Neue Technologien haben einen grossen Einfluss auf die Lehre, auch an der ZHAW. Im Fremdsprachenunterricht zunächst als Bedrohung wahrgenommen, können Tools wie DeepL und ChatGPT von Dozierenden aber auch genutzt werden, um wichtige Kompetenzen zu vermitteln.
Das Wechselverhältnis zwischen Menschen und Maschinen war ein grosses Thema an der Internationalen Delegiertenkonferenz des Internationalen Deutschlehrerinnen- und Deutschlehrerverbandes, die im August am ZHAW-Departement Angewandte Linguistik stattgefunden hat. Insgesamt 130 Teilnehmende aus 60 Ländern tauschten sich über verschiedene Tools im Fremdsprachenerwerb aus. Die Keynote-Speakerin Alice Delorme Benites, Co-Leiterin am Institut für Übersetzen und Dolmetschen und Professorin für Mensch-Maschine-Kommunikation, spricht im Interview darüber, wie Studierende einen produktiven und kritischen Umgang mit KI lernen.
Wie ging es Sprachlehrenden, als DeepL gelauncht wurde? Hat das Tool das Berufsfeld komplett auf den Kopf gestellt?
Alice Delorme Benites: Zunächst blieb DeepL oft unbemerkt – erst nach einigen Jahren, als sich die Nutzung bei den Lernenden als Schummelpraxis eingeschlichen hatte, wurde es langsam zum Thema. Es wurde dann von den Lehrenden eher als Bedrohung und Schummelmittel gesehen. Das Berufsfeld war nicht auf den Kopf gestellt, aber viele Sorgen kamen auf. Das Schlimmste bei den Sprachlehrenden war in meinen Augen, dass nicht viel öffentlich darüber gesprochen wurde, was DeepL für das Sprachenlernen bedeutet. So hatten sie ein Problem, das sich schnell zu einem Tabu entwickelte. Es gab bis vor einem Jahr noch sehr wenig Literatur, wenige Hilfsmittel, um mit automatischer Übersetzung Sprachen zu unterrichten. Die Lehrenden waren alleine gelassen. Möglicherweise hat diese Erfahrung die Reaktionen auf ChatGPT beeinflusst.
Braucht es denn überhaupt noch klassisch ausgebildete Übersetzer:innen?
Es braucht eine andere Art von Übersetzungsprofis: sie sind zugleich professionelle Übersetzer:innen und AI Literacy Consultants. Das heisst, sie können ihre Kunden oder Arbeitgeber beraten, welche KI-Systeme in welcher Kombination mit Menschen für welche Aufgaben am besten geeignet sind. Sie kennen sich mit Texten und Textsorten aus, mit Kulturen und Zielpubliken und kennen auch die Maschinen weitgehend, so dass sie die besten Prozesse für die mehrsprachige Kommunikation gestalten können. Es braucht also nicht mehr «nur» professionelle Übersetzer:innen, sondern neue Expert:innen.
Alice Delorme Benites, Co-Leiterin am Institut für Übersetzen und Dolmetschen und Professorin für Mensch-Maschine-Kommunikation
Welche Aspekte des Fremdsprachenlernens werden durch KI nicht abgedeckt?
Zurzeit werden die mündlichen Aspekte des Fremdsprachenlernens, die spontane Kommunikationsaspekte nicht durch KI abgedeckt – aber das kann sich sehr schnell ändern. Empathie, Ironie, Einfühlungsvermögen, Kontextwissen, das alles fehlt der Maschine. Sprache und Kultur sind immer stark miteinander verbunden. KI fehlt noch diese Kulturkomponente, die aber grundlegend ist.
Welche Vorteile gibt es beim Einsatz von KI beim Fremdsprachenlernen?
Grundsätzlich bietet KI die Möglichkeit, grammatisch fehlerfreie Texte zu generieren. Auch Übungen kann man in ein paar Handgriffen generieren lassen, wo bisher die Lehrkräfte wertvolle Stunden verloren haben. Es ist also die Möglichkeit, Lernenden mit vielen Beispielen in der Lernsprache zu bedienen, die z.B. thematisch auf ihre Interessen zugeschnitten sind. Für das Üben von Sprechfertigkeiten ist KI auch eine gute Möglichkeit, den unsicheren Lernenden einen Anfangsskript zu geben. Aber auch die automatischen Sprachausgaben sind vorteilhaft: so hören Lernende, wie Wörter und Sätze ausgesprochen werden.
Mitte August trafen sich Personen aus über 60 Ländern am Departement für Angewandte Linguistik, um sich über das Zusammenspiel von Mensch und künstlicher Intelligenz (KI) beim Deutschlehren – und lernen auszutauschen. Foto: Daniela Baumann
Und was ist mit den Risiken?
Die Risiken sind mehrfach: An erster Stelle steht natürlich der Datenschutz. Wenn ich Sprechen übe mit Alexa, wird mein Gespräch gespeichert und evtl. weiterverwendet. Will ich das? Nicht immer… Dann kommt die Tatsache, dass KI schöne Texte generiert, die nicht immer inhaltlich stimmen. Weil sie so schön klingen, ist es aber sehr schwer, die Fehler zu sehen. Das Phänomen heisst false fluency. Die Fehler selbst können aus den berüchtigten Biases stammen. Biases sind Verzerrungen in den Texten, die negative Vorurteile der Gesellschaft widerspiegeln und verschärfen, wie z.B. der Gender Bias. Die KI produziert also einen Text mit lauter Piloten, Ärzten, Putzfrauen und Kindergärtnerinnen. Und schliesslich haben wir in der Übersetzungswissenschaft «machine translationese» entdeckt: Maschinell übersetzte Texte sind in der Regel wortschatzärmer und verwenden doch immer wieder dieselben Ausdrücke. Das könnte bei generativer KI wie ChatGPT auch ein Problem sein.
Wieso ist es wichtig, dass Studierende im IUED Institut für Übersetzen und Dolmetschen lernen, mit KI umzugehen?
Studierende am IUED sind die Sprachprofis der Zukunft, sie arbeiten nach ihrer Ausbildung in oder mit Unternehmen und Institutionen, die auf Effizienz und Kostenoptimierung angewiesen sind. Ganz auf KI zu verzichten, wäre undenkbar. Allerdings müssen die Einsatzszenarien von KI und Mensch sorgfältig gedacht werden. Das bringen wir unseren Studierenden bei: Nicht nur «allein» mit KI zu arbeiten, sondern auch die Prozesse als Ganzes zu betrachten und zu entscheiden, wann und wie KI den Menschen einen Mehrwert bringt. Dies geht über eine reine Anwendungskompetenz hinaus.
Wie wird im Unterricht die kritische Reflexion im Umgang mit KI vermittelt?
Am IUED geht es vorrangig um learning by doing. Die Studierenden verwenden KI in verschiedenen Lernkontexten und die Erfahrungen werden im Klassenzimmer kritisch reflektiert. Wo war es nützlich? Wie habe ich es gemacht? Wie könnte ich es das nächste Mal besser machen? Auch bei den Leistungsnachweisen verlangen wir am IUED schon länger von den Studierenden, dass sie nicht nur ein Produkt abgeben, sondern gleich erläutern, welche Hilfsmittel sie eingesetzt haben, warum diese und ob sie damit zufrieden sind. Die Reflexion ist also Teil des Unterrichts und der Bewertung.
«Mensch und Maschine beim Deutschlehren und -lernen: ein Wechselverhältnis» 2023 waren die ZHAW und die Universität Freiburg/Fribourg in Zusammenarbeit mit dem ZEM CES Gastgeberinnen der Internationalen Delegiertenkonferenz IDK des Internationalen Deutschlehrerinnen- und Deutschlehrerverbands (IDV). Die IDK versammelt jedes vierte Jahr Vetreter:innen der Verbände für Deutschlehrkräfte. Die diesjährige IDK fand Mitte August am ZHAW-Departement Angewandte Linguistik in Winterthur statt und widmete sich dem Thema «Mensch und Maschine beim Deutschlehren und -lernen: ein Wechselverhältnis». Entwicklungen in digitalem Lehren und Lernen, Erkenntnisse aus dem Einsatz künstlicher Intelligenz und weiterer digitaler Instrumente im Klassenzimmer und Desiderate aus Forschung, Ausbildung und Lehre werden verknüpft, ko-konstruktiv weitergedacht und schriftlich festgehalten. |