. Dieser wurde vom Hochschulforum Digitalisierung ins Deutsche übersetzt und zur Verfügung gestellt. Der Entscheidungsbaum greift die wesentlichen Gründe für die Kameranutzung bzw. Nicht-Nutzung auf und unterstützt bei der Suche nach der richtigen Entscheidung. [4]
Ressourcen
Titelfoto: Photo by Headway on Unsplash
[1] Castelli FR, Sarvary MA. Why students do not turn on their video cameras during online classes and an equitable and inclusive plan to encourage them to do so. Ecol Evol. 2021;11:3565–3576. https://doi.org/10.1002/ece3.7123
[2] Kerres, M. (2020): Frustration in Videokonferenzen vermeiden: Limitationen einer Technik und Folgerungen für videobasiertes Lehren. In: Wilbers, K. (Hrsg.) Handbuch E-Learning. Köln: Kluwers Wolter. https://learninglab.uni-due.de/publikationen/13033
[3] Garner V. (2021, 02. September). Webcam-Nutzung von Studierenden in Online-Veranstaltungen. https://hochschulforumdigitalisierung.de/de/blog/webcam-nutzung-studierende
[4] Fischer K. (2021, 02. September). Kamera an oder aus? Das ist hier die Frage. – Entscheidungsanregungen für die Online-Lehre. https://hochschulforumdigitalisierung.de/de/blog/kamera-an-aus-webcam-online-lehre