Einfluss der COVID-19-Pandemie auf die Zukunftsfähigkeit der Autohäuser in der Schweiz

Eine Untersuchung des Instituts für Wirtschaftsinformatik zeigt, dass die Pandemie bisher ambivalente Auswirkungen auf die Schweizer Autohäuser hatte, und gibt Handlungsempfehlungen für die Zukunft.

Die Automobilwirtschaft hat für die Schweiz eine grosse Bedeutung, da jeder achte Arbeitsplatz direkt oder indirekt von ihr abhängt.  Im Jahr 2018 erzielten 19’861 Unternehmen des Automobilgewerbes inklusive der dazu gehörenden Dienstleister mit insgesamt 226’230 Mitarbeitenden einen Umsatz von 94,37 Mrd. Franken und damit 13,7 Prozent des BIP.

Aktuell sieht sich das Automobilgewerbe mit einer Phase des fundamentalen Wandels konfrontiert: Eine Studie von Bain & Company zur Zukunftsfähigkeit des Automobilhandels aus dem Jahr 2019 sieht fünf Megatrends, mit denen sich Importeure und Handel auseinandersetzen müssen: Konnektivität/Digitalisierung, Shared Mobility, Elektroantriebe, autonomes Fahren und echte Kundenorientierung. Mit der im Frühling 2020 beginnenden COVID-19-Pandemie wurde auch die Automobilbranche ohne Vorwarnung zusätzlich heftig getroffen: Auf dem Höhepunkt der ersten Welle wurde im April 2020 der Tiefpunkt mit 9’382 Neuimmatrikulationen und einem Minus von 67,2 Prozent gegenüber dem Vorjahr erreicht. In keinem Monat seit der Ölkrise in den 1970er Jahren gab es weniger als 10’000 Neuimmatrikulationen in der Schweiz. Die COVID-19-Pandemie trifft die Unternehmen abgesehen von den gravierenden gesundheitlichen Auswirkungen auf der Angebotsseite (z. B. durch ausfallende Warenlieferungen), der Nachfrageseite (z. B. durch sinkende Konsumenteneinkommen) und der Finanzseite (z. B. durch höhere Kreditrestriktionen).

Im Rahmen eines Forschungsprojektes am Institut für Wirtschaftsinformatik der ZHAW in Winterthur wurde untersucht, welchen Einfluss die COVID-19-Pandemie auf die Zukunftsfähigkeit der Autohäuser in der deutsch-, französisch- und italienischsprechenden Schweiz hat. Dazu wurden Autohäuser in der gesamten Schweiz im Zeitraum vom 23. Mai bis zum 15. Juni 2020 befragt. Insgesamt nahmen 259 Autohäuser an der Umfrage teil. Sie fokussierte explizit auf die drei Zeitpunkte Dezember 2019, Lockdown-Phase und Ende Lockdown im Mai 2020. Nachfolgend sind zentrale Ergebnisse zu den drei Phasen zusammengefasst.

Betrachtung Dezember 2019

Erhoben wurden die Einschätzungen zur Zukunftsfähigkeit im operativen Bereich (Verkauf, After Sales, Teile & Zubehör) sowie im Kompetenzbereich (Führung, Mitarbeitende, Digitalisierung). Über alle Teilbereiche hinweg beurteilten 65 Prozent der Autohäuser ihre Zukunftsfähigkeit positiv. Dabei zeigte sich, dass die Autohäuser in der Deutschschweiz ihre Zukunftsfähigkeit im Vergleich zur Romandie und zum Tessin positiver beurteilen. Ferner schätzten grosse Autohäuser ihre Zukunftsfähigkeit besser ein als mittlere und kleine. Betrachtet man die Einzelaspekte, so wird mit Blick auf die Zukunftsfähigkeit die Mitarbeitendenkompetenz mit 81 Prozent am optimistischsten beurteilt, gefolgt vom Bereich After Sales mit 78 Prozent. Deutlich verhaltener ist der Optimismus mit 56 bzw. 54 Prozent in den Bereichen Digitalisierung und Verkauf. Hierzu dürfte wesentlich beigetragen haben, dass die Automobilbranche aktuell vor gravierenden Veränderungen steht, z. B. aufgrund der zunehmenden Digitalisierung oder der steigenden Bedeutung des Onlinevertriebs durch die Hersteller und Importeure.

Betrachtung Lockdown März bis Mai 2020

Am 16. März 2020 änderte sich die Situation für die Autohäuser in der Schweiz fundamental: Die Situation in der Schweiz wurde gemäss Epidemiengesetz neu als «ausserordentliche Lage» eingeschätzt. Für die Automobilbranche bedeutete dies unter anderem, dass nur noch die Werkstätten geöffnet bleiben durften unter strikter Einhaltung der Abstands- und Hygieneempfehlungen des BAG. Hingegen mussten alle Verkaufsräumlichkeiten bis auf weiteres geschlossen werden. Sie durften erst am 11. Mai 2020 unter Einhaltung eines Schutzkonzeptes wieder öffnen.

Die wichtigste Aufgabe der Führungskräfte im Autohaus war in dieser Zeit die Motivation der Mitarbeitenden: Für 79 Prozent der Befragten hatte sie eine sehr hohe Priorität. Interessanterweise war die Beschäftigung mit finanziellen Aspekten mit 49 Prozent von deutlich untergeordneter Wichtigkeit. Hierzu beigetragen haben dürfte zum einem die grossflächige Einführung von Kurzarbeit, die 74 Prozent der Autohäuser beanspruchten.  Zum anderen konnten KMU zur Überbrückung von Liquiditätsengpässen einen COVID-19-Kredit von 10 Prozent des Jahresumsatzes bis max. 500’000 Franken beantragen.

Die Untersuchung beschäftigte sich weiter damit, wie zufrieden die Autohäuser mit der erhaltenen Unterstützung durch Importeure, Politik und Verbände waren. Hier zeigt sich ein uneinheitliches Bild: 46 Prozent der Autohäuser waren zufrieden mit der Unterstützung seitens der Verbände. So hat z. B. der AGVS auf seiner Homepage laufend aktuelle Berichte publiziert. Mit der Unterstützung durch die Politik waren 42 Prozent zufrieden. Ein Grund hierfür mag auch in der Unsicherheit liegen, wie das weitere Vorgehen im Rahmen der CO2-Vorgaben und der Elektromobilität ist. Am kritischsten wurde die Unterstützung durch die Importeure beurteilt, die lediglich von 23 Prozent der Autohäuser positiv wahrgenommen wurde. Eine statistische Analyse zeigte, dass es keine signifikanten Unterschiede nach Sprachregionen und Grössenklassen gibt mit Blick auf die erhaltenen Unterstützungen.

Betrachtung Zukunftsblick nach Ende Lockdown Mai 2020

Basierend auf den Erfahrungen während des Lockdowns interessierte die Studienautoren weiter, was die Autohäuser rückblickend anders gemacht hätten. Dabei zeigte sich, dass sie nur in sehr begrenztem Umfang anders gehandelt hätten. Mit 37 resp. 35 Prozent hätten die Autohäuser am ehesten mehr Fokus gelegt auf eine grössere Unabhängigkeit von den Importeuren und die konsequentere Auseinandersetzung mit der Digitalisierung.

Um eine Aussensicht einzubringen, analysierte die Studie im Folgeschritt, welche Unterstützungen seitens der Importeure und Politik aus Sicht der Autohäuser hilfreich wären zur nachhaltigen Sicherstellung der Zukunftsfähigkeit. Obwohl die Finanzsituation während des Lockdowns gemäss der Einschätzung der Autohäuser nicht die zentrale Herausforderung war, werden in erster Linie von den Importeuren insbesondere Hilfen mit finanzunterstützendem Charakter gefordert. Unterstützungen zur Weiterentwicklung des eigenen Autohauses, z. B. im Rahmen des Business Managements spielen mit 23 Prozent lediglich eine untergeordnete Rolle. Gesamthaft betrachtet steigen die Anforderungen an die Importeure mit zunehmender Grösse des Autohauses. Im Gegensatz zu den Erwartungen an die Importeure stehen mit Blick auf erwartete Unterstützungen durch die Politik nicht zwingend direkte finanzielle Zuwendungen an das Autohaus im Vordergrund. Wichtigste Forderung ist für 54 Prozent der Autohäuser die Streckung der C02-Vorgaben.

Abschliessend wurden die Entscheidungstragenden gefragt, wie sie aktuell die Zukunftsfähigkeit ihres Autohauses einstufen (vgl. Abbildung 1). Auffallend im Vergleich zur Beurteilung vom Dezember 2019 sind insbesondere die nochmals pessimistischere Beurteilung des Bereiches Verkauf (-6 Prozent) und die deutlich positivere Beurteilung des Bereiches Digitalisierung (+5 Prozent). Hierzu beigetragen haben mit Sicherheit die Erfahrungen während des Lockdowns mit geschlossenen Verkaufsräumlichkeiten und die verstärkte Nutzung von Online-Kommunikationsmedien wie Zoom oder MS Teams.

Beurteilung Zukunftsfähigkeit Ende Lockdown Mai 2020 und Dezember 2019

Interessant war die Analyse, wie sich die Beurteilung der Zukunftsfähigkeit zu den beiden Zeitpunkten auf Ebene des individuellen Autohauses entwickelt hat. Sie wird gesamthaft ambivalent betrachtet: 50 Prozent sehen die Zukunft optimistischer, 43 Prozent skeptischer und 7 Prozent sehen keine Änderung. Hierbei wird die Zukunftsfähigkeit in der Deutschschweiz und der Romandie deutlich besser eingestuft als im Tessin. Ein möglicher Grund könnte darin liegen, dass das Tessin von der ersten Corona-Welle besonders stark betroffen war. Ein Hauptgrund für die positivere Einschätzung der Zukunftsfähigkeit bei vielen Autohäusern mag darin liegen, dass diese die aktuelle Krise als Chance sehen, um proaktiv das sich insgesamt stark ändernde Automobilumfeld anzugehen und sich so nachhaltig erfolgreich am Markt zu positionieren.

Zusammenfassung

Die COVID-19-Pandemie hat gemäss Einschätzung der Entscheidungstragenden die Zukunftsfähigkeit der Autohäuser nicht grundsätzlich verschlechtert. Es zeigt sich vielmehr ein ambivalentes Bild. Die Massnahmen der Politik zur Sicherstellung der Liquidität der Autohäuser haben ihr Ziel klar erreicht und die Liquiditätsfrage ist aktuell für die meisten Autohäuser nicht der zentrale Überlebensaspekt. Ferner sind gesamthaft betrachtet die Unterschiede der Ergebnisse nach Grössenklasse der Autohäuser bzw. nach Sprachregion geringer als dies hätte erwartet werden können.

Aus der Analyse der Studienergebnisse lassen sich verschiedene Handlungsempfehlungen ableiten: Den Autohäusern wird empfohlen, die eigene Unternehmensstrategie umfassend zu verifizieren mit besonderem Fokus auf die Beantwortung der Kernfrage: «Sind wir für das automobile Zukunftsumfeld umfassend gerüstet und welche Voraussetzungen müssen hierfür geschaffen werden?» Die Importeure müssen ihrerseits kritisch reflektieren, welche Unterstützungsformen für die Autohäuser nachhaltigen Erfolg haben. Hierfür ist ein ausgewogenes Verhältnis notwendig aus Massnahmen (i. d. R. finanzieller Natur) zur Sicherstellung der aktuellen Überlebensfähigkeit der Autohäuser und mittel- bis langfristigen Massnahmen zur Sicherstellung eines ausreichenden und kompetenten Händlernetzes. Der Politik kommen in erster Linie rahmenbildende Aufgaben zu: Die Automobilbranche benötigt einerseits verbindliche Leitlinien, welchen Stellenwert die landesweite Individualmobilität künftig haben soll. Andererseits muss weiterhin überprüft werden, ob und in welchem Umfang finanzielle Unterstützungen für die Autohäuser sinnvoll sind, um weitere mögliche Wellen der COVID-19-Pandemie bzw. ähnlich gelagerte Krisen zu überstehen.

Exkurs: Zeitraum Juni 2020 bis März 2021

Die COVID-19-Pandemie hat die Wirtschaft auch nach dem Ende des ersten Lockdowns weiter empfindlich getroffen und prägt bis zum heutigen Tag das Wirtschafts- und Gesellschaftsleben.

Im Rahmen von qualitativen Interviews mit annähernd 40 Entscheidungstragenden von Autohäusern und Importeuren wurde untersucht, wie sich die Situation weiterentwickelt hat. Besonders interessierte dabei die Frage, ob die Zuversicht vieler Autohäuser in Bezug auf ihre Zukunft erhalten geblieben ist. Im Mai 2020 hörte man oft sinngemäss die Aussage «Wenn wir uns jetzt optimal aufstellen und die neuen Entwicklungen proaktiv antizipieren, gehen wir gestärkt aus der Krise hervor – da viele Autohäuser zu träge sind für den Wandel». Exakt dieser Sachverhalt hat sich inzwischen bestätigt: Zahlreiche Autohäuser hatten 2020 ergebnismässig das beste (!) Geschäftsjahr aller Zeiten. Hierfür wurden vier Hauptgründe ausgemacht: Erstens erfolgte eine viel konsequentere und zielgerichtetere Bearbeitung des eigenen Kundenstamms. Zweitens wurden Kundenprozesse und interne Prozesse digitalisiert. Drittens wurden mit der steigenden Relevanz der Elektromobilität neue Umsatzpotentiale ausgeschöpft. Und viertens wurde die Führungsverantwortung viel konsequenter wahrgenommen – auch im Hinblick darauf, dass das Team nicht resigniert und trotz der aktuellen Situation optimistisch an die Zukunft glaubt. 

Studienautoren

Andreas Block, Dr. oec. (HSG), ist Dozent am Institut für Wirtschaftsinformatik der ZHAW School of Management of Law

Anschrift: ZHAW School of Management and Law, Institut für Wirtschaftsinformatik, Theaterstrasse 17, CH-8401 Winterthur, Tel.: +41 (0)58 934 45 90, E-Mail: andreas.block@zhaw.ch

Mario Gellrich, Dr. rer. nat., ist Dozent am Institut für Wirtschaftsinformatik der ZHAW School of Management of Law

Anschrift: ZHAW School of Management and Law, Institut für Wirtschaftsinformatik, Theaterstrasse 17, CH-8401 Winterthur, Tel.: +41 (0)58 934 78 90, E-Mail: mario.gellrich@zhaw.ch

Christian Russ, Dr., ist Dozent am Institut für Wirtschaftsinformatik der ZHAW School of Management of Law

Anschrift: ZHAW School of Management and Law, Institut für Wirtschaftsinformatik, Theaterstrasse 17, CH-8401 Winterthur, Tel.: +41 (0)58 934 46 11, E-Mail: christian.russ@zhaw.ch



Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert