Close-up der bunten Tasten und Songlisten einer Jukebox.

Gschpürschmi für Nerds: Achtsamkeit in der Arbeitskultur von IT-Teams

Der Druck im IT-Sektor ist gross: Personen in diesem Bereich sind stark gefragt und laufen oft Gefahr überlastet zu werden. Achtsame Arbeitsprinzipien können dabei Abhilfe verschaffen und die mentale Gesundheit stärken. Aber wie können Teamleader diese Prinzipien erfolgreich in ihre Teams integrieren, insbesondere wenn sie “Gschpürschmi”-Themen kritisch gegenüber sind? Die Studentin Mara Melchior hat dafür eine Jukebox mit Tipps und Ideen erstellt. Ihre Arbeit wurde von der Schweizerischen Gesellschaft für Positive Psychologie (SWIPPA) prämiert.

Es ist leider bekannt, dass Software-Entwickler:innen Mangelware sind und dadurch oft in einem Zustand der Überlastung arbeiten. Dass dies aber der Anfang eines Teufelskreises ist, der sich auch auf die mentale Gesundheit der Arbeitnehmenden auswirkt, wird weniger oft thematisiert. «Diese Überbeanspruchung hat negative Auswirkungen auf die mentale Gesundheit der Entwickler:innen, und es kommt nicht selten zu ernsten Erkrankungen wie beispielsweise Burnouts (Tulili et al., 2023, S. 1). Der daraus resultierende Arbeitsausfall verstärkt den Druck auf die verbleibenden Software-Entwickler:innen, wodurch ein sich selbst verstärkender Zyklus aus übermässigem Stress und zunehmendem Arbeitsdruck entsteht (IT-Jobs in der Schweiz, 2023)», schreibt Mara Melchior in ihrer Bachelorarbeit. Mara studierte Wirtschaftsinformatik an der School of Management and Law und interessierte sich bereits vor ihrer Bachelorarbeit für Themen wie Self-Leadership und Mental Health. Ihre Betreuerin Katja Kurz treibt diese Themen in ihrer Forschung am Institut voran und betreut mehrere Arbeiten dazu. Auch im CAS IT-Leadership und innovative Organisationen (ITLIO) sind dies Themen höchst aktuell und IT Teamleader erfahren dazu an zwei Tagen mehr.

Achtsamkeit in Scrum-Teams

In ihrer Arbeit befasste sich Mara vertieft mit achtsamen Arbeitsprinzipien. Sie stellte sich nämlich die Frage was konkret für Software-Entwickler:innen in Scrum Teams angepasst werden kann, damit sie mehr Achtsamkeit in ihren Arbeitsalltag integrieren können.

Was sind Scrum-Teams?

Scrum Teams entwickeln meist Software und bestehen oft aus 6-8 Personen: mehreren Entwickler:innen, einem Product Owner und einem Scrum Master. Der Scrum Master ist fachlich gesehen der Teamleader, aber hat keine disziplinaren Verantwortungen, sondern schützt und fördert das Team.
Beispielprojekt aus dem Alltag, um zu verstehen wie die Aufgaben verteilt sind: Einkauf in der Migros. Der Product Owner erstellt die Einkaufsliste und weist einzelne Aufgaben zu. Die Entwickler:innen gehen in die Migros und erledigen den Einkauf. Der Scrum Master prüft zuvor, ob die Filiale offen ist, und ob Hindernisse im Wege stehen.

Was sind achtsame Arbeitsprinzipien? (Nach Alexander Hunziker)

  • Absicht: In meiner Arbeit verwirkliche ich mich so gut es mir möglich ist (Sinn, Ausgeglichenheit, Menschlichkeit, Gesamtzusammenhang)
  • Verhalten: Ich lebe vor und lade andere unaufdringlich dazu ein (regelmässiges Innehalten, tief zuhören, Spannungen klären, Gelassenheit)
  • Selbstmanagement: Ich halte regelmässig inne und übe (Impulsdistanz, Single-Tasking, Selbstfürsorge, heilsame mentale Routinen gestalten und unheilsame verringern)

Keine Zeit für «im Kreis tanzen»

Wie wichtig ist Mental Health für Personen in der Informatik? Um diese Frage zu beantworten, führte Mara mehrere qualitative Interviews mit Entwickler:innen und Scrum Mastern durch. In den Interviews erfuhr sie, dass Scrum Master generell fürs Thema sensibilisiert sind, weil sie es in ihrer Zertifizierung behandeln. Alle bis auf einen Interviewpartner waren auch davon überzeugt, dass es ein wichtiges Thema ist. Einer der Scrum Master merkte allerdings an, dass es Widerstände im Team gebe und die Entwicker:innen entweder keine Zeit für «Gschpürschmi und im Kreis tanzen haben», nicht sagen möchten wie es ihnen geht, oder es noch nicht gewohnt sind. Aufgrund der Interviews und eigenen Recherchen erfuhr Mara von Erfahrungen, Wünschen und erprobten Methoden, die die mentale Gesundheit der Teams proaktiv unterstützen können.

Jukebox mit 6 Massnahmen

«Achtsamkeit werde oft stereotypisch mit Yoga und Lotusblüten in Verbindung gebracht», sagt Mara. Sie möchte diesen Stereotypen entgegenwirken und gestaltet das Massnahmenposter als eine «Jukebox» mit Musiktiteln. Mit einem neutralen Einstieg über Musik, möchte sie spezifisch Scrum Teams ansprechen. Das Poster kann aber auch von Teams ausserhalb der Informatikbranche eingesetzt werden, indem Teamleitende die einzelnen Punkte phasenweise im Team umsetzen. Die Teams können aus den sechs Ideen das auswählen und anwenden, was für sie am besten geeignet ist. Dies kann sich auch je nach Situation ändern. Zum Beispiel kann es vorkommen, dass eine Deadline verpasst wurde, was zu Stress führt. Dann macht es keinen Sinn, wenn der Scrum Master am Anfang des Meetings fragt, welches Fabelwesen die Entwickler:innen gerne wären, da das Team andere, wichtigere Probleme hat. «Er würde dafür bildlich geköpft werden», meint Mara. Hier könnte die Methode «Let it Be» helfen: Einen Sprint lang dürfen alle das Meeting sofort und ohne Wort verlassen, sobald sie es nicht mehr als für sich relevant betrachten». Dadurch gewinnen die Entwickler:innen Zeit für andere Aufgaben und fühlen sich besser verstanden und unterstützt.

Massnahmenposter «Gschpürschmi?» mit sechs Ideen, die das Arbeitsumfeld eines Teams positiv verändern können. Quelle: Bachelorarbeit von Mara Melchior

Walk of Life und Reboots

Die Methoden auf dem Poster sind kreative Ideen, die von den Teams angepasst und umgesetzt werden können, um ihre Arbeitsweise zu verbessern. So sind bei «How do you do» Beispielfragen aufgelistet, die für Check-ins gebraucht werden können. Die Fragen können aber auch selbst überlegt oder online erstellt werden, um sie an die Bedürfnisse des Teams anzupassen. Die Songs empfehlen ausserdem Spaziergänge, kürzere Meetings, aktive Komplimente/Anerkennung und die Nutzung der Team-Sprache, wie z.B. die «Technik-Sprache» bei Scrum-Teams. Mara hofft, dass die Ideen den Teams zu einem Update1 verhelfen. Sie hat unterdessen selbst ein Update gemacht: Sie hat den Bachelor erfolgreich abgeschlossen und ihre Arbeit wurde mit dem SWIPPA-Preis ausgezeichnet. Jetzt arbeitet sie als Projektleiterin und Consultant zur Software-Palette von Atlassian (bekannte Tools sind «Jira» und «Confluence»).

  1. IT-Sprache = Update; Self-Leadership Jargon = “zur Reflexion anregend und dadurch neue Standpunkte einnehmend und nächste Ziele erreichend” ↩︎

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