Automatisiertes Fahren im Freizeit- und Tourismusverkehr

Wie autonome Fahrzeuge die Schweizer Tourismusindustrie revolutionieren könnten.

Freizeitaktivitäten spielen in der heutigen Gesellschaft eine immer wichtigere Rolle. Wesentliche Treiber für diese Entwicklung sind u.a. die zunehmend frei verfügbare Zeit, sich verändernde Arbeitsformen, das wachsende Angebot an Freizeitaktivitäten und generell sich verändernde Lebensstile. Mittlerweile nimmt die Freizeitmobilität in der Schweiz den grössten Anteil am Gesamtverkehr ein, noch vor Arbeit und Ausbildung und der Grossteil der Fahrten wird dabei mit dem MIV zurückgelegt. Dieser Trend könnte sich durch die zunehmende Automatisierung innerhalb der Mobilität weiter verstärken.

Im Rahmen eines vom ASTRA finanzierten Forschungsprojektes über die Auswirkungen des automatisierten Fahrens in der Schweiz, hat sich das ZHAW INE in einem Teilprojekt mit der Frage beschäftigt, welches Potential automatisierte Fahrzeuge im Freizeit- und Tourismusverkehr der Schweiz haben könnten und mit welchen Auswirkungen auf das Verkehrssystem diesbezüglich zu rechnen wäre. Die Einschätzungen basieren dabei grösstenteils auf Expertenmeinungen, welche in einer Interview-Reihe im Sommer 2019 zusammengetragen wurden.

Mögliche zukünftige Anwendungsformen

Verschiedene Studien wagen einen Blick in die Zukunft und zeigen auf, welche Anwendungsformen automatisierter Fahrzeuge im Freizeit- resp. Tourismusbereich möglich wären (siehe dazu Cohen und Hopkins, 2019 oder Bainbridge, 2018):

  • Individualisierte Stadtrundfahrten: Reisende könnten in automatisierten Fahrzeugen individuelle, nach ihren Vorlieben geplante Sightseeing-Touren unternehmen. Künstliche Intelligenz bietet zudem die Möglichkeit, die Routen gemäss den persönlichen Präferenzen (erkennbar über Schnittstellen zu Social Media Plattformen, Fotogallerien auf dem Smartphone, etc.) individuell zu planen. Anstatt in einer Stadt mehrmals dieselbe, monotone Stadtrundfahrt zu machen, bieten automatisierte und individualisierte Stadtrundfahrten das Potenzial, um sich sein eigenes, einzigartiges Erlebnis zu schaffen.
  • Mehrtagestouren: Reisende könnten vermehrt von A über B nach C auf einer individualisierten Mehrtagestour (fernab von stark frequentierten Hauptstrassen) reisen. Eine solche Tour zu buchen wäre dabei so einfach, wie heutzutage die Buchung einer eintägigen Ausflugstour. Diese «Rennaissance» der Road Trips könnte zudem zur Erschliessung neuer Kundengruppen (z.B. alte und gebrechliche Menschen oder Junge ohne Führerausweis) führen.
  • Private Rückzugsorte: Automatisierte Fahrzeuge könnten neu als private Rückzugsorte fungieren und daher mit bestehenden Angeboten (z.B. Ruhezonen in Flughäfen, Stunden-Hotels, etc.) konkurrieren. Vermehrtes Reisen durch die Nacht würde möglicherweise dazu führen, dass Hotels weniger Übernachtungen verzeichnen würden.
Gehört dieses Bild bald der Vergangenheit an? Sightseeing Bus vor dem Grossmünster in Zürich (Quelle: www.zuerich.com)

Potentialabschätzung für die Schweiz

Trendrecherchen zeigen, dass die Reisetätigkeit von Inländern (für Ferienzwecke) innerhalb der Schweiz in den letzten Jahren tendenziell abgenommen hat, wohingegen vor allem die Flugreisen ins Ausland stark zugenommen haben. Da sich dieser Trend nach Einschätzung der Experten auch in Zukunft weiter fortsetzen dürfte, bleibt es fraglich, wie stark die Tourismusindustrie durch automatisiertes Fahren letztlich profitieren würde. Das grösste Potential für die Schaffung neuer und innovativer Angebote besteht daher sehr wahrscheinlich bei ausländischen Touristen, welche durch automatisierte Mobilitätsangebote ihre Reisen individuell und gemäss ihren persönlichen Präferenzen planen und gestalten könnten (z.B. individuelle automatisierte Stadtrundfahrten). Neben dem urbanen Raum könnte insbesondere auch der alpine Raum durch automatisierte Mobilitätsangebote an Attraktivität gewinnen – einerseits durch die gesteigerte Erreichbarkeit, andererseits durch die grössere Flexibilität resp. Unabhängigkeit von zeitlich fixierten Fahrplänen des ÖV.

Digital-affine Touristen stellen die grösste Potentialgruppe für automatisiertes Fahren im Freizeit- und Tourismusverkehr dar (Quelle: epa/keystone)

Schlussfolgerungen

Die Haupttreiber in der Freizeit- und Tourismusindustrie werden nach wie vor das touristische Leistungsangebot und die Preise bleiben und nicht das automatisierte Fahren. Entscheidend wird jedoch sein, wie automatisiertes Fahren in den verschiedenen Raumtypen für den Freizeitverkehr in Wert gesetzt wird. Diesbezüglich sind zwingend massgeschneiderte Lösungen zu erarbeiten, welche auf den jeweiligen Kontext angepasst sind und sämtliche externen Gegebenheiten (im direkten Umfeld von Verkehr und Transport) mitberücksichtigen. Es wird daher auch im Freizeitverkehr nicht das allgemeingültige Patentrezept für automatisiertes Fahren geben, sondern diese müssen stets den jeweiligen Gegebenheiten und Erfordernissen der unterschiedlichen Raumtypen angepasst und entsprechend ausgestaltet werden – im kontinuierlichen Dialog mit sämtlichen betroffenen Akteuren.


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