Es war einmal ein Schmuckstück von einem Gebäude in der Frauenfelder Altstadt. In den eher engen Gassen dürfen Autos zirkulieren. Das macht die Atmosphäre nicht unbedingt gemütlich. Im Erdgeschoss wurde ein Restaurant eingerichtet. Die Restaurantpächter:innen kamen und gingen wieder. Und dann stand «Das Trouvaille» ein volles Jahr lang leer.
Doch anfangs 2024 kommt eine besondere Konstellation ins Spiel: Ein Vermieter, dem es nicht egal ist, welches Gewerbe in seinem Haus einmietet; eine passionierte Köchin, die pensioniert ist; eine umtriebige Unternehmerin, die gerne vernetzt. Daraus wird eine vollkommen neue Idee geboren: Das Restaurant soll ausschliesslich mit Freiwilligen betrieben werden.
Ein Aufruf in der lokalen Zeitung (s. Infobox) setzt vieles in Bewegung. Unglaubliche 45 Personen melden sich, um ohne Entgelt für das Trouvaille zu arbeiten. Darunter viele Familienfrauen, Pensionierte und Verwitwete. Dann geht es Schlag auf Schlag und innert nur zwei Monaten kann das Trouvaille in neuer Frische eröffnet werden.
Ungewöhnliche Organisation
Yvonne Anderegg ist die Vize-Präsidentin des Vereins “unser Trouvaille” und Inhaberin eines Wirtepatents, einer wichtigen Voraussetzung (zumindest im Thurgau), dass das Restaurant überhaupt betrieben werden darf. Seit drei Jahren ist sie offiziell pensioniert, arbeitet aber gelegentlich in der Pianobar, ebenfalls in Frauenfeld.
Ihr Know-How ist gefragt, denn der organisatorische Teil eines Restaurants wird oft unterschätzt. Damit es wirklich klappt mit dem Betrieb, organisieren verschiedene Teams jeweils einen Bereich. Neben dem Serviceteam gibt es eines für Esswaren (z.B. selbst gebackene Kuchen), eines für den Einkauf inkl. Entsorgung sowie ein Technik- und ein Wäscheteam. Mittlerweile sind es 55 Freiwillige zwischen Mitte 30 und über 80 Jahren, die in mindestens einem Team mitarbeiten.
Als besonderes Kennzeichen des Trouvailles wird die unverkrampfte Art genannt. Dies liegt u.a. daran, dass kein Gewinn erwirtschaftet werden muss und nicht einmal Löhne. So gibt es genügend Personal, um auf die Gäste einzugehen. Auf diese Weise ist es gelungen, die früheren Stammgäste zurückzugewinnen und neue hinzuzubekommen, berichtet eine Mitarbeiterin des Serviceteams.
Etwas unüblich ist es schon, dass die Gäste an der Theke bestellen und gleich bezahlen sollen. Auf diesen Umstand wird charmant mit einem Schild hingewiesen: „Sie dürfen gerne an der Theke bestellen“. Dies erspart gleich zwei Arbeitsgänge, was es den Mitarbeitenden, die ja nicht ausgebildet sind, etwas leichter macht. Bei gehbehinderten Personen wird natürlich eine Ausnahme gemacht.
Wer arbeitet weshalb ehrenamtlich mit?
Im Gespräch mit Freiwilligen vor Ort schälen sich zwei Hauptmotive heraus. Das eine ist bekannt aus der Forschung zu Freiwilligenarbeit: die soziale Komponente. So werden die Serviceschichten zu zweit absolviert, obwohl zumindest diejenigen, die eingearbeitet sind, diese alleine bewerkstelligen würden. Aber zu zweit macht es mehr Spass. Es gibt weniger Druck wenn viel läuft und es ist weniger langweilig, sollte mal wenig los sein.
Es ist aber nicht die Einsamkeit, die sie antreibt, sondern das Bedürfnis, neue Gesichter zu sehen und abends zuhause etwas zu erzählen zu haben. Viele Pensionierte sind einbettet in die Enkel:innenbetreuung, schätzen aber den Austausch mit dem Team und den Gästen. Gerade weil sie als Einheimische hier arbeiten, ergeben sich Begegnungen mit „alten“ Bekannten.
Ein ungewöhnlicher Motivationsgrund
Mehrfach wird erwähnt, dass es wichtig sei, die Frauenfelder Altstadt zu beleben und dies eben am besten mit einem Café. Es gebe kaum Gastronomiebetriebe in der Altstadt, alle würden sich am Rand davon befinden, berichten mehrere Personen übereinstimmend. Diese Frauenfelder:innen engagieren sich für etwas, was in grösseren Städten Tourismus und Standortförderung übernehmen.
Mit anderen etwas bewegen zu können, ist ein wichtiger Teil der Motivation. Dies zeigen die Ergebnisse des Freiwilligen-Monitors immer wieder. Dieser Beweggrund erreicht die höchste Punktzahl 8 von 10 Punkten (10 = sehr wichtig), egal ob die Freiwilligen 30, 50 oder 70 Jahre alt sind (Quelle s.u.).
Glückliche Gesichter zu sehen als „Lohn“
Die Gäste sind richtiggehend dankbar, dass das Trouvaille wieder geöffnet ist, erzählt eine Frau aus dem Serviceteam strahlend. Da die Begeisterung eben auch von den Gästen geteilt wird, sei das jetzige Trouvaille keine Eintagsfliege. Ähnliche idealistische Projekte zehren oft von der Anfangseuphorie. Aber hier erhalten die Beteiligten eher die Bestätigung, auf dem richtigen Weg zu sein. Es laufe rund mit den Freiwilligen, erzählt die Präsidentin. Diese bleiben dabei und sind nun gut eingearbeitet. Der Start (April 2024) liegt circa vier Monate zurück. Einzig jetzt in den Schulferien (August) konnten die Schichten nicht ganz so einfach besetzt werden, weil viele junge Mütter in den Ferien sind. Aber sonst? Das Geheimnis könnte die Art des Schichtplans sein. Denn der ist etwas Besonderes in diesem System.
Ein demokratischer Schichtplan
Es gibt keinen klassischen, vom Vorgesetzten vorgegebenen Schichtplan, sondern alle Freiwilligen tragen sich selber in den Online-Plan ein! Dadurch genau dann, wann sie arbeiten können und wollen. Die Schichten sind eher kurz. Da das Trouvaille rund 12 Stunden geöffnet ist, wurden erst drei Schichten à vier Stunden zur Abdeckung eingerichtet. Nun sind es vier Schichten à drei Stunden. Das kommt vielen Freiwilligen entgegen, z.B. jungen Müttern, die auf den Mittag zuhause sein wollen.
Ein Bijou im Obergeschoss
Eine Treppe führt hinauf zu einer schmalen Galerie, die sehr hübsch eingerichtet ist (s. Fotoserie ganz rechts). Es gibt einige kleine Tische und Fenster zur Gasse und zum Hinterhof. Dieser obere Stock wird für kleine Feiern vermietet. Diese dürfen dann bis in die Nacht dauern.
Interview und Bericht: Nicole Baur
La Trouvaille
Öffnungszeiten: Di bis Fr 9h bis 19.30; Sa 9h bis 16h30
www.la-trouvaille.ch
Link zum erwähnten Artikel
Literaturhinweis: Freiwilligenarbeit
Sigrid Haunberger, Nicole A. Baur (2022): Formelle Freiwilligentätigkeit von Personen im höheren Erwachsenenalter in der Schweiz: Erkenntnisse aus dem Freiwilligen-Monitor 2016 für ein Freiwilligenmanagement. S. 101 – 125 resp S. 111. In: Sigrid Haunberger, Konstantin Kehl Carmen Steiner (Hrsg.): Freiwilligenmanagement in zivil gesellschaftlichen Organisation. Anwerben, Begleiten und Anerkennen von freiwilligem Engagement im Alter. Seismo Verlag.