Ältere Frau tippt auf ihr Smartphone

Freundschaften erhalten

Autorin: Esther Spinner

Freundschaften verändern sich im Alter, manchmal durch äussere Einflüsse wie Umzüge, manchmal durch gesundheitliche Beeinträchtigungen. Zudem ist der Lebensradius oft eingeschränkt, es gibt weniger zu erzählen. Um alte Freundschaften zu erhalten, lohnt es sich, neue Formen des Zusammenseins auszuprobieren. Unsere Autorin plädiert fürs Spielen.

Freundschaften verändern sich ein Leben lang. Plötzlich ist alles anders, alles neu. Zwei Freundinnen habe ich durch ihren frühen Tod verloren. Von drei Freundinnen habe ich mich im Lauf meines Lebens bewusst getrennt. Bei der einen ertrug ich das dauernde Schimpfen nicht mehr, und doch fehlte sie mir nach unserer Trennung, fehlt mir bis heute. Ich freue mich, wenn ich gemeinsame Bekannte treffe, die mir von ihr erzählen. Dass es ihr gut geht, dass sie sich von der Grippe erholt hat, dass sie noch immer schimpft. Wenn ich das höre, bin ich froh, dass ich damals einen Schlussstrich zog unter eine Freundschaft, die schon viel zu lange in ausgefahrenen Geleisen lief. Auch die anderen beiden vermisse ich, kenne niemanden aus ihrem Umfeld und erfahre deshalb nichts von ihnen. Ich kann an sie denken, ihnen gute Wünsche schicken. Ob meine Gedanken ankommen, weiss ich nicht, doch sicher weiss ich, dass es auch bei diesen Freundschaften Zeit war, sie abzubrechen.

Jetzt, im hohen Alter ist alles nochmals anders. Neue Schwierigkeiten belasten die Freundschaften. Eine Freundin lebt in der Ostschweiz, eine andere in der Westschweiz. Früher war das kein Problem, doch heute bleibt das Reisen allein an mir hängen. Ich fahre mal in diese Richtung, mal in die andere, aber da meine Knie nicht mehr ganz tun, was ich möchte, fällt mir das schwerer als früher. Meine Freundinnen links und rechts auf der Landkarte wagen sich schon gar nicht mehr auf Reisen. Die eine geht nur noch in Begleitung aus dem Haus, die andere kämpft sich mit dem Rollator bis zum nächsten Coop, zum nächsten Restaurant. Mit beiden Freundinnen telefoniere ich regelmässig, ab und zu schreiben wir uns Mails. Doch die eine der Freundinnen nuschelt, hält vielleicht auch das Telefon zu weit vom Mund weg, jedenfalls verstehe ich trotz Hörgeräten nur etwa die Hälfte. Unsere Telefonate bestehen aus wiederholten: Wie? Was hast du gesagt? Ich habe dich nicht verstanden. Die andere Freundin kann keine Mails mehr schreiben, sie hat vergessen, wie das geht.

Unter solchen Bedingungen, Freundschaften zu erhalten, ist schwierig. Die Themen variieren nicht mehr stark. Im Vordergrund stehen unsere Beschwerden, Besuche bei der Hausärztin, beim Spezialisten. Wir wiederholen einander, wer was sagte, fragen uns, wohin das führen solle, geben einander Tipps über den Umgang mit Schmerzen oder Schlafstörungen. Manchmal wechseln wir von den Altersbeschwerden zur Politik, zum Klima, zur Lage der Welt. Doch es bleibt bei den Klagen. Der allgemeine Rechtsrutsch beschäftigt uns, gerade uns, die wir doch so lange an eine solidarische Welt glaubten, dafür auf die Strasse gingen und uns engagierten. Und nun das. Wir verstehen die Welt nicht mehr. Aber auch bei diesem Thema wiederholen wir uns, genau wie bei den Krankheiten. Wir drehen uns im Kreis.

Doch letzthin im Osten zeigte mir meine Freundin ein altes Poesiealbum, das sie unter einem Stapel Wäsche gefunden hatte. Auf dem Sofa sassen wir nebeneinander und lasen die altbekannten Verse: Mach es wie die Sonnenuhr, zähl die heit’ren Stunden nur. Etwas zynisch fanden wir den Spruch, meine Freundin meinte gar, dann hätte sie nichts mehr zum Zählen. Viel Gottesfürchtiges stand da im Album neben den Glanzbildern, immer wieder lasen wir, dass in allen vier Ecken Liebe drin stecken soll. Wir blätterten zum bescheidenen Veilchen, das uns Vorbild sein sollte. Sei wie das Veilchen im Moose, ehrlich, bescheiden und rein, und nicht wie die stolze Rose, die immer bewundert will sein. Dieses Veilchen beschäftigte uns. Wir erzählten uns von früher, Geschichten, die wir sicher schon oft erzählt hatten, doch sie schienen neu und lebendig. Geschichten von Bescheidenheit, Zurückhaltung, von Schürzen und Kniesocken. Beide meinten wir, wir hätten letztlich doch die stolze Rose gewählt, wenigstens etwas von ihrem Duft erhascht.                                                                                  

Der Nachmittag ging im Nu vorüber, wir fühlten uns etwas jünger, als wir uns verabschiedeten, lachten lauter als sonst. Sind Erinnerungen der Schlüssel, fragte ich mich auf dem Heimweg. Lassen sie unsere Beziehung lebendiger werden als das aktuelle Geschehen? Jedenfalls ging ich angeregter als auch schon nach Hause, kicherte immer wieder über das sich duckende Veilchen und ging im Gedanken an die Rose höher aufgerichtet als sonst.

Was wäre wohl sonst noch möglich für uns alte Freundinnen? Spielen, dachte ich, und wahrhaftig, es funktioniert. Seither spielen wir im Westen Rummy oder Patience, beide Spiele machen Spass und schulen vermutlich das Gehirn. Zur Abwechslung werde ich nächstens Vorlesen ausprobieren, im Osten wie im Westen.

Anders erlebe ich die Freundschaften mit jüngeren Menschen. Gerade drei Frauen hat mir das Leben in den letzten Jahren beschert. Ich fühle mich mittendrin im Leben, wenn sie mir von ihrem beruflichen Alltag erzählen. Mir wird Unterstützung angeboten, die ich ab und zu gerne annehme. Der Altersunterschied zwischen uns ist bei allen dreien grösser als zwanzig Jahre, und doch sind wir uns nahe.

Ich geniesse diese jungen Freundschaften, die mir die Kraft geben, die alten Freundschaften zu pflegen, die ja durchaus auch ihre Sternstunden haben.


Esther Spinner (*1948) absolvierte eine Ausbildung zur Krankenschwester und später zur Lehrerin für Krankenpflege. Sie arbeitete freiberuflich als Kursleiterin für Schreibkurse und lebt als Schriftstellerin in Zürich. Neben ihren Büchern hat sie Beiträge für Anthologien, Zeitschriften, Zeitungen und für das Radio verfasst. Ihr neues Buch Mit Hund und Wort ist in der Edition 8 erschienen.

Esther Spinner (Foto: Katrin Simonett)
Esther Spinner (Foto: Katrin Simonett)
Schlagwörter: Erfahrungsbericht, Freizeit

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