Bei «Radeln ohne Alter» haben ältere Menschen mit eingeschränkter Mobilität die Möglichkeit, mit der Rikscha Ausfahrten zu unternehmen. Eveline Graf, Vize-Präsidentin von Radeln im Alter Schweiz und Professorin am ZHAW-Institut für Physiotherapie, stellt im Interview das Angebot vor.
Liebe Eveline, vielen Dank, dass ich dir ein paar Fragen zu «Radeln ohne Alter» stellen darf! Wie ist es zu diesem Projekt gekommen?
«Radeln ohne Alter» ist vor ca. 10 Jahren in Dänemark von Ole Kassow ins Leben gerufen worden. Er kam auf die Idee, die älteren Personen, welche vor den Altersheimen sassen, in einer Rikscha spazieren zu fahren. Sie hatten grosse Freude daran. Er hat Radeln ohne Alter dann als weltweite Organisation aufgebaut. In der Schweiz gibt es das Projekt seit ca. 2006.
Persönlich bin ich über einen Kollegen, der das Projekt vorstellte, dazugekommen und fand das eine tolle Idee.
Wir haben dann begonnen, mit Altersheimen in Bülach Kontakte zu knüpfen, Finanzierung gesucht und gefunden, eine Rikscha gekauft und Pilot:innen gesucht.
Später sind wir mit dem Verein in Zürich in Kontakt getreten und mit dem Schweizer Verein «Radeln ohne Alter», welcher als Dachorganisation gilt. Diese schaut, dass es mit den Rikschas klappt und der Kontakt zu den Herstellern aufgenommen werden kann. Dort bin ich jetzt auch dabei und habe somit zwei Hüte auf. Zum einen beim Dachverband und zum anderen am Standort Bülach.
Wie funktioniert Radeln ohne Alter genau?
Die Idee von «Radeln ohne Alter» ist, dass man mit älteren Menschen, die selber nicht mehr Velofahren können oder auch zu Fuss nicht mehr so mobil sind, mit der Rikscha Ausfahrten macht. Anders als bei den bekannteren ‘Cyclos’ sitzen die Passagiere dabei vorn, so können die Pilot:innen und die Passagiere gut miteinander reden. Aber auch in den Begegnungen auf der Strasse sind dadurch Interaktionen möglich. Sie erzeugen ein Strahlen auf allen Gesichtern, sehr oft vor Freude winkende Hände und spontane Grussworte.
Wichtig ist zu wissen, dass die Fahrten nicht als Taxi-Dienst gedacht sind, sondern als unentgeltliche Freizeit-Fahrten.
Wenn ich mitmachen möchte, kann ich mich einfach melden?
Die Passagiere werden je nach Standort anders organisiert. Grundsätzlich meldet man den Wunsch nach einer Fahrt. Dann folgt eine Ausschreibung, die Pilot:innen werden angefragt und wer sich zuerst meldet, übernimmt die Fahrt. Manchmal läuft die Abwicklung noch per mail, für grössere Orte gibt es jedoch ein online Buchungssystem. Auf diesem wird bei einer Anfrage automatisch ein Mail an alle Pilot:innen ausgelöst, die am Standort hinterlegt sind. Sie können dann auf die Anfrage reagieren.
Wie finanziert ihr euch? Du hast erzählt, ihr musstet Geld für die Fahrräder akquirieren. Ansonsten arbeitet ihr zwar unentgeltlich, dennoch gibt Kosten für Reparaturen etc.
Wir finanzieren uns über Spenden von Altersheimen, Vereinen oder Stiftungen.
Wie hat sich Radeln ohne Alter entwickelt – d.h. wo stand das Projekt bei der Gründung, wo steht es heute?
Aktuell läuft so einiges und darum melden sich vermehrt Interessierte Heime. Momentan kommen pro Jahr ca. 5 neue Standorte hinzu. Aber wenn man überlegt, wie viele Altersheime es in der Schweiz gibt, hat es noch viel Luft nach oben.
Was wünschst du dir für die Zukunft?
Dass jeder ältere Mensch, der sich das wünscht, ein «Ausfährtli» machen kann und das Strahlen auf den Gesichtern nach der Fahrt auch andere dazu animiert, das Angebot zu nutzen und Hemmungen zu überwinden.
Welche Rückmeldungen gibt es von den Nutzenden? Was gefällt ihnen?
Mal etwas weiterzukommen und anderes zu erleben, als wenn man zu Fuss unterwegs ist. Die Sinne werden angeregt, man spürt den Fahrtwind, sieht andere Dinge, ist unterwegs. Alle Emotionen und Erlebnisse werden weitergetragen an die Mitarbeitenden und Mitbewohnenden im Altersheim, auch an die Familien. So werden viele Ebenen angeschnitten.
Was sind die grössten Herausforderungen?
Bei neuen Standorten ist das Finden von Pilot:innen speziell für Fahrten an Wochentagen schwierig, denn viele mögliche Pilot:innen sind berufstätig. Umgekehrt haben am Wochenende, wenn Pilot:innen verfügbar wären, die Bewohner:innen oft Besuch.
Die Finanzierung der Rikscha ist auch immer eine Herausforderung, aber machbar.
Eine Herausforderung für die Nutzenden ist sicher auch die ungewöhnliche Art, sich fortzubewegen, dass sie in der Rikscha exponiert oder auch der Geschwindigkeit ausgesetzt sind. Das mag nicht jede:r. Die Fahrten finden immer langsam statt, mit ca. 10 km/h. Langsamkeit ist auch eines unserer Werte. Trotzdem muss man die Passagiere in der richtigen Art und Weise abholen, vielleicht eine kurze Probefahrt anbieten.
Was möchtest du ändern, als nächstes angehen?
Ändern eigentlich nicht viel. Es wäre aber schön, wenn für die technischen Probleme mehr «Chlütteri» verfügbar wären, die Freude haben, an den Rikschas notwendige Reparaturen oder den Service zu übernehmen.
Wo siehst du Radeln ohne Alter in 5 Jahren?
Ich würde mir schon erhoffen, dass durch die erhöhte Präsenz von Velofahrenden auch die Infrastruktur von Velowegen verbessert wird und somit alternative Mobilitätsformen bekannter und normaler werden im Alltag.
Ich möchte dazu beitragen, die Stellung älterer Menschen in der Gesellschaft zu verbessern, es ist eine Bevölkerungsgruppe, die immer grösser und bedeutender wird. Ältere Menschen wieder in den Alltag zurückbringen, dass sie wieder unterwegs sind und nicht nur vor den Altersheimen auf dem Bänkchen sitzen.
Hast du weitere Ideen für spannende Projekte?
Ideen habe ich viele, neue Projekte stosse ich aber momentan nicht an. Es gibt bei «Radeln ohne Alter» noch genügend zu tun, um das Angebot auszubauen. Im Moment finde ich es einfach wunderschön, mit den Rikschafahrten ein Strahlen in die Augen zu bringen und Hände, die winken.
Radeln ohne Alter
«Wir von Radeln ohne Alter sind fest davon überzeugt, dass das Leben, auch wenn man gegen die hundert geht, noch voller Freude sein kann und auch sein soll. Auf Rikschas laden wir Bewohnende von Alters- und Pflegeheimen dazu ein, die Umgebung, in welcher sie ihr Leben lang gelebt haben, hautnah neu zu entdecken, dabei ihre Lebensgeschichten mit uns zu teilen und sich wieder als Teil der Gemeinschaft zu fühlen. Dadurch entstehen neue, wunderbare Freundschaften, Brücken zwischen Generationen werden gebaut und eine aktive Mitbürgerschaft gefördert.»
Zur Person
Eveline Graf arbeitet als Forscherin und Dozentin am Institut für Physiotherapie an der ZHAW. Nebenher ist sie Vize-Präsidentin von Radeln ohne Alter Schweiz sowie Vorstandsmitglied beim Förderverein Radeln ohne Alter Bülach.
Das Interview führte Katharina Fierz, Projektleiterin des Interdepartementalen Schwerpunkts AGe+.
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