Hilfsaktion für syrische Flüchtlinge – Ein Reisebericht, Teil 2

Im Rahmen einer privaten Hilfsaktion für Syrien sammelten im Dezember 2012 und Januar 2013 Mitarbeiter der Abteilung International Business über CHF 32’000 und kauften damit Wolldecken, Mehl und Bluttransfusionskits. Die SML-Dozenten Khaldoun Dia-Eddine und Prof. Dr. Mathias Schüz sowie Assistent Raphaël Granito lieferten die Hilfsgüter persönlich nach Syrien. Der zweite Teil beschreibt die Verteilung der Hilfsgüter, wie die Einwohner leben und erzählt vom Besuch in einem Flüchtlingslager. Der folgende Bericht wurde von Raphaël Granito verfasst.

Verteilung der Hilfsgüter

Nach dem Besuch der Krankenhäuser machten wir uns auf den Weg in die Stadt A’zaz. Schon am Stadteingang sahen wir erste Spuren der Zerstörung: Eine Tankstelle mit klaffenden Löchern, von Panzergeschossen durchsiebt. Im Innern der Stadt boten sich Bilder purer Zerstörung. Eine riesige Moschee, bei der ein Grossteil der Wände fehlten, ausgebrannte Panzer und ganze Viertel, die dem Erdboden gleich gemacht worden waren.

Ganze Wohnviertel von A’zaz zerstört

Einige Männer sitzen in der Garage eines Hauses, bei dem die oberen Stockwerke völlig zerstört sind und wärmen sich an einem Feuer auf. 70‘000 Menschen wohnten hier vor den Ausschreitungen, heute sind ein paar Tausend davon übrig geblieben. Es bleiben diejenigen, die keinen Platz mehr in den Flüchtlingslagern haben oder aus anderen Gründen nicht weg wollen oder können. Strom gibt es seit 3 Monaten keinen mehr, Wasser nur in den alten Brunnen der Stadt. Treibstoff ist eine Mangelware und Heizöl ebenso. Letzteres wurde früher vom Staat subventioniert, der die Lieferungen aber bereits vor Monaten eingestellt hat. Als wir an einer Kreuzung vorbeikommen, sehen wir eine Gruppe Männer einen kleinen Baum fällen, um etwas Holz für ihren Ofen zu haben. Auch Mehl wurde ursprünglich von der Regierung subventioniert und ist deshalb nun eine der grössten Mangelwaren. Die Bevölkerung hat hier wirklich nicht viel zum Überleben. Die Leute in den Flüchtlingslagern an der türkischen Grenze hingegen erhalten drei warme Mahlzeiten pro Tag.

Nachdem wir uns mit unseren Begleitern besprochen hatten, entschieden wir uns, die Hilfsgüter in und um A’zaz zu verteilen, und zwar an besonders hilfsbedürftige kinderreiche Familien, bei denen auch Flüchtlinge untergekommen sind.

Am Nachmittag konnten wir dann schliesslich mit dem Verteilen beginnen. Zuerst fuhren wir in ein Wohnviertel, wo bereits eine grössere Menschenmenge auf uns wartete.

Verteilen der Hilfsgüter

Unsere Begleiter hatten eine Liste mit besonders bedürftigen Empfängern vorbereitet. Diese sollten nun unsere Hilfsgüter vornehmlich erhalten. Sie wurden aufgerufen oder in deren Wohnungen besucht. Wir halfen ihnen die 50 Kilo Säcke in ihre Häuser oder auf ihre Schubkarren zu schleppen. Jede Familie erhielt einen Sack und eine Wolldecke. Die Kinder hüpften unbekümmert um uns herum und freuten sich über die Geschenke. Wir fuhren bis spät am Abend in A’zaz herum, um die Güter von Haus zu Haus zu verteilen. Die Hälfte der Güter ging in ein Lager am Rande der Stadt, wo uns die Weiterverteilung an die Bedürftigen versprochen wurde. Man versicherte uns, dass eine Verteilung an Privilegierte wie in alten Zeiten gar nicht mehr möglich sei. Die jetzige Gesellschaft sei so sensibilisiert, dass eine Ungerechtigkeit sofort angeprangert würde und mit Gegenreaktionen zu rechnen sei. Wir hatten auch Gelegenheit, den Kommandanten der regionalen Verwaltung zu treffen und darüber zu sprechen. Er bestätigte uns, dass  gespendetes Mehl normalerweise direkt zu den wenigen noch funktionierenden Brotfabriken gebracht würde, von denen auch die mittellosen Familien versorgt würden. Er akzeptierte aber unsere direkte Verteilung an die Bedürftigen, solange damit kein Streit unter den Empfängern entstünde.

Auf Besuch bei den Einwohnern

Als der Lastwagen leer war, besuchten wir einen Freund (Ahmed) unserer Begleiter, der von einem Scharfschützen verletzt worden war. Ahmeds Vater war so glücklich über unseren Besuch, dass er darauf bestand, uns ein Abendessen zu servieren. Eine Ablehnung der Einladung unsererseits hätte ihn nicht nur beleidigt, sondern darüber hinaus zu einem dreitägigen Fasten genötigt. Denn er hatte sich vorgenommen, uns mit Essen zu versorgen. Ein leckeres Essen wurde uns auf einer Wachsdecke am Boden serviert. Ahmed und sein Vater bedankten sich anschliessend nochmals bei allen, die an der Aktion beteiligt waren, und lobten sie in den höchsten Tönen.

Nachdem wir Ahmeds Haus verlassen hatten, brach ein „Streit“ darüber aus, wer von den Helfern uns eine Unterkunft für die Nacht anbieten durfte. Wir einigten uns darauf, bei Khalid zu schlafen, einem Bauern, der etwas ausserhalb von A’zaz seinen Hof hat. Wie so viele Syrier ist Khalid vom Bauern zum Freiheitskämpfer geworden.

Einer der Gründe, weshalb wir unsere Güter nicht an diese Lager gegeben haben, bestätigte sich als wir dort eintrafen: Hunderte Kinder umzingelten uns und wollten „Hallo“ sagen. Es sind einfach zu viele Leute dort und unser Beitrag war, im Vergleich zu dem, was türkische Hilfswerke leisten, einfach zu klein, um ihn gerecht verteilen zu können, was zu Streitigkeiten zwischen den Flüchtlingen hätte führen können.

Bevor wir das Lager nach einem Rundgang und Gesprächen mit den Flüchtlingen und mit einer angesichts dieses Elends ziemlich gedrückten Stimmung verliessen, kam eine Gruppe von Kindern zu uns und wollte Fotos mit uns machen. Sie hoben ihre Hände alle zum „Victory“-Zeichen und strahlten über ihr ganzes Gesicht. Wir können nur hoffen, dass die junge Generation diese schwere Zeit irgendwie hinter sich bringen kann, um ein besseres, friedliches Land aufzubauen.

Zwei Tage und etwa 200 Kilometer nach unserer Einreise in Syrien, verliessen wir das Land wieder, nachdem wir 45 Tonnen Weizenmehl, 1‘300 Doppelwolldecken und 1‘500 Bluttransfusionskits abgeliefert haben. Diese humanitäre Aktion, zu der die Idee beim Mittagessen in unserer Kantine entstanden ist und bei der wir mit der Hilfe von etwa 75 Spendern gesamthaft CHF 32‘228 gesammelt haben, kann somit als voller Erfolg bezeichnet werden.

Bei den vielen Tonnen an Hilfsgütern, die wir verteilen konnten, fühlte ich jedoch, dass das Interesse, das Menschen aus einem wohlhabenden Land wie der Schweiz oder Deutschland für das harte Schicksal der syrischen Bevölkerung durch ihre Spende oder ihren Einsatz entgegenbringen, eine noch grössere Rolle spielt als die materielle Spende. Das Mitgefühl und die Absicht, helfen zu wollen, haben die Menschen, die wir getroffen haben, mit Wärme erfüllt und wir konnten ihre Dankbarkeit, auch ohne arabisch zu verstehen, deutlich spüren. Als Projektteam für diese Aktion und im Namen der syrischen Bevölkerung bedanken wir uns herzlichst bei allen, die mitgeholfen haben und ohne die diese Aktion nicht möglich gewesen wäre. Wir hoffen nun noch mehr Hilfe leisten zu können und haben vor, weitere Aktionen zu organisieren. Wir teilen mit der syrischen Bevölkerung die Hoffnung auf Frieden, Freiheit und ein baldiges Ende dieses Konfliktes in ihrem wunderschönen Land.

Im Gästeraum seines Hofes sassen wir um den Ofen und hörten gespannt den Geschichten der ungefähr zehn Personen zu, die mit uns Tee tranken. Jeder hatte Menschen verloren, die ihm nahe standen, und ist deshalb durch diesen Konflikt direkt betroffen. Sie erzählten uns, was passiert ist, wer wo ist, wer verletzt wurde, welche Gräueltaten sie erleben mussten, Geschichte um Geschichte. Ein typischer arabischer Zeitvertreib, jedoch mit schrecklichem Inhalt. Mathias philosophierte gerade mit einem der Rebellen, der ihn über viele Namen – von Plato über Aristoteles bis hin zu Karl Marx – ausfragte, als das Haus plötzlich von einer ohrenbetäubenden Explosion erschüttert wurde. Die Fenster sprangen auf und alle blickten umher. Keiner der Anwesenden Dorfbewohnern stand jedoch auf. Für sie waren solche Explosionen zum Alltag geworden. Einige der Leute im Raum nahmen ihre Handys hervor und versuchten herauszufinden, wo die Bombe eingeschlagen war. Es stellte sich heraus, dass A’zaz getroffen wurde, wo wir noch kurz zuvor zu Abend gegessen hatten. Es folgten weitere Explosionen –  mal näher, mal weiter weg von uns. Als der Spuk nach 15 Minuten zu Ende war, schaute uns Khalid traurig an und sagte: „Ich will doch nur, dass es endlich aufhört. Ich bin kein Soldat, kein Kämpfer. Ich bin ein Hirte und will doch bloss zu meinen Schafen zurück.“

Bevor wir uns schlafen legten, wendete sich unser Kontaktmann Abu Abdu mit ein paar dankenden Worte direkt an uns und an alle anderen, die an dieser Aktion beteiligt sind: „Alle Menschen gehören zur selben Familie und es ist wichtig, dass man den Dialog aufnimmt, zu einem gemeinsamen Verständnis füreinander findet und Solidarität unter Beweis stellt. Eure Aktion beweist dies einmal mehr: Wir sind alle Brüder und Schwestern und müssen uns gegenseitig helfen. Ich hoffe, dass Ihr uns in unserem schönen und hoffentlich bald befreiten Land wieder besucht. Es ist schön, dass die Aktion auch von Menschen mitgetragen wurde, die keinen direkten Bezug zu Syrien haben. Es gibt in jeder Kultur und in jeder Religion gute wie böse Menschen. Letztlich sind wir alle eins“ sagte er. Wir erwiderten seinen Dank, denn ohne ihn hätten wir die ganze Aktion gar nicht realisieren können.

Die Nacht bei Khalid war ruhig, bis um sechs Uhr morgens das Artilleriefeuer wieder eröffnet wurde und etwa 40 Minuten andauerte. Khalid servierte uns ein Frühstück, das aus hausgemachten Nahrungsmitteln von seinem Hof bestand, und uns die nötige Energie für den Tag spendete.

Anschliessend fuhren wir zum Warenlager, wo der Rest unserer Güter untergebracht war, und nun im Verlauf der Woche verteilt werden sollte. Im Lager befanden sich auch Teigwaren, Kleider und Schuhe von anderen Hilfsprojekten.

Unsere Reise ging zurück in die Stadt von A’zaz, wo wir uns die einzig übrig gebliebene Bäckerei anschauten. Auch diese wurde schon mehrfach gezielt angegriffen und war voller Löcher von Panzer- und Luftangriffen. Glücklicherweise hat der Ofen jedoch „überlebt“ und bäckt nun Brot für insgesamt 40‘000 Leute aus der Region.

Besuch im Flüchtlingslager

Bevor wir uns auf den Weg zurück in die Türkei machten, besuchten wir an der Grenze eines der Flüchtlingslager, die von der türkischen Regierung aufgebaut und finanziert werden. Obwohl sie drei warme Mahlzeiten pro Tag erhalten, waren die Flüchtlinge dort nur sehr notdürftig versorgt. Sanitäre Anlagen waren so gut wie keine vorhanden. Das Abwasser fliesst direkt ins offene Feld nebenan. Manche der Flüchtlinge, 70% davon Frauen und Kinder, sind schon seit mehr als fünf Monaten dort untergebracht.

Bedingungen in den Flüchtlingslagern

Einer der Gründe, weshalb wir unsere Güter nicht an diese Lager gegeben haben, bestätigte sich als wir dort eintrafen: Hunderte Kinder umzingelten uns und wollten „Hallo“ sagen. Es sind einfach zu viele Leute dort und unser Beitrag war, im Vergleich zu dem, was türkische Hilfswerke leisten, einfach zu klein, um ihn gerecht verteilen zu können, was zu Streitigkeiten zwischen den Flüchtlingen hätte führen können.

Bevor wir das Lager nach einem Rundgang und Gesprächen mit den Flüchtlingen und mit einer angesichts dieses Elends ziemlich gedrückten Stimmung verliessen, kam eine Gruppe von Kindern zu uns und wollte Fotos mit uns machen. Sie hoben ihre Hände alle zum „Victory“-Zeichen und strahlten über ihr ganzes Gesicht. Wir können nur hoffen, dass die junge Generation diese schwere Zeit irgendwie hinter sich bringen kann, um ein besseres, friedliches Land aufzubauen.

Zwei Tage und etwa 200 Kilometer nach unserer Einreise in Syrien, verliessen wir das Land wieder, nachdem wir 45 Tonnen Weizenmehl, 1‘300 Doppelwolldecken und 1‘500 Bluttransfusionskits abgeliefert haben. Diese humanitäre Aktion, zu der die Idee beim Mittagessen in unserer Kantine entstanden ist und bei der wir mit der Hilfe von etwa 75 Spendern gesamthaft CHF 32‘228 gesammelt haben, kann somit als voller Erfolg bezeichnet werden.

Bei den vielen Tonnen an Hilfsgütern, die wir verteilen konnten, fühlte ich jedoch, dass das Interesse, das Menschen aus einem wohlhabenden Land wie der Schweiz oder Deutschland für das harte Schicksal der syrischen Bevölkerung durch ihre Spende oder ihren Einsatz entgegenbringen, eine noch grössere Rolle spielt als die materielle Spende. Das Mitgefühl und die Absicht, helfen zu wollen, haben die Menschen, die wir getroffen haben, mit Wärme erfüllt und wir konnten ihre Dankbarkeit, auch ohne arabisch zu verstehen, deutlich spüren. Als Projektteam für diese Aktion und im Namen der syrischen Bevölkerung bedanken wir uns herzlichst bei allen, die mitgeholfen haben und ohne die diese Aktion nicht möglich gewesen wäre. Wir hoffen nun noch mehr Hilfe leisten zu können und haben vor, weitere Aktionen zu organisieren. Wir teilen mit der syrischen Bevölkerung die Hoffnung auf Frieden, Freiheit und ein baldiges Ende dieses Konfliktes in ihrem wunderschönen Land.

Wir haben eine neue Hilfsaktion für Syrien gestartet. Auf unserer letzten Hilfsreise nach Nordsyrien, haben wir einige Krankenhäuser besucht, die von der Bevölkerung gebaut wurden. Leider sind diese nur notdürftig ausgerüstet und können ihre Patienten deswegen nur unzureichend Behandeln. Weiter Informationen zu dem neuen Projekt und wie Sie uns helfen können, finden Sie hier.

Aus Sicherheitsgründen mussten wir einige Namen ändern. Leider wurden Menschen die sich für humanitäre Hilfe in Syrien engagiert haben zu Zielscheiben des Regimes. Wir bitten um Ihr Verständnis.


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