Ein Beitrag von Nelly Müller
Kürzlich sollte ich als Konsumentin eine Kaufentscheidung treffen, die in mir einmal mehr ein ganzes Feld aus widerstreitenden Gedanken aufriss. Kaufe ich den günstigsten Kaffee für CHF 6.95 / 500g? Eine Marke mit Fairtrade-Label für CHF 9.20 / 500g? Oder unterstütze ich persönlichen, direkten Handel und bestelle bei yocafe.ch für CHF 18.90 / 500g? Gedanken über Gerechtigkeit, Umwelt, Handel und Preis schiessen kreuz und quer. Ich will das Richtige tun – und merke, wie überfordert ich mich dabei fühle.

Immer mehr Menschen wollen wissen, woher die Produkte stammen, die sie konsumieren, und möchten Verantwortung für ihre Kaufentscheidungen übernehmen. Doch die Vielzahl an Labels, Versprechen und Handelsformen macht es nicht unbedingt leichter, den Überblick zu behalten. Worin liegen die Unterschiede? Was steckt wirklich hinter Fairtrade? Und gibt es Alternativen, die tatsächlich besser wären?
Ein transdisziplinäres Forschungsprojekt der Social Transitions Research Group der Universität Basel, der BOKU Wien und der Technischen Universität Berlin hat im deutschsprachigen Raum über 300 Organisationen identifiziert, die sich als Alternativen zu konventionellen Lebensmittelketten und Fairtrade verstehen und sich für demokratische Werte sowie nachhaltiges Handeln einsetzen. Ziel des Projekts ist es, zu untersuchen, inwiefern diese sogenannten Trans-local Food Coalitions (TLFCs) tatsächlich zu einer demokratischeren und nachhaltigeren Governance globaler Lebensmittelketten beitragen können.
yocafe.ch ist ein Beispiel für eine TLFC, die alternative Wege im Kaffeehandel geht [1]. Am Beispiel des Kaffees möchte ich in diesem Beitrag zeigen, welche Probleme unser globales Ernährungssystem mit sich bringt und wie sich konventionelle und Fairtrade-Angebote von jenen der TLFCs unterscheiden.
Was alles gegen konventionellen Kaffee spricht
Kaffeebäuerinnen und -bauern stehen weltweit vor grossen sozialen, ökologischen und wirtschaftlichen Herausforderungen. Der Markt ist von starken Preisschwankungen geprägt, während die Produktionskosten stetig steigen. Gleichzeitig führen Schädlinge, Abholzung und der Klimawandel zu sinkenden Erträgen und bedrohen traditionelle Anbaugebiete [2]. Hinzu kommen Wasserverschmutzung, Bodenerosion und die Ausbeutung von Arbeitskräften [3].
Generell tragen globale Wertschöpfungsketten häufig mehr zu Armut und Ungerechtigkeit bei, als sie zu verringern [4]. Auch im Kaffeesektor zeigt sich diese Dynamik deutlich: Einkommens- und Vermögensunterschiede zwischen Kaffee exportierenden Ländern und den Hauptimportländern sind erheblich [2]. Vor allem Röstereien, Händler und Detailhändler sichern sich den grössten Teil der Wertschöpfung, während nur ein geringer Anteil im Produktionsland verbleibt.
Fairwashing?
Fairtrade versucht, diesen Missständen entgegenzuwirken, indem Mindestpreise garantiert und eine zusätzliche Prämie gezahlt wird. Ziel ist es, stabile Einkommen zu sichern und Investitionen in Gemeinschaftsprojekte zu ermöglichen. Doch die Wirkung ist begrenzt: Sind die Weltmarktpreise hoch, bringt der garantierte Mindestpreis kaum Vorteile; bei niedrigen Preisen sind Käufer*innen oft nicht bereit, mehr zu zahlen [4]. Hinzu kommt, dass sich Produzent*innen zertifizieren lassen und Gebühren zahlen müssen – ohne Gewissheit, dass sich diese Investition lohnt. Auch in den Entscheidungsstrukturen dominieren die Interessen der Konsumländer: Produzent*innen sind zwar vertreten, haben aber wenig Einfluss auf zentrale Prozesse [4]. So verändert Fairtrade-Kaffee die grundlegenden Machtverhältnisse in globalen Lieferketten nur sehr begrenzt.
Direkt und persönlich: Wie TLFCs den Handel verändern
Einige Initiativen gehen über Fairtrade hinaus und suchen nach alternativen Handelsformen, vor allem, weil die weltweite Kaffeeproduktion ihren Sättigungspunkt erreicht hat, während der Konsum weiter steigt [2]. Eine dieser Alternativen ist der Direkthandel: Hier stehen Röster*innen und Produzent*innen direkt miteinander in Kontakt, bauen langfristige Beziehungen auf und verhandeln Preise eigenständig [2]. Bennett und Grabs [2] betonen, dass solche Modelle das Potenzial haben, Produzent*innen höhere Einnahmen zu sichern und ihr Einkommen langfristig stabil zu halten.
Ein konkretes Beispiel ist yocafe.ch, das im Forschungsprojekt als Trans-Local Food Coalition (TLFC) identifiziert wurde [1]. yocafe.ch bezieht seine Bohnen von Fairtrade- und Bio-zertifizierten Produzent*innen in Honduras. Darüber hinaus handelt yocafe.ch die Preise direkt mit den Kaffeebäuerinnen und -bauern aus, pflegt regelmässigen Austausch, bietet Beratung an und zahlt deutlich über dem Weltmarktniveau – was den Produzent*innen eine langfristig sichere Einkunft ermöglicht [5].
Eine andere Art des Kaffeehandels ist möglich
TLFCs zeigen: Ein gerechterer und nachhaltigerer (Kaffee)handel ist machbar – und Konsument*innen können durch bewusste Kaufentscheidungen aktiv dazu beitragen. Vielleicht liegt die Lösung meines anfänglichen Entscheidungsdilemmas genau darin: auf Kaffee aus Direkthandel zu setzen, alternativ Demeter-Getreidekaffee auszuprobieren – und insgesamt weniger zu konsumieren.
Nelly Müller ist Studentin im Masterstudiengang “Changing Societies: Migration – Conflicts – Resources”. Im Rahmen eines Forschungspraktikums war sie an einem Forschungsprojekt beteiligt, das in Zusammenarbeit zwischen der Social Transitions Research Group der Universität Basel, der BOKU Wien und der Technischen Universität Berlin durchgeführt wurde und die Grundlage für die Datenerhebung dieses Blogbeitrags bildete. Weitere Infos zum Projekt können auf der Projekt-Website abgerufen werden.
References
[1] yocafe.ch. (o. D.). yocafe. Abgerufen am 5. November 2025, von https://yocafe.ch/yocafe
[2] Borrella I., Mataix, C. & Carrasco-Gallego, R. (2015). Smallholder Farmers in the Speciality Coffee Industry: Opportunities, Constraints and the Businesses that are Making it Possible. IDS Bulletin, 46(3), 29–44. https://doi.org/10.1111/1759-5436.1214
[3] Bager, S. L. & Lambin, E. F. (2020). Sustainability strategies by companies in the global coffee sector. Business Strategy and the Environment, 29(8), 3555–3570. https://doi.org/10.1002/bse.2596
[4] Bennett, E. A. & Grabs, J. (2025). How can sustainable business models distribute value more equitably in global value chains? Introducing “value chain profit sharing” as an emerging alternative to fair trade, direct trade, or solidarity trade. Business Ethics, the Environment & Responsibility, 34(2), 581–601. https://doi.org/10.1111/beer.12666
[5] yocafe.ch. (o. D.). Nachhaltigkeit. Abgerufen am 5. November 2025, von https://yocafe.ch/nachhaltigkeit