Lukas Buchli, Pflegefachmann und ehemaliger Mountainbike-Profi

Wie im Profi-Sport: In der Akutgeriatrie braucht es den Mut, Dinge auszuprobieren

Die von Lukas Buchli, Pflegefachmann und ehemaliger Mountainbike-Profi, geteilten Erfahrungen illustrieren, wie im akutgeriatrischen Setting Erkenntnisse aus der Wissenschaft beitragen können, die Beziehung zu älteren Menschen mit kognitiven Einschränkungen durch gezielte und reflektierte Kommunikation individuell und bedarfsgerecht zu gestalten.

Aufgewachsen auf einem Bauernhof im abgelegenen Safiental hat Lukas Buchli in seinen jungen Erwachsenenjahren zwei Leidenschaften: Die Pflege und das Mountainbiken. Das eine lernt er, im anderen wird er eher per Zufall erfolgreich und später Profi. Als er nach 10 Jahren auf dem Höhepunkt seiner Karriere den Profisport aufgibt, freut er sich, wieder in seinen gelernten Beruf zurückzukehren, in dem er auch während der Sportkarriere immer wieder für kurze Einsätze tätig war. Lukas Buchli schildert, wie sich die Rollen von Sport und Beruf im Laufe der Zeit für ihn verändert haben: Während der Ausbildung und der pflegerischen Haupttätigkeit, diente ihm das Biken als Ausgleich. Später, während der Sportkarriere, in der er sich vor allem mit sich selber auseinandergesetzt habe, wurde die Pflege zum Ausgleich.

Nach dem Ende der Mountainbike-Karriere arbeitet Lukas Buchli mit voller Überzeugung im akutgeriatrischen Setting. Er habe schon immer gern mit alten Menschen gearbeitet, und das fokussierte, auch therapeutische und aktivierende Arbeiten findet er enorm spannend. Wie im Profisport ist auch hier die Bereitschaft notwendig, Herausforderungen anzunehmen und gewisse Risiken einzugehen. Denn:

«Die Erfahrung während der Profikarriere modellierte ich zu einer Erfolgsformel. Balance, Fight, Emotion und in der Mitte der Lernprozess. Nur wenn ich bereit bin, den Kampf anzunehmen, die Balance immer wieder zu suchen und mit den Emotionen zu arbeiten, lerne ich und habe Erfolg. Interessant: Obwohl es im Sport um mich ging und in der Pflege überhaupt nicht, hat für mich diese Formel auch im Berufsalltag volle Gültigkeit.»

Mit Herz und Hirn

Lukas Buchli ergänzt: «Ich entscheide gern, probiere etwas aus, und wenn es nicht klappt, ändern wir den Plan. Das war im Sport so und ist auch in der Alterspflege, in der wenig nach Schema X verläuft, das Faszinierende. Es gibt sehr viel individualisierte, personzentrierte Handlungen, keine Ahnung, ob es funktioniert, man muss einfach ausprobieren. Wege zu den Menschen finden – das erlebe ich in der Alterspflege sehr stark und finde ich extrem spannend. In der Demenzpflege und Pflege von Personen mit kognitiven Einschränkungen ist alles noch eine Stufe komplizierter und herausfordernder. Ohne Agilität und Flexibilität ist man nicht gut unterwegs – zu viel Struktur macht keinen Sinn, da sie sowieso nicht eingehalten werden kann. Wichtig sind das Herz und das Hirn, welche helfen, die erlernten Tools einzusetzen. Immer im Moment entscheiden, was könnte in der Situation helfen, was setze ich ein, was probiere ich aus, um mit Menschen mit Demenz oder Delir in Kontakt zu treten und zu bleiben – wenn es nicht erfolgreich ist, habe ich auch noch andere Werkzeuge, mit denen ich vielleicht Erfolg habe.»

Orientierungstraining als pflegerische Massnahme

Das Setting Akutgeriatrie verpflichtet zum Angebot von kognitivem Training, Bewegungstraining und Aktivierung. Lukas Buchli fiel bei seiner pflegerischen Praxisarbeit auf, dass die Pflege in diesem Zusammenhang sehr oft die Pflegemassnahme ‘Orientierungstraining’ plante. Doch war diese wenig differenziert und nur wenige im Team wussten, was damit gemeint sein könnte. Zudem fiel gewissen Mitarbeitenden im Pflegeteam der Kontakt zu Menschen mit Demenz und deren Pflege leichter als anderen. Lukas Buchli vertiefte sich in die wissenschaftliche Literatur und erkannte, dass ‘Orientierung’ ein Schlüsselfaktor ist, damit sich Patient:innen in einem fremden Umfeld geborgen und sicher fühlen können – und dass ‘Orientierungstraining’ eine wichtige pflegerische Massnahme ist. Was aber bedeutet es genau? Lukas Buchli meint:

«Es gibt drei Ebenen, bei denen man bezüglich Orientierung genauer hinschauen muss: die kognitive, die emotionale und die Handlungsebene.»

Die kognitive Ebene umfasst Themen wie bspw. die zeitliche oder örtliche Orientierung. Der Verlust kognitiver Fähigkeiten kann sich dadurch äussern, dass man nicht mehr weiss, wo das WC ist, oder die Uhrzeit nicht mehr interpretiert werden kann. Die Handlungsebene beinhaltet alltägliche Handlungen wie z.B. die korrekte Nutzung eines Rollators oder einer Zahnbürste, entsprechend zeigt sich der Verlust von Handlungsorientierung darin, dass die zielführende Nutzung einer Zahnbürste nicht mehr möglich ist. Beim Verlust der Orientierung auf der emotionalen Ebene äussert eine Person z.B. Gefühle der Angst, Verlassen- oder Verlorenheit.

Ruhig sprechen und aktiv zuhören

Ob eine Person von einem Verlust auf einer oder mehreren Ebenen betroffen ist, wird bei der aufmerksamen Durchführung der täglichen Pflegehandlungen und im Gespräch ersichtlich.

Das Erkennen dieser drei Orientierungsebenen und das Einordnen der Beobachtungen ermöglicht es Gesundheitsfachleuten, spezifische und der verlorenen Ebene entsprechende Massnahmen zu definieren, diese umzusetzen und zu evaluieren. Wird festgestellt, dass eine Patient:in zwar die Uhrzeit noch ablesen kann, aber nicht mehr weiss, wie die Zähne geputzt werden, bietet nicht die Angabe der Uhrzeit Halt und Orientierung, sondern eine klare Handlungsanleitung, wie die Zahnbürste gehalten und die Zähne geputzt werden sollen. 

«Auch einer Person, die emotionale Orientierung braucht, gebe ich keine Angabe der Uhrzeit, sondern ich nehme sie z.B. kurz in den Arm oder setze mich zu ihr hin. Dabei nehme ich Gefühle wahr, gebe diesen Raum und spiegle diese, wenn angemessen, im Sinne des aktiven Zuhörens: Ich merke, dass Sie wütend sind, ich verstehe Sie – das ist kein schönes Gefühl. Oder ganz einfache Dinge wie mit ruhiger Stimme sprechen, einfache Sätze formulieren – da sein. Immer wieder da sein, und körperliche und emotionale Nähe zulassen.»


Lukas Buchli ist Pflegefachmann mit einem Master of Advanced Studies in Gerontologischer Pflege der ZHAW und ehemaliger Profi-Mountainbiker. Er lebt mit seiner kleinen Familie in Chur und arbeitet in einem Teilzeitpensum im Unterengadin.

Das Gespräch fasste Katharina Fierz, Leiterin Institut Pflege (ZHAW Gesundheit) und Mitglied im Kernteam von AGe+, zusammen.

Bild: Lukas Buchli


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