Precision Fermentation: Milch aus dem Bioreaktor?

Ein Beitrag von Linus Koch

Abbildung 1 So könnte die zukünftige Milchproduktion aussehen, Quelle: adobe stock

Dass mit der Herstellung von tierischen Produkten negative Folgen für das Tierwohl und die Umwelt einhergehen, ist Tatsache. Viele Menschen verzichten dennoch nicht auf den Konsum dieser Produkte. Deshalb sollten die Umweltauswirkungen bei deren Herstellung unbedingt minimiert werden. Nun könnte ein Prozess, der schon vor 9’000 Jahren von Menschen zum Brauen von alkoholischen Getränken genutzt wurde [1], die nachhaltige Produktion von tierischen Rohstoffen ermöglichen – Fermentation.

Unter Fermentation versteht man die chemische Umwandlung organischer Stoffe durch den mikrobiellen Stoffwechsel.[2] So verstoffwechseln Hefen zum Beispiel Zucker zu Alkohol und CO2, und werden deshalb zum Brauen von Bier verwendet. Durch die Fortschritte bei der Erforschung der DNA können wir Mikroorganismen heute so verändern, dass sie bestimmte Stoffe herstellen und sie dann als «Zellfabrik» für die Produktion von Rohstoffen nutzen. Diese Nutzung von genetisch veränderten Mikroorganismen zur Produktion von Stoffen heisst Precision Fermentation und hatte ihren Durchbruch im Jahr 1978, als das erste Mal Insulin durch gentechnisch veränderte Hefe erzeugt wurde. Insulin wurde bis dahin aus der Bauchspeicheldrüse von Kühen und Schweinen gewonnen, wobei mehr als 50’000 Tiere für die Herstellung eines Kilogramms Insulin benötigt wurden.[3]

Wie Precision Fermentation die Tierhaltung obsolet macht

Seit diesem Durchbruch wird Precision Fermentation zur Herstellung von Medikamenten, Kosmetik und anderen Stoffen genutzt. Dabei werden die gentechnisch veränderten Mikroorganismen in einem Bioreaktor vermehrt und mit kohlenhydrathaltigen Rohstoffen gefüttert, um den Stoff in grossen Mengen produzieren zu können. Der Stoff wird dann aus dem Tank extrahiert und gereinigt, bevor er weiterverarbeitet werden kann. Es ist möglich, mit dieser Methode auch tierisch Proteine und Fette herzustellen, die in Fleisch, Milch und Eiern enthalten sind.

Doch was sind die Vorteile von Precision Fermentation bei der Herstellung tierischer Produkte in Vergleich zur herkömmlichen Tierhaltung? Ein klarer Vorteil ist, dass dieser Prozess ohne die Haltung von Tieren funktioniert, somit werden Bedenken zum Tierwohl komplett aus dem Weg geschafft. Zusätzlich soll der Einsatz dieser Produktionsmethode die Landnutzung, die Treibhausgasemissionen, die Eutrophierung von Gewässern und der Wasserverbrauch der Landwirtschaft erheblich senken.[4]

Herausforderungen bei der Domestizierung von Mikroorganismen

Doch es gibt auch Herausforderungen und potenzielle Nachteile dieser Technologie. Einerseits müsste eine komplett neue Infrastruktur aus neuen Produktionsanlagen aufgebaut werden, um in den Massen tierische Produkte zu produzieren, wie es die konventionelle Landwirtschaft heute tut, andererseits können solche Anlagen nur von ausgebildetem Fachpersonal betrieben werden. Zusätzlich sind die regulatorischen Hürden gross, welche solche Lebensmittel überwinden müssen. Ausserdem herrschen bei vielen Konsument*innen noch Bedenken über den Einsatz von Gentechnik.[5]

Warum sich Precision Fermentation durchsetzen wird

Trotz diesen Hürden werden in den USA bereits erste Produkte verkauft, in welchen Milchproteine aus Bioreaktoren verwendet werden. So wird beispielsweise bereits «animal free» Molkenproteinpulver, oder Eiscremes angeboten. Die Angst vor Precision Fermentation erscheint mir unbegründet vor dem Hintergrund, dass bereits viele Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel (z.B. B-Vitamine) mit diesem Verfahren hergestellt werden. Doch der Hauptgrund für die Anwendung von Precision Fermentation in der Nahrungsmittelproduktion werden die fallenden Kosten sein. Im Jahr 2000 kostete die Herstellung eines Kilogramms eines bestimmten Moleküls noch rund eine Million US-Dollar, 2019 waren es nur noch Einhundert. [3] Wenn die Kosten weiter in diesem Tempo fallen, wird sich Precision Fermentation langfristig auch in der Lebensmittelindustrie durchsetzen.


Dieser Blog-Beitrag entstand im Rahmen des Bachelormoduls «Welternährungssysteme» des Studiengangs Umweltingenieurwesen am Institut für Umwelt und Natürliche Ressourcen der ZHAW im Frühlingssemester 2023.


Für Neugierige

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Referenzen

  1. Williams, G. (2021, September 6). Precision fermentation: Scaling the next manufacturing revolution. ECOS. https://ecos.csiro.au/precision-fermentation/
  2. Sun, W., Shahrajabian, M. H., & Lin, M. (2022). Research Progress of Fermented Functional Foods and Protein Factory-Microbial Fermentation Technology. Fermentation, 8(12), Article 12. https://doi.org/10.3390/fermentation8120688
  3. Tubb, C., & Seba, T. (2019). Rethinking Food and Agriculture 2020-2030: The Second Domestication of Plants and Animals, the Disruption of the Cow, and the Collapse of Industrial Livestock Farming. https://www.liebertpub.com/doi/10.1089/ind.2021.29240.ctu
  4. Williams, R. A. (2021). Opportunities and Challenges for the Introduction of New Food Proteins. Annual Review of Food Science and Technology, 12(1), 75–91. https://doi.org/10.1146/annurev-food-061220-012838
  5. Broad, G. M., Thomas, O. Z., Dillard, C., Bowman, D., & Le Roy, B. (2022). Framing the futures of animal-free dairy: Using focus groups to explore early-adopter perceptions of the precision fermentation process. Frontiers in Nutrition, 9, 997632. https://doi.org/10.3389/fnut.2022.997632
  6. Vanhercke, T., & Colgrave, M. (2022, Januar 25). What’s brewing? Precision food proteins from fermentation. ECOS. https://ecos.csiro.au/whats-brewing-precision-fermentation/

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