Beitrag von Daniela Lozza, Daniel von Felten, Christian Coenen
Lernen im virtuellen Raum wird vor allem dann spannend – und herausfordernd – wenn es kollaborative und internationale Komponenten beinhaltet. Collaborative Online International Learning, kurz COIL, ist ein solches Lernformat, das virtuelle, kollaborative und internationale Aspekte verbindet.
COIL wurde ursprünglich von COIL Center der State University New York (SUNY) ins Leben gerufen und hat mittlerweile eine grosse Verbreitung von Mexiko über die Niederlande bis nach Japan gefunden. Dabei ist virtuelle Zusammenarbeit zwischen Studierenden verschiedener Hochschulen kein neues Prinzip; im Bereich der Fremdsprachen wird das sog. telecollaborative learning bereits seit über 20 Jahren genutzt und seit einigen Jahren von der Organisation UniCollaboration gefördert. Nun haben sich diese verschiedenen Initiativen zusammengeschlossen und führen im 2019 mit der IVEC erstmals eine gemeinsame Konferenz zu Virtual Exchange durch.
An der ZHAW wird COIL seit zwei Jahren am Institut für Facility Management (IFM) in Zusammenarbeit mit der The Hague University of Applied Sciences (THUAS) erfolgreich angeboten. In diesem COIL-Kurs arbeiten jeweils 15-18 Studierende aus dem Facility Management der zwei Hochschulen während eines Semesters in Teams von 4-5 Studierenden an einer Fragestellung und erstellen gemeinsame Leistungsnachweise. Dabei sind auch die Lehrpersonen gefordert, denn sie erstellen einen gemeinsamen Syllabus für den Kurs und begleiten und bewerten die Studierenden in gemischten Teams. Am IFM wurden die Kurse von Daniel von Felten und Christian Coenen geleitet und von Daniela Lozza didaktisch und technisch begleitet.
Die ZHAW und die THUAS haben sich für ein Blended Mobility Format entschieden, bei dem sich die Studierenden zweimal physisch für ein gemeinsames Kick-off und die Abschlusspräsentationen treffen. COIL wird aber oft auch als reines Online-Angebot konzipiert. Das Blended Mobility Format ist aufgrund der Reisetätigkeit kostenintensiver, bietet den Studierenden aber die Möglichkeit, sich persönlich kennenzulernen, was die Teambildung fördert und damit die Zusammenarbeit vereinfacht.
Vielfältiger Kompetenzerwerb
COIL fördert nebst den Englischkompetenzen auch digitale, kollaborative und interkulturelle Kompetenzen. Studierende lernen in Teams zu arbeiten, verschiedene digitale Tools als produktive Werkzeuge für die virtuelle Kollaboration und Inhaltsproduktion einzusetzen und reflektieren ihre eigene kulturelle Positionierung, um in einem internationalen Umfeld kompetent und reflektiert agieren zu können. Den vielfältigen Kompetenzerwerb zeigt auch der folgende Auszug aus den Rückmeldungen der Studierenden des zweiten COIL-Kurses:
I have learned a lot about virtual collaboration, giving feedback, working with people who have a totally different lifestyle, different ages, flexibility, tools like Zoom, Edu blog, Teams, and of course about our challenge.
I also realized that I can do serious work in English. This is very nice to know and will help me a lot in my future.
I became through the use of these various communication tools a proficient user. I was able to use a wide range of tools and I was able to create content with collaboration tools.
It was a great experience and I also learned a lot about virtual collaboration. It can be a real challenge to work with someone who’s at another country. I would recommend this project to every other student.
Was ist bei der Konzeption eines COIL-Lehrangebotes zu beachten?
COIL setzt sich aus den drei Hauptmerkmalen zusammen: es ist ein virtuelles, kollaboratives und internationales Lernsetting. Diese drei Elemente werden wir im folgenden Beitrag daher etwas genauer anschauen.
Virtuell
Beim virtuellen Element geht es vor allem darum, die technischen Barrieren, die virtuelle Kollaboration und Kommunikation mit sich bringen, geschickt zu reduzieren oder zu umgehen. Beispielsweise nehmen Teilnehmende die Interaktionen im virtuellen Raum als distanzierter wahr, weil visuelle Hinweise, wie etwa Augenkontakt oder ein Lächeln, nicht oder nur eingeschränkt wahrgenommen werden. Auch ist die Online-Interaktion oft weniger direkt und flüssige Dialoge gestalten sich schwieriger, weil entweder alle auf einmal sprechen oder unangenehme Pausen entstehen. Eine gute Option, um solche Barrieren zu reduzieren und die soziale Präsenz in virtuellen Räumen zu erhöhen ist der Einsatz von Videokommunikation in Online-Meetings. Studierende im oben erwähnten COIL-Kurs aus dem Jahr 2018 nahmen Videokommunikation als persönlicher wahr, weil ihnen das Videobild eine höhere Unmittelbarkeit und Intimität vermittelte. Auch zeigte sich in unserer Evaluation, dass sich der Fluss der Konversation und die Aufmerksam durch Videobilder verbesserten, weil Studierende sich gegenseitig sahen und zusätzliche visuelle Hinweise erhielten. Dabei spielte das Tool, dass die Studierenden für die Online-Meetings nutzen natürlich auch eine Rolle. Nebst Skype hat sich vor allem das Zoom.us als Favorit durchgesetzt. Zoom.us ist sehr einfach zu bedienen, funktionierte sehr zuverlässig und bot in der Regel eine bessere Audioqualität als Skype, so dass Skype oft nur noch als Backup-Lösung verwendet wurde. Auf Problemen mit der Internetverbindung sollte man jedoch immer gefasst sein, auch in unseren Breitengraden. Generell mussten die Teams lernen, flexibel mit den Tools umzugehen, um jeweils auf diejenige Option ausweichen zu können, die gerade für alle funktionierte.
Ein weiterer wichtiger Faktor bei der virtuellen Zusammenarbeit sind die unterschiedlichen Interaktions-Rhythmen der Teilnehmenden. Dieser Aspekt wird natürlich durch die Zeitverschiebung zusätzlich erschwert, er war aber aufgrund familiärer und beruflicher Verpflichtungen auch bei unseren Studierenden aus der Schweiz und den Niederlanden ein Thema. Die Studierenden mussten vor allem lernen, ihre Zusammenarbeit nicht nur auf die wöchentlichen virtuellen Meetings zu reduzieren. Dazu nutzten sie asynchrone Kommunikationskanäle wie WhatsApp und Microsoft Teams, die es ihnen erlaubten, sich zwischen den Meetings auszutauschen und auf dem Laufenden zu bleiben. Diese Messenger-Dienste wurden auch dazu verwendet, um sich gegenseitig zu motivieren, Fragen zu stellen und an wichtige Termine zu erinnern.
Was man im virtuellen Raum ebenfalls nicht vergessen sollte, ist sich Zeit zu nehmen für informelle Gespräche. Virtuelle Meetings sind oft sehr themenfokussiert und effizient, was dazu führt, dass der soziale Austausch, der bei physischen Treffen vor und nach dem Meeting stattfindet, viel zu kurz kommt. Dieser informelle Austausch scheint für den Erfolg des Projektes auf den ersten Blick wenig relevant zu sein, er bildet aber eine wichtige Basis, um das gegenseitige Vertrauen für eine konstruktive Zusammenarbeit aufzubauen. Nur wenn sich die Studierenden in ihrem Team sicher fühlen werden sie die Ideen und Kritik äussern, die es erlauben als Team gemeinsam neues Wissen und Verständnis zu konstruieren. Deshalb ist es wichtig, dass sich die Teams jeweils zu Beginn eines virtuellen Meetings bewusst Zeit nehmen, um in einem informellen Rahmen über Persönliches zu sprechen, bevor sie sich dem eigentlichen Thema des Meetings widmen.
Kollaborativ
Bei den kollaborativen Aspekten von COIL sind zu Beginn vor allem die Lehrpersonen gefordert. Sie müssen ein spannendes Thema von internationaler Relevanz finden und den Auftrag und die dazugehörige Fragestellung so definieren, dass die Studierende sie nur lösen können, wenn sie zusammenarbeiten. Die gegenseitige Abhängigkeit ist essenziell, um die Kollaboration und den kulturellen Austausch zu fördern. Dazu gehört auch, dass Studierende für ihren gemeinsam erarbeiteten Leistungsnachweis dieselbe Note erhalten. Sind diese Rahmenbedingungen einmal gesetzt, benötigen Studierende nebst den digitalen Kompetenzen auch methodische und soziale, sowie interkulturelle Kompetenzen für die virtuelle Zusammenarbeit. Es ist wichtig, dass sie ein Verständnis für die verschiedenen Prozesse der Kollaboration entwickeln, damit sie bewusst zwischen den Phasen der Divergenz, in denen sie verschiedenen Ideen und Perspektiven generieren, und den Phasen der Konvergenz, in denen sie sich für eine Synthese von Ideen und Perspektiven annähern, abwechseln. Im ersten COIL Durchlauf wurden beispielsweise sehr viel Zeit und Energie in divergente Phasen gesteckt, in denen die Studierenden unterschiedliche Ideen und Perspektiven generierten. Wenn es dann darum ging, diese Ideen und Perspektiven zusammenzubringen, sie zu bewerten und ein gemeinsames Verständnis zu entwickeln, taten sich viele Teams schwer – was dazu führte, dass die Beiträge teilweise nicht aufeinander abgestimmt waren und das Endprodukt entsprechend nicht kongruent war. Aus diesem Grund wurden im zweiten Durchlauf die digitalen Tools in einer Matrix zusammen mit den kollaborativen und kooperativen Arbeitsschritten vermittelt, um Studierende auf die iterativen Phasen der Kollaboration aufmerksam zu machen. Wichtig ist beispielsweise, dass Studierende ihr Vergehen gemeinsam planen, bevor sie die Aufgaben aufteilen. Oder dass sie sich zuhören und die individuellen Ideen und Beiträge gegenseitig vorstellen bzw. gegenseitig lesen, bevor sie in den Diskurs treten und einen Konsens aushandeln. Dabei zeigte sich auch, dass Studierende für komplexe Diskussionen eher Online-Meetings bevorzugten, während sie für einfache Themen schriftliche Formen des Feedbacks nutzen. Mit dieser neuen Matrix-Übersicht erhielten die Studierenden eine zusätzliche methodische Hilfestellung, um ihre Zusammenarbeit besser selbst zu regulieren und die passenden Tools für spezifische Aktivitäten zu finden.
Die Abhängigkeit führt natürlich auch gerne mal zu Konflikten, weil Studierende sich ungerecht behandelt fühlen, Teammitglieder ihren Beitrag zum Projekt nicht leisten oder sich sogar gänzlich ausklinken und unerreichbar sind. Konfliktpotenzial bargen vor allem das teilweise unterschiedliche Kommittent und die unterschiedlichen Kompetenzniveaus zwischen Bachelor- und Masterstudierenden. Solche negativen Erfahrungen können vermieden werden, wenn die beteiligten Hochschulen gemeinsame Standards für die Zulassung definieren. In heterogenen Gruppen können unterschiedliche Kompetenzniveaus nicht vermieden werden, aber im Hinblick auf die Englischkenntnisse und bei den akademischen Niveaus macht eine Angleichung Sinn, da zu grosse Unterschiede zu unausgeglichenen Machtverhältnissen in den Teams führen können. Diese sind besonders kritisch für das kollaborative Lernsetting, da das Lernen von- und miteinander auf dem Prinzip basiert, dass alle Teammitglieder gleichberechtigt sind. In solch unausgeglichenen Teams werden die jüngeren oder weniger kompetenten Studierenden leicht unterschätzt.
Konflikte sind online schwieriger anzusprechen, weil der virtuelle Raum, wie oben erwähnt, zusätzliche Barrieren schafft. Beispielsweise kann man in einem Online-Meeting nicht neben eine Person sitzen, wie man dies bei einem schwierigen Gespräch machen würde. Zudem gehen online die feinen Nuancen der Reaktionen des Gegenübers verloren; das macht es schwieriger adäquat und emphatisch zu reagieren. Studierende verzichteten daher teilweise darauf, Konflikte anzusprechen. Besonders belastend waren auch Situationen, in denen Studierende über einen längeren Zeitraum nicht erreichbar waren. In solchen Fällen fühlten sich die Studierenden sehr hilflos, weil sie keine Möglichkeit hatten, die «verschollenen» Teammitglieder zu kontaktieren. Deshalb ist es wichtig, dass solche Konflikte auch in virtuellen Teams angesprochen werden, damit sie nicht zu einer negativen Erfahrung führen. Es empfiehlt sich, regelmässige Feedback-Momente mit den Teams einzuplanen, diese können z.B. auch von einer Lehrperson moderiert werden. Diese Sessions sollen den Studierenden einen sicheren Raum bieten, in dem sie den kollaborativen Prozess reflektieren können und ihre Unzufriedenheiten, Bedenken, Erwartungen und Feedbacks zur Zusammenarbeit besprechen können.
International
Die internationale Komponente von COIL ist wohl die vielfältigste, da sie sehr von den Kulturen der beteiligten Länder und Hochschulen abhängt. Im Gegensatz zu einem Auslandaufenthalt, bei dem sich Studierende in der Regel dem Gastland kulturell annähern und anpassen, treffen bei COIL verschiedene Kulturen aufeinander und die virtuellen Teams müssen ihr Verständnis von Zusammenarbeit, Kommunikation und kulturellen Eigenheiten und Selbstverständlichkeiten neu verhandeln. Das wird umso anspruchsvoller, je verschiedener die Kulturen sind. Der Erwerb interkultureller Kompetenz könnte man als wichtigstes Ziel von COIL-Kursen definieren. Die Offenheit, Neugierde und das Interesse an Menschen und anderen Kulturen sowie die Kompetenz, um andere Praktiken, Überzeugungen und Werte zu verstehen und zu interpretieren bedingt, dass Studierende sich ihrer eigenen kulturellen Positionierung bewusst werden. Sie müssen sich also nicht nur neue Verhaltensweisen für die Kommunikation und Interaktion in einer heterogenen Gesellschaft aneignen, sondern vor allem auch ihre eigenen Werte und ihr Verhalten selbstkritisch reflektieren.
Im ersten COIL-Kurs waren die Studierenden so sehr auf das Projekt und die Leistungsnachweise fokussiert, dass sie kaum innehielten, um den Prozess zu reflektieren. Im zweiten Durchlauf wurde daher von einem Logbook, das die Studierenden am Ende des Kurses einreichten und in dem sie ihre Aktivitäten beschrieben, auf ein Online-Lernjournal auf edublogs.org umgestellt, in dem die Studierenden regelmässig, nach jeder Phase des Projektes, einen reflektierten Beitrag verfassten. Um die Reflexion anzuleiten, erhielten die Studierenden eine Auswahl von Fragen, die sie in ihren Blogbeiträgen beantworten konnten. Diese Fragen bezogen sich auf verschiedene Aspekte des Lernens, wie beispielsweise das Lernen durch soziale Interaktion, Kollaboration, internationalen Austausch, Online-Kommunikation oder die Nutzung von digitalen Technologien. Die Lernjournals bieten den Lehrpersonen einen spannenden Einblick in die individuellen Lernprozesse der Studierenden und ergänzen die Feedbackgespräche, die auf Team-Ebene durchgeführt werden. Es stellt sich allerdings heraus, dass nicht alle Studierenden die Kompetenz besitzen, den Prozess oder die eigene Perspektive kritisch zu reflektieren. Viele hatten Mühe, über die einfache Beschreibung der Aktivitäten hinauszugehen. Deshalb empfiehlt es sich, die Einträge besonders zu Beginn zu lesen und zu kommentieren, damit Studierende zusätzliche Hinweise erhalten, wie sie das Erlebte kritischer reflektieren und dadurch das Gelernte sichtbarer machen können. Da bei COIL der Weg zum Ziel genauso wichtig ist wie das gemeinsam entwickelte Produkt, sollten Lehrpersonen und Studierende der Reflexion mindestens dieselbe Beachtung schenken wie dem Endergebnis.
Ausblick
Der COIL-Kurs der ZHAW und der THUAS geht im Herbst 2019 in die dritte Runde und wird am IFM von Daniel von Felten und Pascale Bébié Gut geleitet. Dieses Mal werden die Studierenden zu Beginn des Kurses einen MOOC zur virtuellen Zusammenarbeit besuchen, bevor sie das Gelernte in ihrem eigenen Team praktisch anwenden werden. Zudem plant das IFM zusammen mit der mexikanischen Universidad de Monterrey (UDEM) ein neues Kurzformat, den sog. COIL-Sprint, anzubieten. Damit soll ein niederschwelliges Angebot für die Internationalisation@home geschaffen werden, mit dem Studierende und Lehrpersonen im Rahmen bestehender Lehrveranstaltungen erste Erfahrungen für die Zusammenarbeit in einem internationalen Umfeld sammeln können. Und wer weiss, vielleicht weckt das ja die Lust, sich im Rahmen eines COIL-Kurses intensiver mit der virtuellen, internationalen Zusammenarbeit auseinanderzusetzen oder gar ein Semester im Ausland zu studieren.