Stella berichtet über ihr Austauschsemester in Berlin.
Schnelle Schritte, laute Stimmen, Dämmerung.
Wir sind eben erst beim Mauerpark angekommen und schon bewegt sich die Masse von Menschen Richtung Strasse. Die meisten um uns herum tragen schwarze Kleidung. Manche tragen Maske, manche sind vermummt. Doch eins haben alle gemeinsam: Sie sind FLINTA*s (Frauen*, Lesben, Intersexuelle, Nonbinäre, Trans, Agender). Die heutige Demonstration «Take Back the Night» soll gegen die Gewalt an FLINTA* aufmerksam machen, welche in unserer patriarchal geprägten Gesellschaft nach wie vor viel zu oft als gegeben hingenommen wird.
Diese normalisierte und strukturelle Form der Gewalt, gegen die wir protestieren, lässt sich mitunter mit dem Begriff Rape Culture fassen. Ich sitze in der Vorlesung «Gender und Queer Studies» an der Alice Salomon Hochschule, wo ich den Begriff lerne. Er beschreibt, wie in unserer Gesellschaft Vergewaltigungen von FLINTA*s weitgehend toleriert werden. Das liegt unter anderem daran, dass unser Sexualstrafrecht immer noch den Ansatz «Nein heisst nein» beinhaltet. Wenn ein Mensch sich also nicht explizit gegen Geschlechtsverkehr äussert, gilt dies nicht als Vergewaltigung und die Verantwortung dafür wird dem Opfer übertragen (= victim blaming). In der Schweiz droht momentan die Gefahr, dass weiterhin ein veralteter „Nein heisst Nein“ – Grundsatz anstatt eines „Nur Ja heisst Ja“ – Grundsatz ins Sexualstrafrecht geschrieben wird. Die tagesaktuelle Brisanz der Lerninhalte, die wir hier vermittelt bekommen und welche ich mit der aktuellen Politik zuhause verknüpfen kann, spornt mich an.
Wir laufen eingehakt die Strassen entlang, immer noch mit schnellen Schritten. Um uns herum dringen Parolen in unsere Ohren wie «My body, my choice, raise your voice» oder “However I dress, wherever I go, YES means YES and NO means NO”. Ich spüre, wie sich in mir ein Gefühl in der Brust breit macht – das Gefühl, stark zu sein!
Die nächste Vorlesung folgt nächste Woche und die nächste Demonstration folgt bestimmt.