Ein Fachbeitrag für das Büro Züri von Prof. Dr. Adrian Müller, Head of Center for Innovation & Entrepreneurship, ZHAW
Schlagen Sie die heutige Zeitung auf (oder lesen Sie die neuesten Blog-News). Tech-Giganten vernetzen die Märkte der Zukunft, clevere Startups führen neue Service- und Geschäftsmodelle ein und jahrzehntealte Branchen werden gewaltig umgepflügt. Garantiert finden Sie mindestens drei Artikel, in denen über neue Geschäftsmodelle berichtet wird. Es erweckt den Anschein, dass wir zu Geschäftsmodell-Experten mutieren müssen, um weiterhin und vor allem zukünftig aktiv am Wirtschaftsgeschehen teilzunehmen.
Selbstverständlich ist das Wissen um Geschäftsmodelle und deren Entwicklung gerade für Junggründerinnen und -gründer in besonderem Masse relevant. Weshalb? Weil Startups nichts Anderes als Kleinstorganisationen sind, deren zentrales betriebswirtschaftliches Ziel die Suche nach neuen Geschäftsmodellen ist Selbstverständlich initiieren auch KMUs und Grossunternehmen Startups und neue Geschäftsmodelle. Höchste Zeit also, um mit einigen Mythen der Geschäftsmodellentwicklung aufzuräumen.
Mythos 1: «Ein Geschäftsmodell beschreibt, wie Geld verdient wird.»
Ein Geschäftsmodell beschreibt zwar tatsächlich wie Geld verdient wird, aber eben nicht nur. Die Frage ist letztlich auch, wie ein Ertragsstrom überhaupt erst zustande kommt. Ein Geschäftsmodell beschreibt deshalb die ganze geschäftliche Wertschöpfungslogik: Neben dem Ertragsmechanismus (Womit?) beinhaltet dies genauso die Wertarchitektur (Wie?) sowie das Wertangebot an den Kunden (Was?). Eine clevere Geschäftsmodellentwicklung bezieht alle drei Aspekte gezielt mit ein und setzt idealerweise beim Letztgenannten, dem Wertangebot, an. Das Wertangebot ist das Nutzenversprechen, das Sie Ihrem Kunden geben. Es bildet das Herzstück eines jeden Geschäftsmodells. Seien Sie sich also stets genau bewusst, was Sie Ihren Kunden versprechen und brechen Sie dieses Versprechen nicht!
Mythos 2: «Ein Geschäftsmodell ist nur dann erfolgreich, wenn es neu ist.»
Pionierunternehmen mit disruptiven Geschäftsmodellen gibt es immer wieder. Allerdings bilden diese die Ausnahme. Der Grossteil der erfolgreichen Geschäftsmodelle sind entweder solche, die bereits schon etliche Male erfolglos in Märkten lanciert wurden (vor Google haben es über 25 andere Search Engines nicht geschafft) oder Geschäftsmodelle, die aus anderen Branchen kopiert und adaptiert wurden. Eines der bekanntesten Beispiele ist das Geschäftsmodell «Lock-in», welches zum Beispiel durch die Gillette Rasierer sehr bekannt wurde (das günstige Grundsystem bindet den Kunden an das Unternehmen). Dieses Geschäftsmodellmuster findet sich auch in ganz anderen Branchen wieder, wie zum Beispiel bei HP Druckerpatronen, Nespresso Kaffeekapsel-Systemen oder bei Tesla Fahrzeugen. Erfolgreiche Geschäftsmodellentwicklung kann also auch bedeuten, bestehende Geschäftsmodelle aus anderen Branchen zu kopieren und zu transformieren oder neu zu kombinieren. Beobachten Sie andere und seien Sie methodisch experimentierfreudig!
Mythos 3: «Wertvolle Geschäftsmodelle sind immer technologiebasiert.»
Investoren lieben Technologien. Sie bringen neue Möglichkeiten für Produkte, Services und einzigartige Wertschöpfung, insbesondere, wenn sie neu im Markt sind. Einmal entwickelt sind sie idealerweise hoch skalierbar und können zudem in ihrer Funktionsweise noch durch Patente geschützt werden. Wie die Erfahrung zeigt, stimmt dies jedoch nur bedingt. Patentschutz kann sehr kostspielig sein und ist bei weitem nicht immer effektiv, um ein Geschäftsmodell vor Imitation zu bewahren. Beispiele wie «Zumba» (ja, richtig gelesen, das hoch erfolgreiche Low-Tech-Tanzunternehmen aus Miami) zeigen klar auf, dass auch nicht-technologiebasierte Geschäftsmodelle hoch skalierbar sein können. Im unternehmerischen Umfeld definiert sich Wert letztlich nicht nur ökonomisch, sondern auch durch die eigenen unternehmerischen Präferenzen. Diese beziehen sich immer öfter auch auf persönliche Wert- und Lebensvorstellungen, sei es sozialer oder ökologischer Impact oder die eigene Work-Life-Balance. Welch’ Freiheit! Nutzen Sie sie!
Mythos 4: «Nur ein fertig entwickeltes Geschäftsmodell kann erfolgreich implementiert werden.»
Die Entwicklung eines neuen Geschäftsmodells beginnt zumeist gedanklich und endet mit der erfolgreichen Lancierung am Markt. So zumindest der übliche Trugschluss. Tatsache ist, dass das erste auf Papier entwickelte Geschäftsmodell nicht dasjenige sein wird, welches den Erfolg bringen wird. Denn auf dem Weg in Richtung Markt – und auch danach – muss es immer wieder überprüft und angepasst werden. Gehen Sie nicht davon aus, dass die Entwicklung ihres Geschäftsmodells endlich ist (nur der Produkt-Lebenszyklus ist es). Entscheidend für den Erfolg ist die Geschwindigkeit der eigenen Lern- und Entwicklungszyklen (hilfreiche Anregungen sind zu finden in «The Lean Startup» von Eric Ries, 2014). Dorian Selz, ein mir bekannter «Serial Entrepreneur» aus Zürich, hat es sehr schön auf den Punkt gebracht: «Entrepreneurship ist ganz einfach: Du musst nur den richtigen Fit zwischen Produkt und Markt finden, bevor dir das Geld ausgeht.»
Mythos 5: «Ein klar definiertes Geschäftsmodell genügt für die Gründung. Wer braucht denn heute noch Businesspläne.»
Kürzlich hat mich ein Startup-Gründer darauf angesprochen, dass er sein «Geschäftsmodell» definiert habe und er daher keinen Businessplan mehr ausarbeiten werde. Selbstverständlich steht dieser Entscheid jeder Gründerin und jedem Gründer frei. Auf keinen Fall darf aber vergessen werden, dass ein Geschäftsmodell (z.B. in Form des Business Model Canvas nach Osterwalder und Pigneur, 2010) nicht dasselbe wie ein Businessplan ist. Ersteres beschreibt wie ein Geschäft grundsätzlich und unabhängig von der Gründungskonstellation funktioniert. Zweiteres legt hingegen dar, wie dieses Geschäft angesichts der eigenen Ressourcen-Situation (Zeit, Team, Finanzierung etc.) implementiert werden soll. Es verhält sich wie eine Multiplikation: Qualität des Geschäftsmodells x Qualität der Realisierung = Erfolg. Auch ein perfektes Geschäftsmodell wird bei miserabler Realisierung keinen Erfolg bringen. Ein Businessplan hilft nicht nur die Tragweite des eigenen Vorhabens besser einzuschätzen, er dient auch als disziplinierendes Leit- und Kontrollinstrument für Unternehmerinnen und Unternehmer. Und das wissen auch Investoren, die ihnen ihr Kapital anvertrauen.
Link zum Originalbeitrag im Büro Züri Blog
Prof. Dr. Adrian W. Müller
Adrian Müller leitet das «Center for Innovation & Entrepreneurship» sowie das offene Startup Inkubationsprogramm «RUNWAY» an der ZHAW. Er begleitet Startups und Unternehmen in der Entwicklung und Realisierung neuer Geschäftsmodelle und Innovationsvorhaben.