Lean und Digital im OP – Eine Pilotstudie am KSGR

Quelle @ Colourbox

Von Irene Kobler und Alfred Angerer

Die Komplexität der Zusammenarbeit und die gegenseitige Abhängigkeit aller Beteiligten im Operationssaal (OP) sind unbestritten. Wer nun denkt, dass Standards demzufolge im OP sehr stark verbreitet wären, täuscht sich. Gerade neulich wurde uns im Gespräch mit einem OP-Manager im Rahmen einer Fachtagung wieder klar: Standards im OP sind nicht nur selten, sondern auch schwer einzuführen und zu managen. Auch in der wissenschaftlichen Literatur wird Standardisierung im OP nur selten thematisiert. Wir haben 115 Artikel über Prozessoptimierung systematisch analysiert. Gerade einmal 9% befassen sich mit dem Thema Standardisierung.

Digitalisierung als Chance

Es ist an der Zeit, das Thema Standardisierung im OP anzugehen. Die Digitalisierung bietet viele Möglichkeiten, Standards einzuführen, birgt jedoch auch Tücken. So ist zum Beispiel die Verwendung verschiedener Systeme oder Programme eher kontraproduktiv. Vor allem dann, wenn sie nicht aufeinander abgestimmt sind und so beispielsweise zu paralleler Dokumentation und Datenlücken führen. Darum ist es wichtig, (digitale) Standardisierungsprojekte sorgfältig und aufmerksam in bestehende Prozesse zu integrieren.

Eingriffskarten für die perfekte Vorbereitung

Eingriffskarten (auch unter Procedure Cards, Stücklisten o.Ä. bekannt) dienen dem OP-Fachpersonal dazu, Operationen bestmöglich vorzubereiten und am OP-Tisch zu instrumentieren. Denn auf diesen Karten ist notiert, welche Instrumente und Materialien für eine Operation standardmässig benötigt werden. Zudem werden darauf Spezialwünsche einzelner Operateure aufgenommen. Eingriffskarten tangieren also auch die Qualität und die Bewertung der Zusammenarbeit im OP. Aktuelle Eingriffskarten erschliessen darüber hinaus alle Lean-Potenziale – sie führen zu weniger Wegen (weniger Clean Returns, weniger Material zum Versorgen), zu weniger Verschwendung (unnötig geöffnete Artikel), zu weniger Aufwand bei der Aktualisierung und beeinflussen die Zufriedenheit der Mitarbeitenden.

In vielen Spitälern sind Eingriffskarten noch in Papierform in einer Kartei abgelegt und darum weder lean noch aktuell. Wird nun ein Artikel, wie beispielsweise das Abdeckmaterial, für den gesamten OP durch ein neues Produkt ersetzt, müssen alle Karteikarten erneuert werden, welche diesen Artikel enthalten. Bei solchen standardmässig verwendeten Artikeln kann dies bedeuten, dass 500 Dokumente manuell angepasst werden müssen. Neben dem enormen Zeitaufwand führt dies dazu, dass die Karten oft nicht aktuell sind.

Digitale Eingriffskarten – die Mitarbeitenden erkennen den Nutzen

Dank einer Forschungsförderung vom Bund Innoscheck [1] haben wir uns dem Thema angenommen und die Umsetzung einer WebApp begleitet. Die App Blaubuch ist eine Software, die Eingriffskarten zentral und elektronisch verwaltet und damit das Management von Eingriffskarten vereinfacht.

Im Rahmen dieser Forschungsförderung führten wir eine Fallstudie durch. Das Kantonsspital Graubünden hat als Pilotspital teilgenommen und das Blaubuch in der Viszeralchirurgie eingeführt. Eine Befragung des OP-Fachpersonals, welche im Rahmen der Fallstudie durchgeführt wurde, zeigt auf, dass die Mitarbeitenden (n=41) die Wichtigkeit von Eingriffskarten als hoch einstufen. Mehr als 70% sind davon überzeugt, dass Eingriffskarten beispielsweise helfen, eine gleichmässige Arbeitsqualität zu erreichen und gleichzeitig Stress verringern. Gleichzeitig haben sie angegeben, dass die papierförmigen Eingriffskarten weder aktuell sind noch besonders nutzerfreundlich. Die Voraussetzungen für die Einführung der digitalen Lösung waren also gegeben. Selbstverständlich haben wir die Mitarbeitenden auch nach der Einführung der WebApp nochmals befragt. Es zeigt sich, dass bei der Umsetzung noch einige praktische Hürden bestehen. So wünschten sich die Mitarbeitenden statt PCs Tablets die mitgenommen werden können. Zudem wurden Verbesserungswünsche beim Layout angemerkt. Geschätzt wird hingegen, dass das Blaubuch Zusatzinformationen wie Material-Priorisierungen und Materialstücklisten beinhaltet.

Digital Health? Gerne, aber richtig eingesetzt!

Zusammenfassend zeigt sich: Digital Health Lösungen wie die WebAPP Blaubuch können eine wirkungsvolle Unterstützung für die Optimierung und Standardisierung sein. Sie sollten jedoch nahtlos in die bestehenden Abläufe integriert werden, damit sie ihr vollständiges Potenzial entfalten.

Irene Kobler ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Team Management im Gesundheitswesen am WIG.

Prof. Dr. Alfred Angerer ist Leiter der Fachstelle Management im Gesundheitswesen am WIG.


[1] Wir danken der Innosuisse für finanzielle Förderung der Fallstudie.  


2 Kommentare

  • Vielen Dank für diesen interessanten Einblick in die Entwicklungen im OP-Bereich. Als dipl. Pflegefachfrau HF und Studentin Gesundheitsförderung und Prävention ist für mich offensichtlich, was alles an derartigen, vordergründig wenig umfangreich erscheinenden Veränderungen noch “dranhängt”.
    Wenig klar ist für mich hier allerdings der Begriff “lean”. Nach dem Einzug des sog. Lean-Management als eigene standardisierte, auch kommerzielle Methode der Spitalführung bin ich sehr aufmerksam, wie und wo sich dieses durchsetzt. Aus dem Artikel geht für mich nicht hervor, mit welchem Hintergrund hier der Begriff “lean” benutzt wird, und ich wäre dankbar für eine Erklärung. Vielen Dank.

    • Liebe Frau Dibbern
      Vielen Dank für Ihren Kommentar.
      Selbstverständlich haben Sie recht, es handelt sich hierbei hauptsächlich um ein Digital Health-Projekt. Als Lean Forschende haben wir jedoch immer den Lean-Prozess im Hintergedanken. Deshalb achten wir darauf, dass digitale Lösungen echten Mehrwert bieten und Verschwendung vermeiden, hier zum Beispiel Clean returns. Auf unserer Website finden Sie weitere Informationen zu Lean Management: http://www.leanhealth.ch.

      Freundliche Grüsse
      Alfred Angerer und Irene Kobler


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