Pflegefachperson im Austausch mit Heimbewohner:innen

Gerontologische Pflege als «Detektivarbeit»

Im Weiterbildungsstudiengang MAS in Gerontologischer Pflege möchte Natalie Battaglia ihre Studierenden befähigen, evidenzbasiert und handlungswirksam in ihrem Berufsalltag agieren zu können. Sie schätzt besonders den persönlichen Austausch mit den Teilnehmenden und die Vielseitigkeit der gerontologischen Pflege, die sie als «Spielwiese» beschreibt, auf der man «viel Detektivarbeit leisten kann».

Natalie Battaglia, ist die Pflege heutzutage nicht eh weitgehend gerontologisch und gerontologisches Wissen unter Pflegefachpersonen schon vorhanden?

In der heutigen Zeit begegnen wir älteren Menschen in verschiedenen Gesundheitskontexten. Oft wird jedoch das spezifische gerontologische Pflegewissen unterschätzt. Man denkt vielleicht, dass ein älterer Herr aufgrund seiner verlangsamten Aktivitäten des täglichen Lebens einfach mehr Pflege benötigt. Doch die Realität ist komplexer. Es gibt viele Phänomene, die aufgrund von Mehrfacherkrankungen auftreten und sich gegenseitig beeinflussen. Pflegefachpersonen müssen diese Zusammenhänge erkennen, vorausschauend denken und klinische Entscheidungen treffen, um die Lebensqualität zu verbessern und langfristige negative Auswirkungen zu verhindern. Dabei müssen sie die Therapien verschiedener Berufsgruppen sowie die Bedürfnisse der Angehörigen berücksichtigen.

Kannst du ein Beispiel nennen?

Die Altersdepression ist weit verbreitet, wird jedoch oft nicht erkannt. Viele halten es für normal, dass ältere Menschen sich zurückziehen und der Hektik aus dem Weg gehen. Doch wenn dieser Rückzug nicht gewollt ist, sondern auf einer Depression beruht, kann Einsamkeit die Folge sein. Dies geht oft mit gesundheitlichen Einbussen wie einer Abnahme der Bewegung einher. Neben dem Wissen über den biologischen Abbau im Alter ist auch das Verständnis für psychosoziale Aspekte wichtig. Wie geht man damit um, wenn das persönliche soziale Netz schrumpft? Etwa durch den Verlust des Partners oder bei Hochaltrigen sogar durch den Verlust eines Kindes? Zudem können Ängste vor Stürzen oder Entscheidungen auftreten, insbesondere im Umgang mit digitalen Tools oder Betrugsfällen.

Wer sind deine Teilnehmenden?

Die Teilnehmenden kommen hauptsächlich aus Alters- und Pflegezentren sowie aus dem Spital-Setting wie der Akutgeriatrie oder der Chirurgie. Diejenigen aus der Spitex bilden zwar eine Minderheit, betonen jedoch, wie sehr sie von der Weiterbildung profitieren. Während ihren kurzen Einsätzen bei den Klient:innen müssen sie fachliche Entscheidungen treffen, die den Rahmenbedingungen entsprechen und gleichzeitig die Gesundheit der Angehörigen berücksichtigt.

Die Teilnehmenden sind eine vielfältige Gruppe. Ihr Alter reicht von 25 bis 60 Jahren. Einige haben einen Bachelorabschluss, andere eine HF-Ausbildung. Letztere müssen noch bestimmte Auflagen erfüllen, wie die Module «Klinisches Assessment und körperliche Untersuchung» und «Reflektierte Praxis – Wissenschaft verstehen». Das klinische Assessment ist wichtig, um beispielsweise die Atmung abzuhören oder Bauchschmerzen zu untersuchen. Durch diese erweiterten Kompetenzen können sie dem Hausarzt oder der Hausärztin korrekte Informationen liefern und möglicherweise Spitalaufenthalte vermeiden.  Wir möchten den Studierenden Fähigkeiten zum wissenschaftlichen Arbeiten vermitteln, damit sie lebenslang auf neues Wissen zugreifen und es kritisch reflektieren können.  Gemeinsam ist allen Teilnehmenden das Bedürfnis, ihr vorhandenes Fachwissen zu vertiefen und professionelle Aufgaben umzusetzen.

Natalie Dominique Battaglia, Leiterin des Studiengangs MAS Gerontologische Pflege (Bild: ZHAW)

Wie ist der Studiengang aufgebaut?

Im CAS Klinische Kompetenzen vermitteln wir ein breites Spektrum an gerontologischem klinischem Pflegefachwissen. Im CAS Beratung und Edukation stehen die edukativen und kommunikativen Fähigkeiten im Mittelpunkt. Die Studierenden lernen, Individuen, Familien und Teams zu coachen und zu beraten. Der CAS Leadership und Projektmanagement bereitet auf den MAS Abschluss vor. Im letzten Modul schreiben die Studierenden einen Projektantrag, der zur Durchführung der Masterarbeit führt. Das Projektziel ist eine Qualitätsverbesserung in der Pflege, bei der Mitarbeitende in ihrer beruflichen und persönlichen Entwicklung und Aufgabenbewältigung unterstützt werden. Die Vorgehensweise ist «bottom-up», was bedeutet, dass im Projektteam partizipativ strukturelle oder prozesshafte Veränderungen vorbereitet werden, die oft auch als Pilotprojekte getestet werden, um die Machbarkeit zu erkennen und die Implementierung im Alltag vorzubereiten. Die Masterarbeit dokumentiert die Durchführung des Projekts und reflektiert die Erfahrungen als Projektleitung.

Erhalten die Teilnehmenden bei dieser Projektarbeit genügend Unterstützung von ihren Arbeitgebenden?

Die Arbeitgebenden beteiligen sich, indem sie die Projektwürdigkeit anerkennen und das Budget genehmigen. Seit Corona und aufgrund des zunehmenden Fachkräftemangels spüren die Teilnehmenden einen gewissen Druck. Alles ist knapp. Sie müssen jonglieren, aber das gehört in gewisser Weise zum Projektmanagement dazu. Sie müssen lernen, Risiken vorauszusehen und realistische Gegenmassnahmen zu planen. Was, wenn ein Projektmitglied aussteigt oder die Vorgesetzte das Budget kürzt? Man merkt, dass es insbesondere bei Teilnehmenden, die in kleineren Betrieben mit weniger Ressourcen arbeiten, schwieriger wird. In dieser Hinsicht sind die Unterschiede unter den Teilnehmenden bemerkbar.

Sind die Module auch einzeln buchbar?

Ja, im ersten CAS z.B. die Module Pflege von Menschen mit Demenz und Advanced Nursing Process in Gerontologischer Pflege. Damit möchten wir auch den individuellen Bedürfnissen der Teilnehmenden gerecht werden. Wir sind bemüht, alle individuell abzuholen, wir pflegen auch einen persönlichen Umgang, was bei den 12 bis 16 Teilnehmenden gut möglich ist. Dies hat auch damit zu tun, dass wir würdigen möchten, was sie in der Praxis leisten.

Was reizt dich persönlich am meisten an deiner Aufgabe?

Es mag lustig erscheinen, wie ich zu dieser Aufgabe gekommen bin: Zuerst war ich bei der Onkologie, dann bei der Pädiatrie. Irgendwann wurde die Gerontologie frei. Lange hatte ich immer gesagt: alles nur nicht Gerontologie. Ich hatte zuvor im Unispital Zürich gearbeitet, dort viel «Action» erlebt, auch in der Chirurgie. Aber dann fasste ich den Entschluss, mich in einem Bereich zu finden, wo ich mich wohl fühle, mich weiterentwickeln und an einem Thema dranbleiben kann. Ich wollte nicht mehr nur Allrounderin sein, sondern mich spezialisieren.

Ich sagte mir deshalb: «Jetzt lässt du dich mal drauf ein». Und ich würde es nicht mehr hergeben: Ich lerne täglich dazu, was den alten Menschen betrifft. Es ist so interessant, all die Zusammenhänge zu erkennen: die Auswirkungen von Mehrfacherkrankungen und der Polypharmazie z.B. man kann so viel «Detektivarbeit» leisten. Eigentlich ist es eine Spielwiese mit enormem Potential für wirksame Pflege. Und ich merke, dass ich den Pflegefachpersonen nützliche Werkzeuge auf den Weg geben und überhaupt sie in diesem schwierigen, herausfordernden Bereich unterstützen kann.


Zur Person

Natalie Dominique Battaglia leitet den Studiengang MAS Gerontologische Pflege und verfügt über einen Master of Science ZFH /Pflege.

Weiterführende Informationen

MAS in Gerontologischer Pflege | ZHAW Gesundheit

Interview: Dieter Sulzer – Bilder: ZHAW

Schlagwörter: Alterspflege, Interview

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