Konferenzteilnehmende aus der ganzen Welt sitzen in einem Vorlesungssaal der ZHAW.

Alles besser mit KI? – Einblicke in den Fremdsprachunterricht auf der ganzen Welt

Es sind Sommerferien und viele reisen ins Ausland. Doch warum wegfahren, wenn die Welt nach Winterthur kommt? Mitte August tummeln sich Personen aus über 60 Ländern am Departement für Angewandte Linguistik, um sich über das Zusammenspiel von Mensch und künstlicher Intelligenz (KI) beim Deutschlehren – und lernen auszutauschen.

Die Internationale Delegiertenkonferenz, die über den Dachverband IDV jedes vierte Jahr Vetreter:innen der Verbände für Deutschlehrkräfte versammelt, ist in vollem Gange. Ein grosses Thema an der Konferenz ist das Wechselverhältnis zwischen Menschen und Maschinen: Welchen Einfluss haben neue und bekannte Tools auf den Fremdsprachenerwerb?

KI ist nicht überall

«Ich höre den ganzen Tag KI, KI, KI. Aber in meinem Klassenzimmer gibt es keine Steckdose.» Delegierter an der Plenardiskussion.

Montagabend, die Temperatur steigt im Vortragssaal. Einerseits ist es ein sehr heisser Sommertag mit Temperaturen von über 30 Grad, anderseits ist gerade eine heisse Diskussion im Gang. Es geht um die Herausforderungen von Lehrpersonen, regionale Unterschiede in der Infrastruktur und die Bedeutung von Menschen im Fremdsprachenunterricht. Während der Diskussion über die Möglichkeiten von KI meldet sich beispielsweise ein Delegierter zu Wort, der an einer Schule unterrichtet, die keinen Internetzugang besitzt. Eine Delegierte betont: «Wenn es um den Einsatz künstlicher Intelligenz im Klassenzimmer auf globaler Ebene geht, müssen die Voraussetzungen und die Infrastruktur weltweit in Betracht gezogen werden». Im folgenden Video äussern sich Lehrpersonen aus verschiedenen Ländern zu den Herausforderungen und Potenzialen, die sie persönlich sehen.

Fürs Video auf das Bild klicken:

Teilnehmende der IDK äussern sich zum Einsatz von KI im Unterricht. Video: Lara Attinger und Deborah Harzenmoser.

Herausgeforderte Lehrkräfte

An diesem Sommertag dreht sich die Diskussion nicht nur um die Maschinen oder den fehlenden Zugang zu ihnen. Ein weiterer zentraler Punkt betrifft die Rolle des Menschen: Was passiert, wenn die Lehrperson aus der Gleichung entfernt wird? Panelist Mike Shaughnessy von der American Association of Teachers in German berichtet, dass der Rektor einer renommierten Universität den Fremdsprachenunterricht einstellen möchte. Laut diesem Rektor können ja Apps die Rolle der Lehrenden übernehmen. Im Saal ertönt ein Raunen. Ein Teilnehmer meldet sich zu Wort: «Die grösste Herausforderung für Lehrpersonen ist nicht der Einsatz von KI, sondern die politische und medial verbreitete Meinung, dass KI Menschen völlig ersetzen könne.»

Der aktuelle Forschungsstand zu Chatbots – Computersysteme, die unter anderem mittels KI menschliche Interaktion simulieren – zeigt exemplarisch auf, wie es um die Rolle der Lehrperson steht: Erste Studien zum Einsatz von Chatbots zeigen, dass diese zwar einen positiven Effekt auf den Fremdsprachenerwerb haben können, jedoch auch, dass der Lerneffekt bei der Nutzung von Chatbots insgesamt geringer ausfällt als derjenige von Mensch-zu-Mensch-Interaktion (Bibauw et al., 2022). Chatbots können also unterstützen, aber die Lehrpersonen sind die didaktischen Profis, und können auf soziale Kompetenzen und sprachliche Feinheiten besser eingehen als Computerprogramme.

Von maschineller Übersetzung und Chatbots

Szenewechsel zu einem Workshop am zweiten Tag der Konferenz. Im Workshop geht es um maschinelle Übersetzungstools, wie DeepL (in Gebrauch seit 2016), Google Translate und anderen. Katrin Hofmann von der Universität Wien fragt die Teilnehmenden, ob sie digitale Übersetzungsprogramme privat oder im Klassenzimmer nutzen. Überraschend viele geben an, diese privat zwar eingeschränkt zu nutzen, im Unterricht jedoch unter anderem aufgrund mangelnder Ideen und fehlender (eigener) Professionalisierung wenig bis keinen Gebrauch davon zu machen. In einem nachfolgenden Workshop von Johanna Oeschger (Universität Basel), der sich mit Chatbots im Fremdsprachenunterricht beschäftigt, zeigt eine Umfrage eine ähnliche Momentaufnahme: Unter den etwa 20 Anwesenden haben lediglich drei Personen Tools wie ChatGPT bereits im Unterricht eingesetzt. Viele haben noch kein Konto und nutzen den Workshop, um verschiedene Möglichkeiten auszuprobieren, wie sie die Tools für den Unterricht nutzen könnten.

Das Fazit lautet: Apps mit Chatbots können die Methodenvielfalt bereichern, die KI kann Inspirationen und Aufgaben liefern. Ebenso kann der Einsatz von maschinellen Übersetzungstools als Werkzeuge zum Lernen nach kritischer Reflexion mit Lerner:innen Chancen eröffnen und Spass machen. Dabei sollte stets bedacht werden, dass KI weder fehlerfrei ist noch grundlegende didaktische Kompetenzen und Entscheidungen der Lehrpersonen ersetzen kann.

Maschinelle Übersetzung zwischen Deutsch und Englisch. Es empfiehlt sich, verschiedene Tools laufend zu vergleichen und zu testen. Quelle: Lionbridge Machine Translation Tracker

Neue Strategien in der Zukunft

Zurück zur Paneldiskussion. Den Lehrpersonen geht es nicht nur um die Herausforderungen, sondern auch um das enorme Potenzial, das diese Tools bieten – sofern sie effektiv genutzt werden können. Eine Möglichkeit besteht beispielsweise darin, den Unterricht stärker zu individualisieren, indem Übungen digitalisiert und teilweise automatisiertes Feedback ermöglicht wird. Mit diesen Perspektiven endet die Paneldiskussion optimistisch. Es steht ausser Frage, dass KI die Gesellschaft weiterhin stark beeinflussen wird, auch im Fremdsprachenunterricht. Aber die Lehrpersonen nehmen die Herausforderungen an, individuell und im grossen internationalen Verband.

Einige Learnings aus der IDK 2023
– Die didaktische Kompetenz kann die KI den Lehrpersonen (noch) nicht abnehmen.
– «Wir bieten keine festen Lösungen. Wir können aber Impulse geben und Ideen wie das Verhältnis zwischen Menschen und Maschine positiv genutzt werden kann». Dr. Paul Voerkel (Universität Jena).
– Der Blick auf vergangene und zukünftige Herausforderungen (Wechsel zu Online-Unterricht während der Pandemie, mögliche Stromausfälle bei Knappheit oder Extremwetterereignissen etc.) spricht für eine flexible Mischung aus analogem und digitalem Unterricht und der Möglichkeit spontan reagieren zu können.
– KI-Tools sind innerhalb und ausserhalb des Unterrichts vielerorts Realität (trotz Verboten/Einschränkungen).
– Online Tools mögen «kostenfrei» sein – wir zahlen dafür mit unseren Daten. Mangelnde Datensicherheit und Transparenz sind grosse Risiken.
– KI-Tools sind immer nur so gut wie ihre Trainingsdaten! Qualität basiert auf: Menge/Qualität, Kontext, Wortanzahl, Sprachpaarung. Die Dominanz von Hauptsprachen sollte bei der Nutzung je nach Tool mitreflektiert werden.
– Der Einsatz von KI-Tools muss ethische Fragen zu Ressourcenverteilung und -zugang (Chancengleichheit) wie auch arbeitsrechtliche Bedingungen des Datentrainings und Effekte ihrer Nutzung auf das Klima kritisch reflektierten und diskutieren.
– «Kommunikation ist der Schlüssel». Katrin Hofmann (Universität Wien). Im Unterricht sollte stets eine gute Gesprächskultur herrschen, transparent gearbeitet werden und auf Gefahren hingewiesen werden.

Weitere Informationen:


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