Katja Kurz von der ZHAW School of Management and Law ist verantwortlich für das Modul «Einführung in das Wirtschaftsinformatik-Studium». Sie ist eine der wenigen Frauen im Studiengang Wirtschaftsinformatik, die ein Modul leitet. Im Interview spricht sie darüber, wie wichtig Gender Diversity auch für die Wirtschaftsinformatik ist und welche ihrer persönlichen Erfahrungen sie mit den Studierenden teilt.
Das Modul «Einführung in das Wirtschaftsinformatik-Studium» legt im Bachelorstudiengang Wirtschaftsinformatik wichtige Grundlagen für den erfolgreichen Start ins Studienleben. Dabei sind vor allem die überfachlichen Kompetenzen zentral, wie Katja im Interview auf dem Blog Lehren & Lernen erklärt. Gender Diversity in IT ist eine dieser Kompetenzen, die im Modul vermittelt werden. Warum das im Studium der Wirtschaftsinformatik besonders wichtig ist und warum sich Katja Kurz dafür engagiert, erklärt sie hier.
Bettina Sackenreuther: Was ist Gender Diversity? Warum ist das relevant für die IT?
Katja Kurz: Es braucht dringend mehr Frauen in der IT und in den MINT-Berufen. Natürlich ist Gender nur eine Dimension im Bereich Diversity, aber innerhalb des Moduls «Einführung in das Wirtschaftsinformatik-Studium» fokussieren wir in einer Lektion speziell auf Gender. Die Studierenden lernen die verschiedenen Dimensionen von Diversity kennen und auch dass es an der ZHAW und an der SML Ansätze und Angebote im Bereich Diversity und Inklusion gibt.
Mein persönlicher Bezug ist, dass ich seit fast 20 Jahren als Frau im Bereich Wirtschaftsinformatik unterwegs bin und aus eigener Erfahrung berichten kann. Ausserdem habe ich mehrere Studienarbeiten dazu betreut bzw. betreue auch heute noch Arbeiten zu dem Thema.
Vermittelst du diese persönliche Erfahrung auch im Unterricht?
Ja, ich glaube, ich habe das schon immer gemacht. Das beginnt schon damit, dass ich als Frau zu erkennen bin. Nicht nur die Frauen, sondern auch die männlichen Studierenden interessieren sich dafür, wie es für mich ist, wenn ich als einzige Frau im Team mit lauter Männern war oder bin. Auch wie ich als teilzeitarbeitende Mutter damit umgehe. Neulich ging es zum Beispiel um das Thema Home-Office für berufstätige Frauen im Lockdown. Meine Studierenden wissen – und das thematisiere ich auch – dass es bei mir im Lockdown mit den Kindern zuhause auch hoch und her ging.
Warum ist es wichtig, dass sich Studierende bereits im Studium mit dem Thema befassen und nicht erst später in der Arbeitswelt?
In der Lektion geht es um das Aufräumen von Clichés und um den Aufbau von wissenschaftlicher Kompetenz. Die Studierenden lernen, dass sich diese Clichés jeglicher wissenschaftlichen Grundlage entbehren und ich erkläre den Studierenden diese Ausgangslage aus Forschungssicht. Dazu gehört insbesondere unconscious bias, also die kognitive Verzerrung oder auch die fehlenden Rolemodels.
Es gibt auch Studien, dass Frauen eigentlich mehr über IT wissen, als sie häufig zugeben oder sich bewusst sind. Und Unternehmen, die die Geschlechtervielfalt leben, profitieren von einer höheren Produktivität. Zum Beispiel thematisieren wir innerhalb einer angewandten Case Study die Aussage von Roland Cortivo, Chief Revenue Officer, Swisscom Blockchain “Was allgemein für die Wirtschaftswelt gilt, trifft auch im Technologieumfeld zu: gemischte Teams schneiden besser ab – je diverser, desto erfolgreicher.”
Wir sprechen auch darüber, dass es leider aktuell sinkende weibliche Zahlen in den MINT-Fächern und eine hohe Fluktuationsrate von Frauen in technischen Positionen gibt. Das ist im Hinblick auf Führung und Kultur relevant.
Was kann man tun, um diese Berufe für Frauen attraktiver zu machen?
Es ist wichtig, dass die Studierenden und Absolvierenden ein funktionierendes Netzwerk sowie Vorbilder hier in der Schweiz haben, sogenannte Role Models. Women in Tech Switzerland vernetzt Frauen in der Schweiz miteinander. Und MOD-ELLE ist ein Schweizer Verein, der durch die Bekämpfung von Geschlechterstereotypen einen Unterschied in der Schweizer Arbeitswelt machen will. Der Verein hat dazu ein Netzwerk aus Lehrkräften, Freiwilligen und institutionellen Partnern aufgebaut. Die Studierenden bekommen im Unterricht Gelegenheit sich anhand einer Case Study damit zu beschäftigen.
Welche Fragen haben die Studierenden in dem Zusammenhang?
Meistens fragen die Studierenden, wie es mit den Lohnunterschieden aussieht, also der Gender Pay Gap. Dabei gehe ich unter anderem auch auf das Impostor-Syndrom und die Verhandlungskompetenz bei Frauen ein, also dass männliche Absolventen mehr und erfolgreicher verhandeln als Frauen, wenn es um den Lohn geht. Daher ist es sehr wichtig, dass alle Studierenden, nicht nur die Frauen, davon wissen und entsprechend im Studium und Beruf so handeln, dass sie ihre Kompetenzen auch einsetzen.
Wobei brauchen die Studierenden noch Unterstützung?
In der Gruppenarbeit sieht man beispielsweise, dass die Frauen jeweils zusammensitzen und die Männer jeweils zusammensitzen und dementsprechend von selbst weniger häufig auf die Idee kommen, gemischte Gruppen zu bilden. Aber wenn wir sie direkt anweisen, gemischte Gruppen zu bilden, funktioniert das wunderbar. Ältere Semester haben uns auch schon zurückgemeldet, dass es gut war, dass wir das anfangs angeleitet haben. Sie brauchen diese Unterstützung zu Beginn und wenn wir ihnen sagen, sie sollen immer mindestens eine Frau in ihrem Team haben, dann ist es okay.
Ich wünsche mir, dass sie das später im Studium und im Berufsleben selbst merken und initiieren. Sobald sie sehen, dass immer nur die gleichen Personen in einer Gruppe arbeiten, sollen sie auf die Idee kommen, andere Person und damit verschiedene Kompetenzen ins Team zu holen. Dass sie sich bewusst für eine Arbeitsgruppe noch jemand anderen suchen und so die Kompetenzen zusammensetzen.
Und wie sieht es bei den Dozierenden aus?
Auch für die Dozierenden, das sind ja hauptsächlich Männer in unserem Studiengang, ist es wichtig, dass sie in den Übungen diverse Themen behandeln und sie Beispiele nennen, die alle Personen ansprechen. Und nicht immer die gleichen Beispiele von Männern und die gleichen Beispiele von Frauen genannt werden. Und das braucht auch bei den Dozierenden eine Bewusstheit.
Wie wenden die Studierenden das Gelernte schliesslich an?
Ich schreibe zu dem Thema Bachelorarbeiten aus. Die Bachelorarbeiten dauern in der Regel mehrere Monate und in dieser Zeit bewegt sich schon sehr viel. Und manchmal kontaktieren mich Absolvierende viel später. Eine Absolventin arbeitet z.B. im Migros Genossenschaftsbund als Service Delivery Managerin. Ihre Bachelorarbeit zum Thema Diversity bzw. die Stellung vom IT-Businessmanagement zu Frauen in der Informatik wurde vor kurzem mit dem CIO der Migros besprochen und sie konnten intern in der Migros ein Frauennetzwerk aufbauen.
Oder eine andere Bachelor-Absolventin, die ihre Erkenntnisse aus der Bachelorarbeit nun in ihrem Job als Applikationsentwicklerin jeden Tag integriert und einfach vorlebt.
Wir haben auch viele Teilzeitstudierende, die schon in den Unternehmen sind. Und sie können jetzt schon einen Unterschied machen, indem sie etwas anwenden, das sie im Studium lernen.
Wie ist dein Eindruck jetzt? Haben wir noch einen weiten Weg vor uns?
Die Studierenden sind sehr interessiert und gehen vielleicht offener damit um als frühere Generationen. Und doch können wir nicht oft genug auf diesen unconscious bias achten, weil unser Gehirn eben so funktioniert und wir so erzogen worden sind. Deshalb ist es wichtig, dass wir diese Kompetenz erwerben.
Gerade wir Frauen in der IT dürfen uns öfter trauen, etwas Altes mit etwas Neuem zu ersetzen, um eine Veränderung herbeizuführen. Und dass wir Frauen uns öfter trauen, einfach mal Ja zu sagen zu grösseren Herausforderungen. Das mache ich z.B. aktuell jeden Tag mit dieser Modulverantwortung.
Weitere Informationen zum Bachelorstudiengang Wirtschaftsinformatik gibt es im Blogpost Lehren & Lernen und in der Broschüre. Verpassen Sie nicht die nächsten Informationsveranstaltungen zu den Studiengängen der ZHAW School of Management and Law!