Digital Divide: Zwischen Technik-Skepsis und einer Kultur der Offenheit 

Kaum ein Bereich unseres Alltags wird nicht von der Digitalisierung beeinflusst. Fast alle haben ein Smartphone. Selbst im Gotthardtunnel gibt es 5G. Gerade deswegen widmen wir uns in der neuen Blogserie zum Thema «Digital Divide» den Herausforderungen, denen Menschen im Umgang mit digitalen Technologien tagtäglich begegnen. Wir zeigen auch auf, was an der ZHAW unternommen wird, um diesen digitalen Graben zu überbrücken.

Der digitale Graben – oder Digital Divide – bezeichnet die Kluft zwischen jenen, die Zugang zu digitalen Technologien oder das Know-how ihrer Nutzung haben, und denen, die davon teilweise oder ganz ausgeschlossen sind. So können zum Beispiel nicht nur Bahnhöfe barrierefrei gestaltet werden, sondern auch Webseiten, damit Menschen mit Behinderungen sie besser lesen können. Für jüngere Menschen, die mit dem Internet aufgewachsen sind, ist die Nutzung digitaler Technologien viel selbstverständlicher als für ältere Menschen, für die diese Transformation eine grosse Umstellung bedeutet. Digital Divide zeigt sich auch in Bereichen, in denen Menschen in sozialen oder pflegerischen Berufen tätig sind und die dem Einsatz von neuen Technologien skeptisch gegenüberstehen können. All diesen Themen geben wir in den nächsten Monaten auf unserem Blog Raum. 

Digitale Kompetenzen sind mehr als nur technisches Know-how 

Die Entwicklung digitaler Kompetenzen wird als Digital Literacy bezeichnet. Zentral ist hier, dass es nicht nur darum geht, zu verstehen, wie man ein Smartphone oder eine bestimmte App nutzt. «Bei Digital Literacy geht es darum, digitale Medien zu nutzen, um Informationen zu erhalten, um sich zu vernetzen oder um selbst mit eigenen Inhalten zum Internet beizutragen», sagt Guido Keel, Institutsleiter am Institut für Angewandte Medienwissenschaft und Professor für Media Literacy am ZHAW Departement Angewandte Linguistik. «Gefragt sind dabei Medienwissen, technische Fertigkeiten, kritisches Denken und die Fähigkeit, sein eigenes Tun und seine eigenen Bedürfnisse zu reflektieren», sagt Keel. 

Ein Grund für unterschiedliche Niveaus in den Erfahrungen und Kompetenzen ist die Sozialisation, also das Umfeld und der Einfluss auf die Person. Judith Bühler vom ZHAW Departement Soziale Arbeit ist Co-Studiengangleiterin vom CAS Digitale Kompetenzen in der Sozialen Arbeit. Sie erklärt, dass eine finanzielle Benachteiligung zum Beispiel nachweislich einen negativen Einfluss auf digitale Kompetenzen habe. «Digitale Kompetenzen haben in der heutigen Zeit einen zentralen Einfluss auf die Lebensverwirklichungschancen der Menschen sowie auf unser gesellschaftliches Zusammenleben, den sozialen Frieden und die Demokratie», sagt Bühler. Auch im Fachbereich Soziale Arbeit ist der digitale Graben wahrnehmbar, sowohl bei den Klient:innen als auch den Sozialarbeitenden. «Adressat:innen der Sozialen Arbeit sind je nach Umstand, wie beispielsweise durch Armut, besonders vom Digital Divide betroffen. Der Digital Divide ist andererseits aber auch unter Fachpersonen der Sozialen Arbeit zu erkennen. Wir Sozialarbeitende verfügen über sehr unterschiedliche digitale Kompetenzen. Ausserdem zeigt sich in der Sozialen Arbeit eine gewisse, teilweise auch berechtigte, Technik-Skepsis», sagt Bühler. 

Sorge und Frustration gegenüber neuen Tools 

Neben individuellen Fähigkeiten bedarf es aber auch einer unterstützenden Kultur. Stefanie Hauske ist Spezialistin für “Digital Skills Learning and Development im HR Development der ZHAW. Ihr Fokus liegt darauf, ein Verständnis für die digitalen Kompetenzen zu entwickeln, die die ZHAW als Organisation benötigt, und ein Schulungs- und Entwicklungsangebot anzubieten. «In meinen Gesprächen erlebe ich eine grosse Offenheit und positive Einstellung zum digitalen Wandel. Es besteht jedoch auch Besorgnis bezüglich der raschen Einführung und Aktualisierung von Tools und Technologien und die Angst, nicht Schritt halten zu können oder sogar zurückzufallen», sagt Hauske. 

Auch Guido Keel sieht die rasche Geschwindigkeit der digitalen Transformation als eine mögliche Herausforderung. «Der Zeitdruck hindert uns daran, mit neuen Tools zu experimentieren und spielerisch Erfahrungen zu sammeln. Genau das wäre aber nötig», sagt Keel. «Die digitale Welt hat sich chaotisch entwickelt und wird es bleiben. Das kann zu Frustration fühlen und zu einem Rückzug auf das, was man kennt – man schickt sich die Dokumente dann einfach per E-Mail anstatt ein neues Tool zu nutzen», sagt er. 

Kultur der Offenheit und lebenslanges Lernen 

Um die digitalen Kompetenzen in einer Organisation zu stärken, bedarf es also einer Kultur der Offenheit und des lebenslangen Lernens. «Dies erfordert die Schaffung einer unterstützenden Infrastruktur und Kultur, um die Bedeutung digitaler Kompetenzen auf allen Ebenen zu verankern», sagt Hauske. Erfolg sehe sie dann, wenn die Menschen aufgeschlossen und reflektiert sind und ein tiefgehendes Verständnis über die Auswirkungen digitaler Technologien mitbringen. «Es ist essenziell, dass die Kompetenzen weit über die reine Anwendung von Technologien hinausgehen und eine kritische Einschätzung sowie kreative Nutzung digitaler Möglichkeiten einschliessen», sagt Hauske. Das führe schliesslich zu einer verstärkten Innovationskraft und Effizienz.  

Auch Guido Keel ist optimistisch gestimmt. Dass die ZHAW-Mitarbeitenden neue Erfahrungen sammeln und ihre Digital Literacy stärken, sehe er darin, dass neue Technologien oft sehr schnell Aufnahme in die Lehre und Forschung an der ZHAW finden. «Corona hat uns da sicher auch darin gestärkt, gelassen mit neuen digitalen Herausforderungen umzugehen», sagt er. 

Das Titelbild wurde mithilfe von künstlicher Intelligenz generiert und anschliessend von ZHAW-Mitarbeitenden bearbeitet.


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