Verbindungen zwischen Hirnarealen. links Placebo, rechts Psylocibin, einem Psychedelika

Besser altern mit Psychedelika? 

Drogen, insbesondere Psychedelika, werden fast ausschliesslich mit jungen Menschen, Partys und Anti-Establishment in Verbindung gebracht. Der Autor des Büchleins «Elysium hin und zurück», Claude Weill, hingegen porträtiert Menschen in der zweiten Lebenshälfte, die mit Psychedelika unterwegs sind und sich aufgrund ihrer spirituellen Suche auf diese Reisen begeben.  

Das Buch besteht aus neun Porträts von “Reisenden” sowie drei Fachinterviews. Neben der Einführung des Autors zu Spiritualität enthält es ausserdem ein ausführliches Glossar zu den konsumierten Substanzen sowie Literatur und Links zu diesen Themen (s.u. „zum Buch“). Weill begibt sich sowohl zurück zu der Entdeckung des LSDs im Jahr 1943 wie auch zu einer möglichen Zukunft als Einsatz bei therapieresistenten traumatisierten Menschen. 

Die Interviews mit Fachpersonen

Für ersteres interviewt er einen Basler Buchhändler, der Alfred Hoffman, den Entdecker des LSD, persönlich gekannt hat. 

Ebenfalls interviewt wird Peter Oehen, einer der wenigen Ärzt:innen, die in der Schweiz Psychedelika anwenden dürfen. Er behandelt schwer traumatisierte Menschen, bei denen andere Therapien versagt haben. Dabei bewähre sich laut ihm bei Therapiebeginn MDMA (bekannt als Ecstasy), um Vertrauen zu fördern, danach LSD, das oft erstmals Zugang zu Traumata schaffe. Oehen plädiert überzeugend für «heilsame Schlüsselerlebnisse» statt Dauermedikation. Er ist überzeugt, dass diese Substanzen ihren Platz in der Pharmakotherapie finden werden, schlicht weil geeignete Alternativen fehlen (s.u. Infobox Forschung zu Psychedelika). 

Hintergrund der Befragten 

Die porträtierten neun Personen sind von zwei Ausnahmen abgesehen alles langjährige Besucher:innen einer psychonautischen (also Substanzen konsumierenden) Gruppe, welcher der Autor ebenfalls seit vielen Jahren angehört. Die Porträtierten, sechs Männer und drei Frauen, sind zum Zeitpunkt der Interviews zwischen 53 und 73 Jahre alt. Alle wollen – vor allem im Hinblick auf ihre Arbeitsstelle – nur unter einem Pseudonym auftreten. Beruflich sind oder waren diese überwiegend in Bildungs- oder Gesundheitsberufen aktiv. Kinder haben sechs der Porträtierten, vier von ihnen sind Grosseltern. 

Konsumhäufigkeit, Dosierung, Verträglichkeit 

Die meisten haben schon alle ihnen verfügbaren bewusstseinserweiternden Substanzen ausprobiert. Die Unterschiede beziehen sich vor allem auf die Dosierung. 

Bis auf einen Porträtierten nahm keine der befragten Personen über die Jahre mehr als vier-, fünfmal jährlich Psychedelika oder Empathogene zu sich. Die Tendenz ist dabei beim Konsum wie der Dosierung abnehmend: So ist der zur Zeit des Interviews 73-jährige Brian D. heute «nur» noch vier- bis sechsmal pro Jahr mit tiefen Dosierungen unterwegs. (vgl. Zitat unten zu seinem früheren Konsum). 

Motive je nach Einstiegsalter 

Bei jenen, die bereits in jungen Jahren eingestiegen waren, standen Experimentierlust oder der Wunsch zu einer bestimmten Clique dazuzugehören im Vordergrund. 

Als Motiv bei hohem Einstiegsalter resp. nach einer Pause wird hingegen Selbsterkenntnis angegeben. Einige sind überzeugt, dass sich der Nutzen erst in der zweiten Lebenshälfte entfaltet habe.  Alle berichten von eindeutig positiven Erfahrungen, überwältigend schönen Bildern (mehr als in der Realität), grosser Verbundenheit mit dem Universum sowie dem Zurücktreten des Egos. 

(Mind-)Set und Setting 

Die Neunergruppe zeichnet sich durch eine hohe Verantwortung bzgl. Konsum aus. Das Sicherheitsbedürfnis liegt hoch. Dies zeigt sich darin, dass das Setting stark ritualisiert ist und ein Partysetting für sie nie in Frage käme. Das bevorzugte Setting besteht bei den meisten in einer Leitung durch 1-2 erfahrene Personen sowie einer Gruppe. Viele betonen, dass der Ort wichtig sei, bevorzugt wird ein Platz in der Natur. Bei zweien fand die Einnahme gar in einem therapeutischen Setting statt. 

Risiken und Stolpersteine 

Die porträtierten Personen sind sich bewusst, dass der langjährige Gebrauch von Psychedelika und Empathogenen mit Risiken verbunden ist. Nicht aufgrund einer kaum vorhandenen Suchtgefahr und auch nicht wegen der Illegalität und dem dadurch bestehenden Risiko, unsauberen oder zu hoch dosierten «Stoff» zu erhalten.  

Ingo V. fühlt sich trotz Vorerkrankung beim Konsum von Psychedelika sicher, wenn er sagt: «Ich nehme seit Jahren Blutdruck- und Cholesterinsenker, hatte vor fünf Jahren eine Krebserkrankung mit ziemlich starken Beeinträchtigungen. Das sind keine Kontraindikationen; medizinisch bin ich, wie man sagt, gut eingestellt» (Weill 2020: 152). Ähnlich tönt es von Xavier L., der in psycholytischen Settings drei- bis viermal jährlich Psychedelika und Empathogene zu sich nimmt: «Ich vertrage auch im fortgeschrittenen Alter MDMA und LSD nach wie vor gut und möchte auch wieder einmal eine hochdosierte Reise unternehmen» (ebd.: 50). 

Das Thema Sucht wird zwar erwähnt, aber gleichzeitig auch, was davor bewahrt. Keiner der Befragten ist oder war süchtig, weder nach den psycholytischen oder nach anderen Substanzen. 

Nicht verhehlt werden zweischneidige Erlebnisse, die in der Konfrontation mit den abgelehnten eigenen Eigenschaften und Problemen bestehen. 

Die Hauptgefahr jedoch sehen die LSD-Veteran:innen in einer Gewöhnung an überwältigende Gipfelerlebnisse, die man immer wieder aufs Neue erleben will. So erinnert sich Brian D.: «Ungefähr ab 1997, ich war damals bereits 52, dehnte ich meine psychedelischen Erfahrungen auf zwei bis drei Trips in der Woche aus. Im Rückblick betrachtet, habe ich mir damals sicher zu viel zugemutet. (…) Der Drang, hinter das Geheimnis der sichtbaren, berührbaren Phänomene zu kommen, wurde für mich eine Zeit lang zur Obsession» (Weill 2020: 56f.). Oder Herbert K., der rückblickend einräumen muss: «Diese ‹ozeanische Selbstentgrenzung› war überwältigend, und sie hatte eindeutig Suchtpotenzial. Nicht körperlich, aber psychisch.» 

Auch Ingo V. hinterfragt seine langjährigen Erfahrungen mit MDMA: «MDMA bringt dich immer wieder in die gleichen angenehmen, aber auch trügerischen Verführungsräume, ohne eine wirkliche Transformation zu bewirken» (ebd.: 149). 

Spirituelle Erfahrung 

Die Frage nach spirituellen Erfahrungen ist für den Autor zentral. In der Literatur finden sich auch viele Beispiele, wie auch schon eine einzige Erfahrung mit Psychedelika sich spirituell auswirken kann. Und tatsächlich berichten alle Befragten von tiefen spirituellen Erfahrungen und Einsichten. aufgrund der Einnahme der Substanzen. Manche beschreiben auch den temporären Tod ihres Egos.  

Der Autor berichtet: “Als ich im Alter von 53 zum ersten Mal LSD zu mir nahm, war das für mich eine Offenbarung. Seit diesem Erlebnis habe ich die Gewissheit, dass es – um mit Shakespeares Hamlet zu sprechen – in der Tat «mehr Dinge zwischen Himmel und Erde gibt», als wir gemeinhin annehmen”.  (Quelle).

Die Befragten eint das Thema Spiritualität. So überrascht es nicht, dass alle auch intensive Erfahrungen mit substanzunabhängigen Techniken zur Auseinandersetzung mit sich selbst wie Psychotherapie, speziellen Atemtechniken, Visionssuche oder Schamanismus haben. 

Integration der Erfahrung in den Alltag 

Die porträtierten Personen stehen nach Ansicht des Autors alle für eine weitgehend gelungene Integration spiritueller Grenzerfahrungen in den Lebensalltag. Selbst Bernhard, der von sich sagt: «Den nachhaltigen, bewussten Zugang zu Selbsterkenntnis und Mitgefühl habe ich im Zen gefunden, nicht durch Substanzen» (ebd.: 91), relativiert dies jedoch an anderer Stelle. 

Der 73-jährige Brian D. bringt diese spirituelle Erkenntnis auf den Punkt, wenn er rückblickend sagt: «So gesehen, hat mein Leben erst mit 50 angefangen. Erst dann fand ich den Mut, mich dem Leben ganz zu überlassen. Dem Leben zu sagen: ‹ Hier bin ich – ich stehe dir zur Verfügung. Zeig mir, was zu tun ist. Das entbindet mich nicht der alltäglichen Entscheide und Aufgaben, aber diese erfolgen aus einer anderen Einstellung dem Leben gegenüber und aus dem Wissen, dass immer das Ganze entscheidet, in dem ich als Teil enthalten bin» (Weill 2020: 64).  

Mehrere betonen, wie wichtig es sei, die Erfahrungen in den Alltag zu integrieren. Dies müsse nicht spirituell sein, sondern könne sich auch im veränderten Umgang mit Kindern oder Enkeln zeigen. 

Psychedelika und Tod 

Eine der Leitfragen des Interviews lautete: Können Sie sich vorstellen, sich bei unheilbarer Krankheit oder beim Sterben von Psychedelika begleiten zu lassen? Die meisten bevorzugen Nüchternheit, aber alle würden bei Schmerzen dazu greifen (z.T. explizit nicht nach Opium). Mehr als eine Person erwähnt jedoch die Ähnlichkeit der «Reisen» mit dem Sterben: 

«Ich bin auf meinen Substanzenreisen schon oft mit dem Sterben konfrontiert worden, erlebe immer wieder den Moment, wo ich bereit bin, alles loszulassen. Ich bin nicht mehr in meinem Körper; mein Bewusstsein hält nur noch lose, sozusagen aus Sicherheitsgründen, den Kontakt zum Körper aufrecht. Es fühlt sich für mich jeweils an wie der gute Zeitpunkt zum Gehen. Man wechselt beim Sterben ja sowieso nur die Dimension, davon ich überzeugt» (Weill 2020, 137f). 


Zum Buch

Elysium hin und zurück 2020 Weill, Claude Mit Psychodelika unterwegs in der zweiten Lebenshälfte. Verlag Spuren. Winterthur.  Gebunden, 189 Seiten, Fr. 22.–, ISBN 978-3-905752-77-9. Erhältlich in der HSB. 

Der ehemalige Journalist und Erwachsenenbildner Claude Weill zeigt, dass es sehr gut möglich ist, über Jahrzehnte bewusstseinserweiternde Substanzen zu sich nehmen und in die Gesellschaft integriert zu sein. Er hat mit neun Menschen gesprochen, die regelmäßig durch geistige Bereiche reisen, welche ihnen ohne diese Mittel verschlossen blieben. 


Zur Abbildung

Die Zustände bei Placebo resp. unter Psylocibin unterscheiden sich nicht nur in der Anzahl Verbindungen, sondern auch welche Netzwerke verbunden werden. Ausserdem sind unter Psylocibin stärkere Verbindungen zu anderen Netzwerken (sichtbar gemacht durch die unterschiedlichen Farben).

Quelle: G. Petri, P. Expert, F. Turkheimer, R. Carhart-Harris, D. Nutt, P. J. Hellyer and  F. Vaccarino (2014): Homological scaffolds of brain functional networks. Journal of the Royal Society Interface. https://doi.org/10.1098/rsif.2014.0873  

Figure 6. Published by the Royal Society under the terms of the Creative Commons Attribution License http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ 


Infobox sucht und Psychedelika  

Seit einigen Jahren ist das Interesse an Psychedelika wiedererwacht und LSD, MDMA und Psylocybin gelten als ernst zu nehmende Mittel gegen Traumata und Depressionen. Als Psychedelika gelten zudem Ayahuasca und z.B. gewisse Pilze.

Laut Suchtprävention im Kanton Zürich gilt:  LSD und gewisse Pilze wirken halluzinogen. Die Suchtgefahr ist gering – dennoch gilt es gewisse Risiken zu beachten. 

Noch ausführlichere Informationen: https://de.know-drugs.ch/substanzen/lsd/15 

Infobox Forschung zu Psychedelika

Seit etwa dem Jahr 2000 ist eine Wiederaufnahme der therapeutischen Forschung mit bewusstseinsverändernden Substanzen zu beobachten. In den USA erforschen zwei Teams die psychologischen Wirkungen von Psilocybin bei Krebspatienten (Griffiths 2006 und Grob 2011) und ein Team die Wirkung von MDMA bei Patientinnen und Patienten mit psychischen Störungen nach Trauma (Mithoefer 2009).

In der Schweiz erhielt 2004 Dr. med. Peter Oehen, Biberist, eine Bewilligung für eine MDMA-Studie  bei PatientInnen mit einer posttraumatischen Belastungsstörung. 2007 erhielt Peter Gasser eine Bewilligung für eine LSD-Studie bei PatientInnen mit Angstzuständen bei lebensbedrohenden Erkrankungen. Die Ergebnisse dieser Forschung wurden publiziert.

Ab 2014 wurden von den Schweizer Behörden auch Behandlungen mit LSD und MDMA auf Antrag im begründeten Einzelfall bewilligt. Diese Arbeit wird gegenwärtig mit einer retrospektiven Auswertung evaluiert. 2017 bis 2021 lief ein Forschungsprojekt mit LSD unterstützter Therapie in Kooperation mit Prof. Dr. med. M. Liechti in Basel an der Universität Basel.

Quelle: petergasser.ch  (s.a. Interview)

www.saept.ch  Fachgesellschaft, die sich für die Psychedelika-assistierte Therapie 


Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert