Damit gehörlose Studierende und Mitarbeitende der ZHAW schnell und einfach Gebärdensprachdolmetschende zu ihrem Meeting einladen können, entwickelt Andri Reichenbacher vom ICT-Accessibility Lab der ZHAW School of Engineering eine neue App. Auch am Departement Angewandte Linguistik wird geforscht, um Menschen, die in Gebärdensprache kommunizieren, das Studieren im digitalen Zeitalter zu erleichtern.
Gebärdensprachdolmetschende begleiten Studierende in ihre Vorlesungen und Mitarbeitende in ihre Meetings, um hörende und nichthörende Menschen dabei zu unterstützen, miteinander zu kommunizieren. Seit Beginn der Pandemie lernen die Studierenden an der ZHAW überwiegend im Fernunterricht, und viele Mitarbeitende arbeiten im Home-Office. Dieser virtuelle Kontakt über den Bildschirm hat auch Auswirkungen auf das Dolmetschen.
«Gebärdensprache nutzt den Raum gestisch-visuell zum Darstellen sprachlicher Inhalte. Wenn man die Dolmetschung nur als kleines Bild neben der Präsentation hat, ist sie schwieriger zu erkennen. Das kann zu ungenauem Verstehen von Begriffen oder komplexen fachlichen Zusammenhängen führen. Auch die Räumlichkeit selbst ist zweidimensional eingeschränkt im Video. Das ist eine Einschränkung, die jeder Gebärdensprachtext im Videoformat hat und an die die Gebärdensprachnutzenden schon gewohnt sind. Aber es erfordert trotzdem grössere Konzentration», sagt Christiane Hohenstein, Professorin für Interkulturalität und Sprachdiversität am ZHAW Departement Angewandte Linguistik.
Mit wenigen Klicks zum Dolmetschdienst
Wenn Studierende und Mitarbeitende eine Gebärdensprachdolmetscherin oder einen -dolmetscher benötigen, können sie sich an procom wenden. Die Organisation vermittelt Gebärdensprachdolmetschende an Menschen, die in Gebärdensprache kommunizieren. Bisher funktioniert das über ein Online-Bestellformular auf der Website. Doch dieses Vorgehen ist zeitaufwändig, weil für mehrere Meetings immer die gleichen Angaben gemacht werden müssen, wie etwa persönliche Daten. Eine neue App der ZHAW School of Engineering könnte hier Abhilfe schaffen.
Mit Beginn des Lockdowns im Frühjahr 2020, hat ZHAW digital im Rahmen des «Digital Futures Fund» Digitalisierungsprojekte gefördert, die zur Bewältigung der Covid-19-Pandemie beitragen. Ein Projekt war das von Andri Reichenbacher, Wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für angewandte Informationstechnologie. Andri hat eine webbasierte App entwickelt, über die der Kontakt zum Dolmetschdienst von procom einfacher wird.
Durch die Anmeldung auf der App REGED und der nachfolgenden Microsoft-Anmeldung per ZHAW-Login sind schon viele persönliche Daten hinterlegt. Die User können in einem übersichtlichen Onlineformular mit Kalenderfunktion weitere Angaben zum Termin machen und den Direktlink zur MS-Teams-Sitzung hinzufügen.
«Damit ein Kalenderzugriff mittels MS Graph durch die REGED-App möglich ist, wird eine spezielle Anmeldung benötigt», erklärt Andri. «Die grösste Herausforderung war eine einzige gemeinsame Anmeldung, wie zum Beispiel für die Datenbank und den Kalenderzugriff, welche als Authentifizierungslösung in einer REGED-App implementiert werden soll.»
Die App funktioniere bereits und aktuell teste er das System gründlich, damit die App bald für alle ZHAW-Angehörigen verfügbar wird. Die Zielgruppe der internen Lösung sind ZHAW-Mitarbeitende und Studierende, die MS Teams nutzen, aber auch die Dolmetschvermittlung und Gebärdensprachdolmetschende. Das System könnte in einem nächsten Entwicklungsschritt auch für Zoom oder Webex geöffnet werden.
Speech-to-Text als Ergänzung zum Gebärdensprachdolmetschen
Die digitale Transformation bietet noch weitere Möglichkeiten, um Inklusion an Hochschulen zu fördern. Am ZHAW Departement Angewandte Linguistik untersucht Christiane Hohenstein zusammen mit Larysa Zavgorodnia, Doktorandin und wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institute of Language Competence, wie verschiedene Medien von gehörlosen Studierenden und Mitarbeitenden genutzt werden. So könne beispielsweise eine Speech-to-Text-App auf dem Smartphone oder Laptop in der Vorlesung die Umgebungssprache über die Schrift zugänglich machen. «Das Schriftdolmetschen vermittelt die Lautsprache, das soll den Zugang zum akademischen Diskurs ermöglichen sowie zur Entwicklung des wissenschaftlichen Stils bei den hörbehinderten und gehörlosen Studierenden beitragen», sagt Larysa.
«Für den Wissenstransfer sowie Wissensaufbau spielt die Sprache bzw. der kommunikative Modus eine entscheidende Rolle. Zurzeit weiss man aber nicht viel über die Funktion des Gebärdensprach- und Schriftdolmetschens im Hochschulunterricht, wir arbeiten an dieser Frage, damit man künftig angemessene Tools und Apps entwickeln kann.»
Im Rahmen einer DIZH Fellowship erforschen Christiane und Larysa die digitalen Möglichkeiten von inklusiver Kommunikation in der Hochschullehre. Eines der Ziele ist es, eine App zu entwickeln, mit der Menschen, die in Gebärdensprache kommunizieren, akademisches Vokabular erlernen und ihre Wissenschaftssprache erweitern können.
Die Wissenschaftssprache sei geprägt von komplexen Aussagen über wissenschaftliche Zusammenhänge, erklärt Christiane, wie zum Beispiel der Satz «Es zeigt sich, dass bei Person X infolge eines späten Erwerbs der Gebärdensprache bestimmte Register wenig ausgeprägt sind.» Diese Form des sprachlichen Handelns, mit der Abhängigkeiten und Folgebeziehungen zwischen Sachverhalten oder Ereignissen erklärt werden, sei für alle Studierenden schwierig. Aber beim Dolmetschen in die Deutschschweizerische Gebärdensprache (DSGS) ist zum einen das akademische Vokabular für viele wissenschaftliche und fachspezifische Gegenstände noch nicht standardisiert genug. Zum anderen bauen die Ausdrucksweisen der Wissenschaftssprache auf alltagssprachlichen Konstruktionen der Grammatik auf, die in DSGS andere sind als im gesprochenen Deutschen. Sie sind also nicht eins-zu-eins übertragbar. Ein Beispiel dafür sind «dass»-Sätze im Deutschen. Dazu kommt noch die Forderung nach einer objektivierenden, unpersönlichen Ausdrucksweise im wissenschaftlichen Kontext. In der Fellowship geht es daher nicht nur darum herauszuarbeiten, welches Vokabular gebraucht wird, um in Zusammenarbeit mit Gehörlosenverbänden und gehörlosen Forschenden die DSGS weiter auszubauen. Sondern es geht auch darum, den grösseren Zusammenhang des sprachlichen Handelns in der Hochschule, in Akademia, mit Gebärdensprache zu erschliessen.
Merkblätter hindernisfreie Didaktik
Wie organisiere ich meinen Unterricht, wenn eine gehörlose Studentin daran teilnimmt? Und wie berücksichtige ich die Bedürfnisse eines Studenten, der mit Autismus lebt? Um Dozierende dabei zu unterstützen, hat das Netzwerk Studium und Behinderung Schweiz (Swissuniability) verschiedene Merkblätter entwickelt. Alle Merkblätter sowie weitere Informationen finden sich auf der Webseite von Swissuniability.